Foto: Berlin, Philharmonie 09/03/2022, The Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst. © Roger Mastroianni
Das Publikum reagierte begeistert und versuchte mit heftigem Applaus die Ausführenden über den peinlich leeren Saal hinweg zu trösten.
Wolfgang Rihm
Verwandlung 3
Verwandlung 2
Franz Schubert
Große Sinfonie C-Dur D 944
The Cleveland Orchestra
Franz Welser-Möst Dirigent
Philharmonie Berlin, 3. September 2022
von Peter Sommeregger
Das Musikfest Berlin lädt jedes Jahr zu Gastspielen prominenter Orchester aus der ganzen Welt ein, eine willkommene Gelegenheit, Vergleiche anzustellen. Dass diese Auftritte auf unterschiedliches Interesse des Publikums stoßen, musste das berühmte Cleveland Orchestra unter seinem langjährigen Chefdirigenten Franz Welser-Möst schmerzlich feststellen. Der große Saal war am 3. September nicht einmal zur Hälfte gefüllt.
Das nicht anwesende Publikum hat dabei durchaus etwas versäumt. Die großflächig angelegten Orchesterstücke Verwandlung 3 und 2, in dieser Reihenfolge gespielt, sind markante Kompositionen Wolfgang Rihms, in denen der Komponist seine virtuose Beherrschung des großen Orchesterapparates unter Beweis stellen kann. Dem ausführenden Orchester bieten die Stücke Gelegenheit, ihre solistischen Qualitäten und ihren harmonischen Zusammenklang zu demonstrieren.
Eines der großen symphonischen Meisterwerke der Wiener Klassik wird nach der Pause als wichtigster Programmpunkt realisiert: Franz Schuberts Große Sinfonie C-Dur (große, weil es eine frühere des Komponisten in der gleichen Tonart gibt) ist ein Schlüsselwerk am Beginn der Romantik. Franz Welser-Möst, seit vielen Jahren Chefdirigent des Orchesters, ist hier in seinem Element. Mit Sensibilität arbeitet er die zum Weinen schönen Themen heraus, hält dabei das polyphone Geflecht von Schuberts reifster Partitur stets transparent. Das Orchester kann dabei seine Vertrautheit mit diesem Repertoire einbringen. Ein satter, gedeckter Klang der Streicher und sichere Blechbläser sind ein Plus, im Gesamteindruck neigt man zu einer Bevorzugung der Streicher.
Schuberts opus magnum wäre beinahe nie erklungen, Robert Schumann entdeckte es in Wien im Nachlass des Komponisten, den dessen Bruder verwahrt hatte. Felix Mendelssohn brachte die Symphonie schließlich, lange nach Schuberts Tod, in Leipzig zur Uraufführung.
Der Österreicher Welser-Möst ist hier in seinem Element, gestaltet bis ins kleinste Detail feingliederig. Trotz der C-Dur Tonart klingt aber immer wieder eine tiefe Traurigkeit in dieser Musik durch. Schubert war zur Zeit der Komposition bereits todkrank. Ist es eine Ahnung des viel zu frühen, nahenden Todes?
Das Publikum reagierte begeistert und versuchte mit heftigem Applaus die Ausführenden über den peinlich leeren Saal hinweg zu trösten.
Peter Sommeregger, 4. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Das nicht anwesende Publikum hat dabei etwas versäumt.“ Ja, hat es, und zwar etwas Grossartiges, Mutiges, in sich zwingend Schlüssiges. Zu erleben war ein vom Aufführungscliché befreiter, vom Kopf auf die Füsse gestellter Schubert: kraft- und qualvoll, so wie er mir bis dato noch nie zu Ohren kam. Ein grandioser und von großem Respekt für den Komponisten zeugender Zugriff, für welchen wir dem Dirigenten in höchstem Maße zu danken haben.
Fred Howald