Foto: (c) Gisela Schenker, Michael Volle
Vor nicht einmal zwei Jahren sangen Klaus Florian Vogt und Michael Volle bei den Bayreuther Meistersingern als Stolzing und Sachs die Konkurrenz in Grund und Boden. In Hamburg wiederholt sich das Spiel, diesmal mit Tannhäuser. Selbst das Philharmonische Staatsorchester sorgt für mächtig Wagner-Furore im Graben. Tannhäuser at it’s finest!
Staatsoper Hamburg, 14. Mai 2023
Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Johannes Karl Fischer
Ich habe in letzter Zeit viele verdammt gute Wolfram von Eschenbachs gehört. Eiche, Gerhaher, Schuen, um so einige zu nennen. Nie hat einer die Konkurrenz dermaßen deklassiert wie der lyrisch gefärbte Heldenbariton Michael Volle, besser bekannt als DER Hans Sachs unserer Zeit. Seine starke, doch schwebende Stimme segelt haushoch durch die prächtige Halle des Landgrafen. Zu siegen kam er, nicht zu schauen.
Meister Michael Sachs kann also auch Eschenbach. Und wie! Völlig mühelos schwebt auch seine makellose Textverständlichkeit über dem musikalischen Getümmel der fast ein Dutzend weiteren Stimmen. Seine Abendstern-Arie zaubert den Mond und die Sterne mit sanfter Lyrik herbei, selbst Elisabeth würde dich diesem verzaubernden Gesang gnadenlos ergeben. Wenn sie denn nicht schon in dem Himmel aufgestiegen wäre…
Das alles scheint den hellen, doch heldenhaften Tannhäuser-Tenor Klaus Florian Vogt nicht zu beeindrucken. Er hat seinen Frieden gefunden, in den milden Düften der Venus-Welt ist er mit ihr zusammen wunschlos glücklich.
Genau mit diesem wunschlos glücklichen Gesang erweist sich der Dithmarscher Ausnahmetenor wieder einmal als Idealbesetzung eines Tannhäusers. Sei es in der Götter- oder Menschenwelt, seine Stimme segelt kampflos durch die ewigen Melodien der Hammerpartie. Wo andere völlig kaputt zusammenbrechen, legt sein Spaß erst richtig los, wenn er mit „Hast du im Venusberg geweilt“ auch noch den dämonischen Papst auf die Bühne bringt.
Nun will er zurück zu seiner Venus, zur Göttin der Liebe. Inmitten zwei allmächtigen Ausnahme-Sängern hat Claude Eichenberges umschwärmender Mezzosopran Publikum und Bühne fest im Griff. Wie eine fesselnde, singende Schlange von Lust und Liebe, aus dessen Umklammerung man gar nicht mehr herausmöchte. Es bleibt ein Mysterium, warum sich Tannhäuser dieser Gesangsgöttin nicht hingebungsvoll zu Füßen wirft. Die Macht der zwischenmenschlichen Liebe hat ihn eben fester im Griff…
Auch der Landgraf Hermann war mit dem Kwangchul Youn herrscherlich besetzt. Die Edlen seiner Lande hat er mächtig im Griff, sehr zahlreich erscheinen sie auf seinen Befehl. Sein röhrender, stimmstarker Bass ist ein überaus gern gesehener Gast am Gänsemarkt. Mit Chao Deng (Biterolf) und Dovlet Nurgeldiyev (Walther von der Vogelweide) komplettierten zwei wunderbar eher sanft singenden Gäste das Sängerfest in der fürstlichen Halle.
Einzig Dorothea Röschmann (Elisabeth) konnte in ihrer Rolle stimmlich nicht wirklich überzeugen. Zwar brillierte ihre Hallenarie mit viel Einsatz durchs ganze Haus. Doch passte ihre Stimme eher weniger zur unschuldigen, hilflosen Elisabeth und eher zu einer selbstbewussten Kämpferin. „Er kehret nicht zurück“, als wollte sie nun zum Papst rennen und ihm seinen Stab aus der Hand reißen. Oder gar selber mit ihrem Geliebten in den Venusberg flüchten…
Dagegen hält der herausragende Lauf des Philharmonischen Staatsorchesters ungebrochen an. Eine Wagner-Klangsuppe kocht im Graben, sei es mit flirrenden Venusberg-Streichern oder tönenden Festfanfaren der Trompeten. Und kaum ein Werk verträgt Kent Naganos ruhevolle tragende Klänge besser als Richard Wagners Tannhäuser. Der Pilgerchor steht im Saal wie in der Kirche, die Abendstern-Arie schwebt auf einem Klangteppich an Harfen und zupfenden Streichern. In der Ruhe liegt die Kraft. Das Geheimnis dieser Oper.
Zu dieser bilderbuchartigen Orchesterleistung passt auch Kornél Mundruczós bunte Inszenierung bestens. Zwischen Palmen und Blüten strahlt aus diesem Venusberg eine sonnige Wärme in den Saal, Tannhäuser und Venus leben mit ihrer sehr kinderreichen Familie wie Adam und Eva im Paradies. Demgegenüber steht die Welt der Menschheit mit ihrem alltäglichen, kämpferischen Wahn…Tannhäusers Ankunft in der „Freiheit“ wird prompt mit auf ihm gerichteten Pfeil und Bogen begrüßt.
Künstlerisch lässt die erste Wiederaufnahme im Vergleich zu der herausragenden Premiere von vor einem Jahr kein bisschen nach. Das war mal wieder Wagner at its finest! Leider war das Haus diesmal nicht annähernd ausverkauft… Die Verantwortlichen rund um Georges Delnon könnten dem Ruf dieses Hauses einen Bärendienst tun, würden sie ihren Spielplan mit künstlerisch exzellenten Aufführungen wie diese bestücken. Naja, der spielplanerische Rangierbahnhof in der Dammtorstraße ist gut gefüllt mit vielen herausragenden Produktionen. Wenn diese – Falstaff, Agrippina, Parsifal, um so einige zu nennen – hier endlich mal wieder ihren Weg auf die Bühne finden würden, müssten wohl Klaus Florian Vogt und Michael Volle auch in Hamburg nicht mehr vor halbleeren Sälen singen.
Johannes Karl Fischer, 15. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser Staatsoper Hamburg, 7. Mai 2023, Staatsoper Unter den Linden, 4. Mai 2023
Richard Wagner, Tannhäuser Staatsoper Unter den Linden, 4. Mai 2023