Pakistan statt Schottland
The Who and the What im Burgtheater Wien

The Who and the What, Ayad Akhtar, Burgtheater Wien, 17. November 2018

Fotos: © Reinhard Werner
The Who and the What, Ayad Akhtar, Burgtheater Wien, 17. November 2018

Zarina: Aenne Schwarz
Mahwish: Irina Sulaver
Afzal: Peter Simonischek
Eli: Philipp Hauß

Regie: Felix Prader
Bühne und Kostüme: Anja Furthmann
Licht: Norbert Piller
Dramaturgie: Klaus Missbach

von Gabriel Pech

Eigentlich sollte an diesem Abend Macbeth in der Burg auf der Bühne stehen. Leider machte ein heimtückischer Grippevirus diesem Vorhaben den Garaus und legte das Ensemble flach. Glücklicherweise war das Ensemble, das sonst in der Akademie spielt, verfügbar. Also wurden kurzerhand ein paar Stühle aufgestellt, ein riesiger Perserteppich angehängt, und schon hieß es The Who and the What in der Burg.

Augenscheinlich wollten nicht alle diesen Sprung vom Klassiker William Shakespeare zum Pulitzerpreisträger Ayad Akhtar mitmachen, was sich in den ausgedünnten Zuschauerreihen niederschlug. Die aber, die auf die angebotene Stornierung verzichteten, erlebten ein mitreißendes Theaterstück, welches sich durch seine Nahbarkeit auszeichnete.

Der Familienvater Afzal tut alles, um nach dem Tod seiner Ehefrau gut für seine beiden Töchter zu sorgen. Seine muslimische Überzeugung versucht er ihnen mit Liebe zu vermitteln, bis seine älteste Tochter plötzlich an diesem Fundament rüttelt.

Peter Simonischek (Afzal) © Reinhard Werner

Peter Simonischek erhielt noch am selben Abend den „Nestroy“ für seine Darbietung als pakistanisches Familienoberhaupt. Der Wiener Theaterpreis für den „Besten Schauspieler“ ist definitiv berechtigt für seine Leistung an diesem Abend. Als Afzal ist er witzig, sympathisch und angsteinflößend zugleich. Sein Standpunkt wirkt auf eine seltsame Art und Weise nachvollziehbar, so dass man weniger geneigt ist, ihn dafür zu verurteilen, als ihn eher zu bemitleiden. Jede seiner Gefühlsregungen ist motiviert und authentisch.

Die vereinzelten Lacher zünden zuverlässig beim Publikum, leider auch dann noch, wenn es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt. Das begründet sich wohl in einem fehlenden Kulturverständnis derjenigen, die lieber Macbeth gesehen hätten und nun eine „leichte Komödie“ erwartet haben.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Zarina, die älteste Tochter. Sie schreibt zuerst heimlich an einem Buch, welches die menschliche Seite des Propheten Mohammeds beleuchten soll und so bestimmte Teile des Korans in eine neue Perspektive rückt – unter anderem die Kopftuch-Thematik. Mit ihren drastischen Ansichten stößt sie auf wenig Verständnis bei der muslimischen Gemeinde und ihrem eigenen Vater, der sie deshalb verstößt.

Aenne Schwarz glänzt in dieser Rolle mit einer sympathischen Direktheit. Auch in Gefühlsausbrüchen bleibt sie angemessen beherrscht, was dem Charakter entspricht. Durch diese Kontrolliertheit ist ihr Spiel von unterschwelliger Emotionalität geprägt, die sich auch auf den Zuschauerraum überträgt.

Wir sehen sie als authentische Schwester, Tochter und Ehefrau gleichermaßen mit einer stabilen Überzeugung. Sie ist eine Freiheitskämpferin, der im realen Leben wohl viele gerne folgen würden.

Ihre Schwester Mahwish ist ein junges und wankelmütiges Mädchen, welches zerissen ist zwischen der Liebe zu ihrer Schwester und den traditionellen Ansichten ihres Vaters.

Irina Sulaver spielt ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau. Im Vergleich zu Schwester und Vater fällt sie aber etwas ab. So stellt sie Naivität und Wankelmut gut dar, wirkt aber zum Beispiel in dem Parteienwechsel von Schwester zu Vater unmotiviert und überstürzt. Sie wechselt sehr schnell von einer verständnisvollen Schwester, die immer zu Zarina hält, zu einer inbrünstigen Verfechterin des Islams, die ihre Schwester verstößt.

An anderer Stelle gelingt Sulaver die Darstellung des ambiguen Charakters phänomenal: In einer Beichte gegenüber ihrer Schwester gesteht sie, im Begriff zu sein, eine Affäre zu beginnen. Freudige Verliebtheit und tiefe Angst zerreißen sie. Diese Szene ist sehr mitreißend gestaltet und bietet tiefe Einblicke in ihren sonst etwas oberflächlichen Charakter.

Den Ehemann der ältesten Tochter Zarina hat ihr Vater für sie im Internet gefunden. Der junge Konvertit Eli verliebt sich aber trotz der seltsamen Umstände auf den ersten Blick in Zarina, und die beiden heiraten. Obwohl er schließlich wegen der problematischen Ansichten seiner Frau aus seiner Gemeinde verstoßen wird, hält er weiter treu zu Zarina.

Philipp Hauß (Eli), Aenne Schwarz (Zarina) © Reinhard Werner

Philipp Hauß spielt den treuen Gatten mit einer liebevollen Naivität. Im Gespräch mit dem Vater hat man zunächst Mitleid mit dem armen Verliebten, später findet er seine eigene „Männlichkeit“ und damit einen starken Charakter. Hauß stellt die Figur eher introvertiert und etwas vorsichtig dar. Diese Darbietung ist in sich schlüssig und stabil. An manchen Stellen wirken auch bei ihm Gefühlsschwankungen wenig motiviert, so zum Beispiel sein plötzlicher Streit mit Afzal, nachdem dieser Zarina zur Rede gestellt hat.

Insgesamt harmoniert das Ensemble perfekt, und es entsteht der Eindruck einer „ganz normalen Familie“. Akhtars mitreißendes Konversationsstück setzt Felix Prader in einer auf eben diese Konversationen fokussierten Inszenierung um. Die Bühne und Kostüme (Anja Furthmann) sind realistisch und minimalistisch gestaltet, nichts lenkt von der Handlung ab.

Als spontaner Ersatz für Macbeth trifft das Stück ein Publikum, dass es sonst wahrscheinlich nicht gesehen hätte. Gerade das hilft der kontrovers zu diskutierenden Thematik, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Die große Stärke des Stückes ist es, zu keiner Zeit einen erhobenen Zeigefinger oder alternativlose Argumente zu präsentieren, sondern lediglich mit starken Charakteren und mit deren starken Meinungen aufzuwarten.

So hat es hoffentlich auch in der Burg den einen oder die andere aus der jeweiligen Komfortzone gerissen und zum Nachdenken angeregt.

Gabriel Pech für klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de,
20. November 2018

Ein Gedanke zu „The Who and the What, Ayad Akhtar, Burgtheater Wien, 17. November 2018“

  1. Allein diese Kritik motiviert mich noch mehr, das Stück zu besuchen.
    Sie haben es mir richtig schmackhaft gemacht. Ich bin von beiden Hauptdarstellern ohnehin immer begeistert. Meine Erwartung ist daher äußerst positiv.

    Die nächste Vorstellung, für die es noch Karten geben wird, ist ja leider erst am 24. Jänner 2019 …

    Charlotte Varzgar

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