Photos: Laila Salome Fischer
Waltraud Meier, Mezzosopran
Samuel Hasselhorn, Bariton
Joseph Breinl, Klavier
Staatsoper Hamburg, 20. Januar 2023
von Dr. Andreas Ströbl
Es war einer der Abende in der Hamburger Staatsoper, die man auf dem Heimweg als „denkwürdig“ bezeichnen möchte. Man darf sich ziemlich sicher sein, Waltraud Meier so nicht mehr erleben zu können und, um ehrlich zu sein, mischte sich nach diesem Liederabend mit Werken von Schubert, Brahms, Schumann, Strauss und Mahler eine gehörige Portion Wehmut mit dem Eingeständnis, dass man sich beim Zuhören mitunter etwas Sorgen gemacht hatte.
Eigentlich hätte die Veranstaltung heißen müssen „The art of Samuel Hasselhorn and Joseph Breinl with a heartfelt tribute to Waltraud Meier“. Natürlich – es ist alles noch da bei der großen Sängerin, die Intensität, der Ausdruck, die Präsenz, vor allem in den hohen Lagen. Da schwamm sie wie Schuberts Forelle durch die Partitur. Aber sobald es in die Tiefe ging, klangen manche Laute rauh und fast krächzend. Das tat mitunter ein bisschen weh. Es ist wie ein Herbstblatt, das all seine schöne Form bis in die feinsten Adern bewahrt hat, aber dessen Grün sich unumkehrbar umgefärbt hat.
Die Künstlerin weiß selbst, was sie noch leisten kann und folglich nahm sie im vergangenen Jahr ihren Abschied von der Mailänder Scala; der Hamburger Abend war laut Ankündigung der Staatsoper der letzte seiner Art in der Hansestadt.
Vom Programm her entsprach die Auswahl ganz den Lieblingsliedern der Mezzo- und dramatischen Sopranistin und sie bestritt diese romantischen bis spätromantischen Meisterwerke gemeinsam mit dem Bariton Samuel Hasselhorn und dem Pianisten Joseph Breinl, die sie immer wieder familiär und voller Respekt in ihre Mitte nahmen.
Hasselhorn sang auch die meisten Lieder des Abends, von denen die ersten fünf aus der Feder Franz Schuberts stammten. „Rastlose Ruhe“, „Der Zwerg“ und die „Litanei auf das Fest Allerseelen“ bestritt der Bariton mit voller starker Stimme, dabei mit soviel spielerischem Ausdruck, wie er im Liedvortrag eben möglich ist. Hasselhorn kann balladenhaft Geschichten erzählen und gibt den unterschiedlichen Rollen, Emotionen und Stimmungen ausgesprochen differenziert Gewicht und Charakter. Der weihevolle Ernst im „Allerseelen“-Lied war innig empfunden und frei von jedem Pathos.
Der Pianist Joseph Breinl ist dabei ein sensibler Begleiter mit viel Gefühl für die ganz zarten Stellen und einem treffsicheren Gespür für Kunstpausen. Er ließ sich Zeit, gab dem Gesang den entsprechenden Raum, aber wusste auch hörbar um die Qualität einer Begleitung auf Augenhöhe. Der Begriff der Kongenialität ist hier absolut angemessen.
In Waltraud Meiers „Gretchen am Spinnrade“ machte sie die Verzweiflung einer jungen Frau, deren Leben gerade in Scherben fällt, schmerzlich spürbar.
Die beiden Brahms-Lieder „Von ewiger Liebe“ und „An eine Äolsharfe“ teilten sich die beiden ebenfalls auf, wobei Hasselhorn vor allem durch eine leidenschaftliche Stärke brillierte.
Im Wechsel waren dann Lieder von Schumann und Strauss zu hören, nämlich von Ersterem „Tragödie“ und „Belsatzar“, von Zweiterem „Die Nacht“ sowie abschließend „Morgen“ und „Zueignung“. Dem anpackenden frischen Duktus Hasselhorns stand die Innigkeit Waltraud Meiers gegenüber, gerade die feinnervigen Stellen artikulierte sie mit Finesse und Anmut.
