von Sophie Reyer
Unter dem Titel „Des Knaben Wunderhorn“ veröffentlichten Clemens Brentano und Achim von Arnim von 1805 bis 1808 eine Sammlung von Volksliedtexten in drei Bänden. Sie enthält Liebes-, Soldaten-, Wander- und Kinderlieder vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Wen mag es verwundern, dass dieser Zyklus bis heute von großer Bedeutung für die Literatur ist? In meinem lyrischen Werk „Wunder, Wunden“ versuche ich dieser Dichtung auf neue Art und Weise nach zu spüren, die aufgrund der Vertonung durch Gustav Mahler von so bahnbrechender Wichtigkeit für die Musikgeschichte war und ist. Dabei bediene ich mich der Collage – und Zitattechnik und versuche, wie in allen meinen Gedichten, dem „Zirpen“ näher zu sein als der gedankenvollen Rede.
frei nach Clemens Brentano
für Andreas
:
die schwarzbraune Hexe
sich totstreben
rotsterben
und noch einmal
weiter gehen:
hop sa sa
:
Härlein in Kränzen
Herz muss sterben
Sommer als Gast sanft
taut schon der Tod auf noch
in diesem Sonnenschein
baut den wer aus
Eis und seitdem
du das weißt
traust nur mehr dem Schleier:
Scheinstückchen
Schleicherin
:
Leib verwest
Kleid bleibt
schwingt Seele
jetzt durch die Luft?
Wer weiß. Man ist
mit dem Sterben
immer
allein
:
Der Rattenfänger von Hameln
Strom Strom
und Irrlicht als Klang
Gift legt diese Musik
gegen Kinder
wie eine
Rattenfängerin
:
ich bereu alle Kleider
der Angst
werd nimmermehr
auf diese Art
oder
dennoch: in Sprache
Kind zur Welt gebären
dass der
Wind
:
(Nachsatz: dass der Wind:
bis wir den Traum
erfahren)
Sophie Reyer, 6. August 2020, für
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Sophie Reyer (hier im Bild mit ihrer Mutter Eva Reyer), geboren 1984 in Wien, lebt als Schriftstellerin und Komponistin im 17. Gemeindebezirk Hernals der österreichischen Hauptstadt. 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück „Anna und der Wulian“, 2014 Uraufführung „Anna und der Wulian“ an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst Wien). Sophie Reyer hat 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher geschrieben – Rekord in Österreich. Auch Prosa und Lyrik sind ihr Metier. Sie leitet Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden. Die Liebe zur Musik begleitet sie seid frühester Kindheit; mit sechs begann Sophie Reyer Klavier zu spielen – und sie studierte Komposition in Graz. „Was mich von jeher fasziniert hat war das Zusammenspiel von Sprache und Klang“, sagt Sophie. „Als Kind konnte ich stundenlang das Wort „parallel“ wiederholen, ich ließ es mir auf der Zunge zergehen, fand es witzig, ohne zu wissen, was es meinte, bekam komische Bilder im Kopf. Sprache hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert. Diese Faszination lag vor allem in ihrer Phonetik und nicht in ihrer Semantik: Par. All. Lalla. Rap. Paralell. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller. (…) Der Weg blieb derselbe: Die Suche nach einer Sprache jenseits herkömmlicher Strukturen.“