Amartuvshin Enkhbat (Scarpia), Krassimira Stoyanova (Tosca) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
von Peter Sommeregger
Spätestens bei den Eröffnungspremieren der internationalen Festivals beginnen jedes Jahr aufs Neue die Diskussionen über Opernregie, die sich nun tatsächlich grundlegend gewandelt hat.
Bedingt durch mein fortgeschrittenes Alter kann ich inzwischen einen Zeitraum von etwa 70 Jahren überblicken. War in den 50er,60er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch die Bezeichnung „Opernregisseur“ üblich, so räumt man der Regie in der Oper heute einen viel größeren, vielleicht zu großen Stellenwert ein. Die vornehmste Aufgabe eines Regisseurs sollte eigentlich sein, einem Werk und seinen handelnden Figuren durch individuelle Formung von Charakteren und Tableaus mehr zu dienen, als die szenische Vorherrschaft über die Musik anzustreben.
Besonders problematisch wird es, wenn man zu so genannten „Überschreibungen“ der Libretti und ihres Sinngehaltes greift.
Da werden Geschichten völlig neu erzählt, was häufig dazu führt, dass die ursprünglichen Konzepte nicht mehr aufgehen. Dafür könnte man zahllose Beispiele anführen, die Inszenierungen der Bayreuther Festspiele sorgen regelmäßig für Aufreger. Dabei sind einmal von Bayreuth bedeutende Impulse für eine Reform des Musiktheaters ausgegangen, man denke nur an den visionären Wieland Wagner, der leider allzu früh verstarb. Der so genannte Jahrhundert-Ring Patrice Chereaus war ebenfalls ein Meilenstein, der oft kopiert, aber nie erreicht wurde.

Inzwischen scheint um die schrägste, werkfernste Lesart eines Stoffes geradezu ein Wettstreit entbrannt zu sein.
Ort, Zeit und ursprünglicher Sinn spielen keine Rolle mehr, Trumpf ist die Aufmerksamkeit des Feuilletons, das, sofern es überhaupt noch existent ist, die Regie führenden Übeltäter noch mit spaltenlangen Erörterungen belohnt, während Gesang und Dirigat mit Standard-Halbsätzen bewertet werden.

Das mag zum Teil auch daran liegen, dass das Wissen über Gesang vielfach nicht mehr vorhanden ist. Ich kann mich glücklich schätzen, noch zwei Generationen von Sängern live gehört zu haben, die in ihrer Individualität unverwechselbar waren. Man hörte einen einzigen Ton, und wusste, wer ihn sang. Heute ist das nur noch bei negativen Beispielen der Fall, eklatante Defizite sind die heutigen Markenzeichen.
Die Vernachlässigung des Gesanges zugunsten der Regie hat die Schwerpunkte in der Oper zu ihrem Schaden verschoben. Nach wie vor besuchen Menschen die Opernhäuser, die eine authentische Darbietung der jeweiligen Oper erleben wollen, nicht die spätpubertären Fantasien eines Regisseurs. Sicher, es gibt Regisseure wie Warlikowski und Tcherniakov, denen tatsächlich hochinteressante, intellektuell aber zu verstiegene Inszenierungen gelingen.

Es gab gute Gründe, die Opernregie früher relativ simpel zu gestalten. Anders als beim Sprechtheater wurden die Rollen im Repertoirebetrieb häufig umbesetzt, einspringende Gäste mussten sich schnell in den Inszenierungen zurechtfinden. Die legendäre Wiener Tosca-Inszenierung ist inzwischen gut 60 Jahre alt, so gut wie jede Interpretin der Rolle ist darin aufgetreten. Dort darf die Kirche die Kirche sein, der Palazzo Farnese eben dieser, und die Engelsburg ohnehin. Dabei ist es jedem Interpreten freigestellt, seine Rolle in diesem Rahmen individuell zu gestalten.

Oper und Sprechtheater sind in vielerlei Hinsicht verschieden, in der Ausblendung dieser Tatsache liegt für mich heute das grundsätzliche Missverständnis.
Peter Sommeregger, 29. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik- begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint 14-tägig am Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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