von Petra Spelzhaus
Endlich! Die Kultur kämpft sich langsam wieder zurück in die Opernhäuser, Konzertsäle und Theater. Strengste Covid-Maßnahmen werden eingehalten. Die Orchester sind ausgedünnt und können mal so richtig zeigen, was sie drauf haben, um nach mehr zu klingen. Opernsänger bleiben auf Abstand. Statt viel Bewegung und Pathos kann sich der Zuhörer ohne Ablenkung auf die Stimmen konzentrieren, tanzende Paare schweben langsamen Schrittes ohne Berührung über die Bühne. Hier wird vor allem auf akustische Reize gesetzt, die Augen können sich entspannen. Der Genuss für die Ohren wird durch ein weiteres Novum perfektioniert: Man hört aus dem Publikum kein noch so verschämtes Husten, es wagt gar niemand, sich auch nur leise zu räuspern.
Ich hatte mittlerweile mit meiner bezaubernden Begleitung die Gelegenheit, die neue Realität im Münchener Prinzregententheater und im Gärtnerplatztheater zu erleben. Es wurde jeweils enthusiastisch gelüftet. Die Stuhlreihen im Zuschauerraum waren nur zu einem Viertel bis einem Fünftel belegt. Mal davon abgesehen, dass es finanziell für die Häuser natürlich desaströs ist, gab es für das Publikum ganz ungewohnte Nebeneffekte: Wer sich in die Konzert- oder Opern-Abendgarderobe schmiss, fühlte sich plötzlich wie in Sibirien. Der wärmende Nachbar fehlte, und der frische Herbstwind im Zuschauerraum tat sein Übriges. Einige Zuschauer organisierten sich ihre Mäntel zum Kälteschutz, andere hielten tapfer zusammengekauert durch.
Wir zählten gestern zur zweiten Gruppe und wachten am Morgen heiser mit zugeschwollener Nase und Halskratzen auf. Das wäre uns heute beinahe noch auf unserem Weg in den Sardinienurlaub zum Verhängnis geworden. Zur Aufnahme auf dem Fährschiff mussten wir eine einwandfreie Körpertemperatur vorweisen. Dieses gelang mir erst im dritten Anlauf, nachdem mich mehrere freundliche Kontrolleure fächelnderweise abkühlten.
Das brachte mich als Rehamedizinerin auf eine Idee: Die Aufführungen in den Theatern, Konzert- oder Opernhäusern sollten als Bootcamp zum Aufbau eines dem Covid-Winters angemessenen Immunsystems veranstaltet werden. „Die Oper: Ein Genuss für Ihre Ohren und Ihre Lymphozyten!“ Die Pausenverpflegung müsste natürlich noch angepasst werden. Online gäbe es beispielsweise einen heißen Ingwertee mit Kurkuma statt eines Hugos vorzubestellen.
Ich bin sicher, dass die Krankenversicherungen von dem Konzept zu überzeugen wären. Die Patienten bekämen Zuschüsse für ihre Opernbesuche und der Veranstalter einen Obolus als Präventionseinrichtung. Tagsüber könnte man die Konzertsäle noch weiter runterkühlen, damit Rheumatiker sie als medizinische Kältekammern nutzen. Und für den Anteil des Publikums, der es doch gerne etwas wärmer hätte, hat die Merchandising-Abteilung des Theaters gleich noch kuschelige Decken sowie die passende Abendgarderobe in Daune und Steppoptik und plüschige Ohrenschützer parat. Man sollte dann auch gleich zu Werbezwecken das Logo der Einrichtung gut sichtbar platzieren, passend zu den ebenfalls vertriebenen Masken aus Alpakawolle. Das würde dann auch noch das dringend benötigte Geld in die klammen Kassen der Kultureinrichtungen schwemmen. Und die gebeutelte Textilwirtschaft würde ebenfalls einen Aufschwung erleben. Ein Rettungsschirm, an dem sich der Staat sicher gerne beteiligen wird.
Liebe Kultureinrichtungen, sollten Ihnen meine zugegeben mehr als genialen Einfälle zusagen, dürfen Sie sich gerne an die Autorin des Artikels wenden. Gemeinsam ließen sich zukunftsträchtige Konzepte verwirklichen. Packen wir es an!
Dr. Petra Spelzhaus, 10. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Spontan sprang Dr. Petra Spelzhaus bei der Jazzahead 2019 für eine erkrankte Kollegin ein und berichtete vom Partnerland Norwegen für klassik- begeistert.de . Weitere Beiträge als Autorin folgten. Schon früh entstand der Kontakt zur Musik. Kaum dass Petra sprechen konnte, kannte sie schon sämtliche Komponisten ihres Quartett-Kartenspiels auswendig. Sie versuchte sich seit ihrer Kindheit an diversen Instrumenten, bis sie als Jugendliche auf ihre große Liebe, die Trompete, traf. Nach zunächst klassisch ausgerichteter Ausbildung stieß die gebürtige Bremerin auf Jazz- und Weltmusik. Da war ihr klar: „Ich will musikalisch frei sein und improvisieren!“ Namhafte Professoren besaßen die Geduld und nahmen sich ihrer an. Die Erkenntnis reifte: Je leichter und freier Musik klingt, desto mehr Schweiß steckt dahinter. Getreu ihrem Motto „Life is Jazz“, möchte die ganzheitlich tätige Ärztin Auge und Ohr auf klassik-begeistert.de weiten und der Jazzmusik Gehör verschaffen. Dr. Petra Spelzhaus ist auch Jazztrompeterin, sie lebt und arbeitet in München.