Daniel Harding bringt den mächtigsten Sonnenaufgang der Welt ins Hamburger Flaggschiff-Konzerthaus

Swedish Radio Symphony Orchestra, Daniel Harding, Dirigent, Kirill Gerstein, Klavier  Elbphilharmonie, 8. März 2024

Elbphilharmonie © Maxim Schulz

In kaum einem Saal packt der mächtigste Sonnenaufgang der Welt dermaßen zu wie im Hamburger Flaggschiff-Konzertsaal namens Elphilharmonie. Da müssen selbst die Berliner Philharmoniker Platz machen! Daniel Harding und das Swedish Radio Symphony Orchester begeistern Einsteiger wie Kenner, und das nicht nur mit Richard Strauss!

Swedish Radio Symphony Orchestra
Daniel Harding, Dirigent
Kirill Gerstein, Klavier

Werke von Hugo Alfvén, Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Strauss

Elbphilharmonie, Hamburg, 8. März 2024

von Johannes Karl Fischer

Das würde ich selbst den Wiener Philharmonikern nicht zutrauen: Alfvén, Mozart und Strauss, drei Werke, drei Welten, ein Orchester. Da bekommt man erstmal eine sinfonische Dichtung des kaum gespielten Komponisten Hugo Alfvén zu Ohren – mit einer bunten Klangfarbenpalette malt das Orchester runde Klänge in dem Raum, ein bisschen wie im Märchenwald. Eine leichte Nebelluft  schimmert im Schatten, hier und da pfeift vielleicht der Hauch eines kühlen Windes. Ein bisschen romantische Tonmalerei, als hätte hier ein Maler seine Pinselstriche mit Melodien und Harmonien versehen…

Dann eine kurze Umbaupause, mit Mozart geht’s weiter. Wie verwandelt spielt das Orchester plötzlich kammermusikalisch intim, der Trommler wechselt schnell an ein paar historische Pauken, um die luftigen Mozart-Melodien zu komplementieren. Diese Einleitung war eine Sternstunde der Mozart’schen Eleganz, sorgenfrei und entspannt durch den Saal schwebend.

Weniger überzeugend spielte leider Kirill Gerstein den Klavierpart. Technisch war das alles blitzeblank sauber, und so wirklich schlecht war es auch nicht. Aber schon die ersten Melodien schienen mir einfach zu frei, mit zu viel Romantik-Infusion und zu wenig Mozart gespielt. Seine atemberaubende Virtuosität zeigte der Solist in den Kadenzen – alles schön und gut, hätte für mich aber mehr in eine ungarische Liszt-Rhapsodie als zu Mozart gepasst. Das gleich galt dem fast schon gehetzten dritten Satz, da fehlte ein bisschen der Milchschaum auf der Melange.

Kirill Gerstein © Claudia Höhne

Immerhin: Mitten im donnernden Applaus – meine Begeisterung für diesen Pianisten fiel im Publikum scheinbar unterdurchschnittlich aus – kündigte der Solist den Komponisten der bevorstehenden Zugabe wie auch der bereits gespielten Kadenzen an: Ferruccio Busoni. 20. Jahrhundert, Bach reloaded. Das hätte ich gerne vorher gewusst, dann hätte ich als Konzerthörer vielleicht die Kadenz besser in das Werk einordnen können. Aber nach dieser genial gespielten Zugabe hatte ich so oder so Lust viel Bravo zu rufen. Da sieht man mal, wie ein Bach-Choral auch heute noch toben kann, wenn man Busoni da dran lässt…

Zum Triumph des Abends geriet allerdings Richard Strauss’ Wurst-Nach-der-Speckseite-Tondichtung Also sprach Zarathustra. Das lag nicht zuletzt an dem einmaligen Instrumentarium dieses Konzertsaals: In kaum einem Saal packt dieses berühmte sehr tiefe Orgel-C mit seiner einmaligen Wirkung dermaßen zu. Die gepolsterten Sitze, die Mauern dieses heiligen Klangtempels begannen regelrecht zu vibrieren, zu brummen. Das war mehr als ein Sonnenaufgang, da kamen all die vielseitigen Facetten dieser Musik zum Schein. Die volle Macht der Musik eben!

Sorry, liebe Berliner Philharmoniker, da müsst auch ihr bzw. euer Saal Platz machen. Ich habe dieses Werk erst vor anderthalb Jahren bei euch gehört – übrigens auch mit Daniel Harding am Pult. Es war genial, und ja, die Bläsereinsätze waren bei euch vielleicht noch ein Ticken präziser als heute in der Elphi. Der Ausflug nach Berlin hat sich also gelohnt. Aber es hatte einfach nicht dieselbe Wirkung. Richard Strauss sprengte seinerzeit stets die Grenzen des musikalisch Machbaren. Diese Musik schreit noch heute stets nach mehr, da ist die Elbphilharmonie mit ihrer einzigartigen Akustik gerade gut genug!

Auch nach dieser überwältigen Darstellung des wohl berühmtesten Sonnenaufgangs ging es mehr denn befriedigend weiter. Daniel Harding reichte das Trompetenmotiv prägnant durchs Orchester, diese kleine Analysestunde dürfte auch für Einsteiger verständlich gewesen sein. Das Tanzlied schritt durch den Saal wie ein Ländler auf einer grünen Alm, die sehr zahlreichen Soli waren alle mit voller Leidenschaft gespielt. Ein Abend der musikalischen Extraklasse!

Dieses Konzert war Teil der Reihe „Elbphilharmonie für Einsteiger“. Also wenn das mein erstes Klassik-Konzert überhaupt gewesen wäre, das hätte mein Leben über Nacht durcheinandergewirbelt. Nur Thielemanns Wagner hat ein ähnliches musikalisches Suchtpotential. Und für die richtigen Einsteiger dürfte auch Kirill Gersteins Romantik-infusionierter Mozart mehr als ausreichend gewesen sein!

Johannes Karl Fischer, 8. März 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hamburger Symphoniker, Han-Na Chang Dirigentin, Mischa Maisky Violoncello Elbphilharmonie, 5. März 2024

Swedish Radio Symphony Orchestra / Gerhaher / Harding Wiener Konzerthaus, 5. März 2024

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