Sommereggers Klassikwelt 291: Wie sehr sich das Opernpublikum verändert hat

Sommereggers Klassikwelt 291: Das Opernpublikum  klassik-begeistert.de, 13. August 2025

Foto: Facebook.com

„Tempora mutantur“ wussten schon die alten Römer. Dass sich die Zeiten ändern, und wir mit ihnen, ist eine Binsenweisheit. Wenn solche Veränderungen aber auch Institutionen mit ihren eigenen Traditionen einbeziehen, wird es oft problematisch.

von Peter Sommeregger

Meine ersten Opernbesuche in Wien fanden bald nach der Eröffnung des wieder aufgebauten Opernhauses am Ring 1955 statt. Meine Eltern, die das im Krieg schwer beschädigte Haus noch in seiner alten Innenausstattung kannten, nahmen mich in eine „Zauberflöten“-Aufführung mit. Meine endgültige Infizierung mit dem Virus Oper fand aber erst in meiner Schulzeit statt, wo ich bald Dauergast auf den Galerie-Stehplätzen wurde.
Selbst unter meinen Mitschülern war ich mit meiner Begeisterung für die Oper keinesfalls allein, mit einem Freund aus dieser Zeit rekapituliere ich heute noch gerne gemeinsame Erlebnisse.

In dieser Zeit war das Tragen einer Krawatte obligatorisch, einmal wagte ich es, die heiligen Hallen ohne eine solche zu betreten und wurde prompt heimgeschickt. Daran muss ich immer dann denken, wenn ich bei Sommertemperaturen kurzbehoste Jugendliche in der Oper sehe, die teilweise sogar Flip-Flops statt solider Schuhe tragen. Noch sind das Einzelfälle, aber die Tendenz ist unübersehbar.

Gegen eine liberalisierte Kleiderordnung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber der Besuch eines Opernhauses oder Konzertsaales in Alltagskleidung nimmt ihm doch etwas von seiner Außergewöhnlichkeit. Was nicht bedeutet, dass Herren im Pensionistenalter, die tapfer ihre Konfirmationsanzüge auftragen, eine Augenweide wären. Was verloren gegangen zu sein scheint, ist der gesellschaftliche Aspekt eines Opernbesuches. Oper war ursprünglich eine dem Adel vorbehaltene Kunst, später wurde sie ebenfalls von den höheren Gesellschaftskreisen besucht, nicht selten nur, um sich zu zeigen und Kontakte zu pflegen. Dieser Aspekt ist immer mehr in den Hintergrund getreten, was ein Grund für die Lieblosigkeit bei der Kleiderwahl sein mag.

Sicher, es gibt sie noch, die edel gewandeten Besucher, für die der Auftritt im Pausenfoyer wesentlicher Teil der Veranstaltung ist, und deren Smalltalk schnell verrät, dass sie wenig Ahnung von Oper und Musik haben. Schäbige Kleidung ist aber längst auch noch kein Indiz für größere Kompetenz, muss man fairerweise festhalten.

Die Kunstform Oper krankt eindeutig daran, dass die beliebtesten Werke bereits vor langer, teilweise sehr langer Zeit entstanden sind. Es ist bezeichnend, dass trotz der vielen zeitgenössischen Werke seit dem
2. Weltkrieg sich nur eine verschwindend kleine Zahl von Opern im Repertoire etablieren konnte. Dem versucht man abzuhelfen, indem man das traditionelle Repertoire Regisseuren überlässt, welche die ihnen anvertrauten Werke so sehr gegen den Strich bürsten, dass man echte Opernfreunde damit in die Flucht jagt.

Wie wird also das aktuelle Publikum und jenes der nahen Zukunft aussehen, wenn diese Tendenzen sich verstärken? Die Politik beginnt unübersehbar an der Hochkultur zu sparen, vielleicht wird man in den Foyers in Zukunft eine Renaissance des Geldadels und der Parvenüs erleben, weil Kenner und Liebhaber mit geringem Einkommen sich die Oper nicht mehr leisten können. Wer weiß?

Peter Sommeregger, 13. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint 14-tägig jeweils am Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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