Der zweite Teil war ganz den Liedern Gustav Mahlers gewidmet, mit deren einzigartiger Mischung aus kindlicher Naivität und großen Gefühlen, ja entsetzlichen Dramen. Dem „Rheinlegendchen“ verlieh Waltraud Meier einen liebenswerten Erzählcharakter, während Hasselhorn in „Selbstgefühl“ dem hintergründigen Humor Mahlers mit viel Witz auf die Spur kam. Das „Lied des Verfolgten im Turm“ gestalteten beide sehr reizvoll im Dialog, bevor in „Das irdische Leben“ die furchtbare Geschichte vom Kind erzählt wird, das den Hungertod stirbt; Waltraud Meier gab dieser herzbewegenden Tragödie beklemmenden Ausdruck.
„Wo die schönen Trompeten blasen“ ist eines dieser Lieder, bei dem man erst am Ende gewahr wird, dass der Erzählende bereits tot ist, vom Bariton schmerzlich verdeutlicht, allerdings auch mit aller Zartheit, die der Text in sich trägt.
„Der Schildwache Nachtlied“ gestalteten dann wieder beide, mit von Hasselhorn delikat gesungenen Piano-Stellen. Auch in den ganz leisen Partien ist diese Stimme voll da, mit tiefer Empfindung des Texts. „Revelge“ gehört ebenfalls zu diesen Wunderhorn-Liedern, die das Soldatenleben und vor allem deren Sterben zum leidvollen Thema haben. Der Angriff der Geisterarmee ist ein schauerliches Bild, dem Hasselhorn echte Gänsehaut-Momente gab.
Waltraud Meier ließ anschließend den Heiligen Antonius von Padua den Fischen predigen, eine humorvolle Parodie auf diejenigen, die sich der wahren Botschaft verschließen, wenngleich sie in Schwärmen gekommen waren, „zu hören diesen Mund“. Dies Lied lässt sich wunderbar spielerisch gestalten, aber auch hier kam die Sängerin an ihre Grenzen.
Nach „Zu Straßburg auf der Schanz“, gesungen wiederum von Samuel Hasselhorn, beschloss Waltraud Meier mit dem zauberhaften „Urlicht“ den Abend und das ließ sie tatsächlich wunderbar und in aller Schönheit leuchten.
Dies letzte Lied und die Zugaben waren in der Tat das Beste dieser Veranstaltung, deren erste das Schumann-Lied von den beiden Grenadieren war, die in Russland gefangen wurden und das mit dem Marseillaise-Zitat die Treue zu einem Kaiser beschwört, der seinen letzten großen Feldzug verloren hat. Hasselhorn formte die Empfindungen der beiden geschlagenen Soldaten ungemein überzeugend, wenngleich die Ironie des Heine’schen Originals in der Vertonung kaum mehr wahrzunehmen ist.
Auf den „Erlkönig“ hatte man schon gewartet und dessen unheimliche Verführungskraft machte Waltraud Meier gekonnt und in ihrer dämonischen psychischen Gewalt spürbar. Die letzten beiden Worte des Satzes „In seinen Armen das Kind war tot“ sang, nein sprach sie mit solch harter Deutlichkeit, dass jegliche Romantik entwich. In solchen kleinen Gesten liegt oft das ganz Große, weil hier die erschreckende Wirklichkeit, die sich hinter vielen dieser Lieder verbirgt, offenbar wird.
Im Dialog und Duett gaben beide abschließend Mahlers „Trost im Unglück“ zum Besten, ein wirklich witziges Stück vom Husaren und dem Mädchen, deren Tändelei in der Mitteilung des jeweils einen an den anderen endet, dass aus dieser Verbindung wohl nichts wird. Das war so charmant, voller Humor und keckem Spiel, dass allein dafür herzlichster Beifall und Lachen erschollen. Es gab viel, sehr viel Beifall an dem Abend und der war geprägt von tiefem Respekt für das Lebenswerk einer ganz großen Sängerin und zahlreichen, sehr beachtlichen Gemeinschaftsleistungen.
Eine dankbare Gemeinde aus aufrichtigen Verehrern Waltraud Meiers feierte so noch einmal diejenige, deren Stimme sie zu hören gekommen waren, und durfte darüber hinaus über eine Veranstaltung glücklich sein, die sowohl einem hochbegabten Bariton und einem über die Maßen sensiblen Pianisten eine angemessene Bühne gab.
Dr. Andreas Ströbl, 22. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at