Foto: Portrait de Natalie Bauer-Lechner, © AKG images
Natalie Bauer-Lechner hat kein hohes Alter erreicht. Nach längerer Krankheit starb sie am 8. Juni 1921 im Haus ihres Bruders in Wien, gerade einmal 63 Jahre alt. Ihre Nähe zu Gustav Mahler hat ihr ein Stück Unsterblichkeit verliehen.
von Peter Sommeregger
Bereits vor hundert Jahren, am 8. Juni 1921, starb die Bratschistin und Feministin Natalie Bauer-Lechner in ihrer Heimatstadt Wien.
Die Tochter des Wiener Buchhändlers und Verlegers Rudolf Lechner zeigte früh musikalische Begabung und erhielt mit fünf Jahren ersten Geigen-Unterricht, ab ihrem 8. Lebensjahr besuchte sie das Wiener Konservatorium, an dem sie bis 1872 Violine und Klavier studierte. Ihre Entwicklung zur Musikerin wurde durch ihre frühe Heirat zeitweilig unterbrochen. Im Dezember 1875 heiratete die 17-Jährige den erheblich älteren, verwitweten Universitätsprofessor Alexander Bauer, der drei Töchter in die Ehe mitbrachte. Nach zehn Jahren endete diese Ehe in einer einvernehmlichen Scheidung.
Nach der Scheidung ihrer Ehe lebte Bauer-Lechner als Bratschistin und Violinpädagogin in Wien. Von 1895 bis 1913 spielte sie Bratsche im Damen-Streichquartett von Marie Soldat-Röger (1. Violine), zusammen mit Elly Finger-Bailetti (2. Violine, ab 1898 Elsa von Plank) und Lucy Herbert-Campbell (Violoncello, ab 1903 Leontine Gärtner).
In späteren Jahren entwickelte sich Bauer-Lechner zur Feministin und publizierte entsprechende Schriften im Verlag ihres Vaters. Ein 1918 publizierter Artikel gegen den Krieg führte zu einer Verurteilung wegen Hochverrats und einer Haftstrafe.
Ende der 1880er-Jahre erneuerte sie ihre Bekanntschaft mit Gustav Mahler, den sie ursprünglich bereits während ihrer Zeit am Konservatorium kennengelernt hatte. In den Jahren bis zu dessen Hochzeit mit Alma Schindler 1902 entstand zwischen den beiden eine enge Freundschaft, die Bauer-Lechner offenbar gerne in eine Liebesbeziehung geändert hätte, was ihr aber nicht glückte. Von unschätzbarem Wert für die Mahler-Forschung sind dagegen die umfangreichen Aufzeichnungen von Gesprächen mit dem Komponisten, die während gemeinsam verbrachter Sommerurlaube stattfanden. Darin betätigt sich Natalie Bauer-Lechner quasi als Pendant zu Goethes Eckermann und protokolliert eine Vielzahl von Meinungsäußerungen Gustav Mahlers. Die enge Freundschaft fand durch die Verlobung Mahlers mit Alma Schindler ein abruptes Ende, offenbar hatte sich Bauer-Lechner doch noch Hoffnungen gemacht.
Nach Mahlers Tod 1911 erschienen einzelne Passagen aus den Aufzeichnungen Natalie Bauer-Lechners im Druck, zu einer Buchausgabe des gesamten Manuskripts kam es zu ihren Lebzeiten aber nicht mehr. Erst 1923 erschien erstmals das komplette Material unter dem Titel „Erinnerungen an Gustav Mahler“ in Buchform. Es ist seither eine der wichtigsten Quellen zur Persönlichkeit Gustav Mahlers, der sich wohl keinem Menschen davor so intim geöffnet hatte. Inzwischen sind zahlreiche Nachdrucke und Faksimiles der ersten Ausgabe des Buches erschienen.
Natalie Bauer-Lechner hat kein hohes Alter erreicht. Nach längerer Krankheit starb sie am 8. Juni 1921 im Haus ihres Bruders in Wien, gerade einmal 63 Jahre alt. Ihre Nähe zu Gustav Mahler hat ihr ein Stück Unsterblichkeit verliehen.
Peter Sommeregger, 4. August 2021, für
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Richard Wagner, Die Walküre Bayreuther Festspiele, 29. Juli 2021