Auf der Suche, bei der Currentzis zwar mit dem Herzen eines Löwen kämpft, verliert er sich in Perfektion und Schönklang. Dass dabei auch sein Gefolge, wie einige das eigens von Currentzis gegründete Ensemble musicAeterna bezeichnen, ebenso alles gibt, ändert am Ergebnis leider nichts. Auch wenn Mahlers gigantischer Kosmos von allen mit viel Spielfreude und Energie ausgekostet wird, letztendlich fehlt etwas: Mahler nur richtig zu spielen, ist einfach zu wenig.
Foto: © Anton Zavjyalov
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 10. Oktober 2021
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 5
Teodor Currentzis, Dirigent
musicAeterna, Orchester
von Jürgen Pathy
Wenn Musiker zu Raubtieren werden, ist Teodor Currentzis nicht fern. Im Wiener Konzerthaus hat der Russe mit griechischen Wurzeln mal wieder alles gefordert. Dass die Musiker seines musicAeterna, des Ensembles, mit dem er aus Russland zu Weltruhm gelangt ist, dabei an ihre Grenzen stoßen, ist selten der Fall. Mahlers Fünfte erwies sich allerdings als Hürde.
Dabei ließen die äußeren Zeichen nichts davon bemerken. Nachdem Currentzis, wie üblich in enger, schwarzer Skinny-Jeans, den letzten Takt händeringend fast in der Luft zerreißt, tobt das Haus. Der Currentzis-Effekt ist deutlich zu spüren. Kaum ein anderer seiner Kollegen, die qualitativ auf derselben Stufe stehen, reißt die Massen zurzeit so mit. Anders lässt es sich nicht erklären, dass selbst nach der Vorspeise, so lange applaudiert wird, dass der charismatische Pultstar dreimal aufs Podium gelockt wird.
Alexey Retinskys „Anapher“, ein Werk, das in Österreich zum ersten Mal aufgeführt wird, erweist sich zwar als intensive Klangerfahrung. Ähnliches hat man allerdings schon öfters gehört. Der große Unterschied: Im Gegensatz zu Retinskys psychedelischem Klang-Experiment, waren die Publikumsresonanzen damals deutlich geringer ausgefallen. Dabei hatte Johannes Maria Stauds „Stromab“ 2017 genauso gewaltigen Eindruck hinterlassen.
Für Retinskys Zuspruch, der an diesem Abend auch anwesend ist, spricht allerdings auch, dass der 1986 auf der Krim geborene Komponist mehr Assoziationen zur Klassik oder Romantik zulässt. Während Stauds Werk eher in der experimentellen Filmmusik anzusiedeln wäre, fischt Retinsky, der das riesige Orchester mit Pfeifen ausstattet, um wildes Vogelgezwitscher zu simulieren, auch im Mahler’ schen Teich.
Der war an diesem Abend allerdings weniger tief als erwartet. Currentzis, der mit dem SWR-Symphonieorchester bereits Mahler-Symphonien geliefert hat, die Geschichte schreiben, findet mit musicAeterna nicht zum erwünschten Mahler-Klang. Auf der Suche, bei der Currentzis zwar mit dem Herzen eines Löwen kämpft, verliert er sich in Perfektion und Schönklang. Das Mystische, das teils Unbeschreibliche, das Tiefgehende, lässt er an diesem Abend vermissen. Dabei ist es doch Currentzis, der nicht müde wird, darauf hinzuweisen, was das Wichtige in der Musik sei: Nicht, was in den Noten steht, sondern dazwischen. Dass dabei sein Gefolge, wie einige das eigens von Currentzis gegründete Ensemble musicAeterna bezeichnen, unglaublich sauber und klar alles exekutiert, ändert am Ergebnis leider nichts. Auch wenn Mahlers gigantischer Kosmos von allen mit viel Spielfreude und Energie ausgekostet wird, letztendlich fehlt etwas: Mahler nur richtig zu spielen, ist einfach zu wenig.
Jürgen Pathy (Klassikpunk.de), 11. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de