2024 beim Festival in Grafenegg gelangen dem Intendanten Buchbinder lauter Haupttreffer. Und eine spezielle Konstellation war, dass der ehemalige Chefdirigent der Staatskapelle Christian Thielemann drei Tage zuvor ein Konzert hatte, nachdem Daniele Gatti hier einen fulminanten Auftakt lieferte.
Konzert am 7. September 2024 im Wolkenturm, Grafenegg
Arnold Schoenberg: „Verklärte Nacht“ op. 4
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 in D-Dur
Staatskapelle Dresden
Dirigent: Daniele Gatti, Foto © Anne Dokter
von Herbert Hiess
Natürlich gedachte man auch hier der Jubilare; beispielsweise hier Arnold Schoenberg. Begann das Festival mit „Pelleas und Melisande“ (Rudolf Buchbinder, Klavier, Tonkünstler Orchester – Niederösterreich, Yutaka Sado, Dirigent Grafenegg, Wolkenturm, 6. August 2024 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)), führte man zum 150 Geburtstag des österreichischen Komponisten sein Meisterwerk „Verklärte Nacht“ auf.
Das Werk basiert auf einem fünfstrophigen Gedicht von Richard Dehmel, das von einem im Mondschein wandernden Paar erzählt, wo die Frau dem Mann gesteht, dass sie ein Kind von einem anderen erwartet. Der gutmütige Mann vergibt der Frau und sie gehen weiter im Mondschein dahin.
Schoenberg schrieb das Werk ursprünglich für Streichsextett 1899 und arbeitete es 1917 für ein großes Streichorchester um. Schoenberg war hier noch in der „tonalen“ Phase; klanglich erinnerte es vor allem an Gustav Mahler. Der Komponist verwendete die sogenannte Motivik dafür (wie eben auch Richard Wagner). Gerade im fünften Teil löste sich dieser Konflikt im sphärischen Dur auf.
Für das Orchester war das Werk eine strahlende Visitenkarte; so könnte man das von Daniele Gatti übernommene Orchester genießen. Der Maestro hat die einzigartige Gabe, hoch analytisch an die Werke heranzugehen und trotzdem lässt er niemals Gefühle und Leidenschaft vermissen.
Außergewöhnlich seine Schlagtechnik, die sehr an Lorin Maazel erinnerte. Selbst für Nichtmusiker klar und deutlich lässt er jeden Einsatz erkennen.
Nach dem fulminanten Schoenberg kam Gustav Mahler aufs Programm. Die Dresdner und ihr neuer Chef planen einen kompletten Mahler-Zyklus, auf den man sich nach diesem Konzert wahrhaft freuen kann und darf.
Dieser Abend in Grafenegg ließ eine der besten Interpretationen dieses Werkes von Dirigent und Orchester hören. Einen guten Monat zuvor führte das Europäische Jugendorchester dieses Werk am gleichen Ort auf (Isata Kanneh-Mason, Klavier, European Union Youth Orchestra (EUYO) Iván Fischer, Dirigent Wolkenturm, Grafenegg, 3. August 2024 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)). Natürlich etwas unfair für die jungen Leute; trotz der Super-Interpretation von Fischer merkte man an diesem Konzert mit den Dresdnern, was hier noch möglich ist.
Dieses Konzert darf, kann und soll man sich noch lange merken. Jede Stimme in der Partitur bekam durch Gatti ihre spezielle Bedeutung. Allein schon beeindruckend das flirrende A am langen Orgelpunkt im Orchester. Die Ferntrompeten waren erstmals „stereophon“ zu hören, was am Wolkenturm einen gewaltigen Eindruck hinterließ. Dann bei dem „Ging heut’ morgen übers Feld“ (aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“) war man voll in der Mahler’schen Welt.
Der Landler im zweiten Satz war tatsächlich so derb, wie er klingen soll. Gatti legte hier auch auf alle Stimmen wert; großartige Temporückungen machten das Ganze extrem spannend. Das Trio, das durch das exzellente Solohorn eingeleitet wurde, endete mit einem lieblichen Walzer.
Der dritte Satz war insofern überraschend, da das „Frère Jaques“-Motiv von allen Kontrabässen und nicht wie sonst solistisch gespielt wurde. Dieser Satz führt total in die jüdische Klezmer-Welt, die hervorragend von Dirigent und Orchester herausgearbeitet wurden. Mittendrin kamen wieder die Gesellen-Lieder zu Wort; hier „Die zwei blauen Augen“. Da hörte man die „Lindenbaum“-Passage als einer der berührendsten Teile der Symphonie. Leider wurde dieser Teil durch einen alten Mann „gecrasht“, der schon zum zweiten (!) Mal sein Handy laut und vor allem lange läuten ließ. Dadurch war der grandiose Übergang fast unhörbar.
Gatti und die Dresdner führten dann voll Inbrunst und Leidenschaft durch das Finale; hier zeigte sich das Orchester wieder von seiner allerbesten Seite. Sowohl Pianissimo wie strahlendes Forte werden hier mit einer unglaublichen Präzision gespielt.
Ah ja, Gedenktage! Im November jährt sich der Todestag von Giacomo Puccini zum 100. Mal. Deswegen gab es als Zugabe das Intermezzo aus seiner Oper „Manon Lescaut“. Dies mit so einer Inbrunst und Leidenschaft, die man sich immer in der Oper wünschen würde. Stellvertretend für alle solistischen Instrumente ein Lob an die großartigen Celli, dem Konzertmeister und eben den anderen.
Letztlich ein mehr als gelungener Auftakt für das Final-Wochenende des Grafenegger Festivals, das auch zeigte, dass die Staatskapelle bei Gatti in den allerbesten Händen liegt. Dieses Konzert wird man lange in Erinnerung behalten; trotz der dümmlichen Störungen von manchen Handybesitzern.
Herbert Hiess, 8. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at