The Woods so Wild © Sybe Wartena
Joel Frederiksen hat mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern ein glitzernd schimmerndes Unikat geschaffen, einen anhaltenden Moment, der mich dem ganzen Rest der Wirklichkeit entreißt. Hörend. Tanzend. Große Freude sprudelt in mir.
Bayerisches Nationalmuseum, München, 15. Mai 2025
von Frank Heublein
An diesem Sonntagnachmittag interpretiert das Ensemble Phoenix Munich das Programm „The Woods so Wild“. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn vorab und danach wird das Publikum eingeladen, zu der Musik zu tanzen. Für mich, der eine Links-Rechts-Schwäche hat, bringt das erwartete Herausforderungen mit sich. Und bis vier zählen soll ich dazu noch (typisch Mann, dieses Gejammere).
Es ist schön, die Sonne scheint, es ist nicht zu warm. Optimales Tanzwetter. Im Innenhof des Mars-Venus-Saals ruft Tanzmeisterin Véronique Daniels die etwa fünfzig Menschen zu sich, die ein paar Schritte von Renaissance Tänzen lernen wollen, bevor das Konzert beginnt und für die Tanzsession danach. Ich bin, ich gebe es zu, nicht immer richtig abgebogen. Doch wir haben Spaß, die Stimmung ist gelassen ausgelassen. Félix Verry spielt nimmermüde Renaissance-Violine. Er hält sie wie ich es noch nie gesehen habe. Den Corpus nicht am Hals, sondern in der Armbeuge am Oberarm. Der Bogen erinnert mich an einen gebogenen Ast, welch verirrter Gedanke, aber durchaus atmosphärisch passend (typisch Mann, dieses Zurechtbiegen).

Der erste Schritt – offensichtlich waren auch im sechzehnten Jahrhundert die Rechtshänder und Rechtshänderinnen in der Überzahl – soll fest sein, erläutert Véronique Daniels. Drei Schritte vor, das linke Bein, die Herzseite, zuerst. Tip. Wieder zurück. Einer zur linken, dann einer zur rechten Seite. Gedreht wird sich fast immer zur linken Seite. Zur Brücke braucht es drei Paare. Zwei Paare, ein Fake und ich biege zur fremden Paarfrau ab, nur um dann mit „meiner“ zugewiesenen in acht Schritten zu Handhaltend drehen (nach links!), dann in der zweiten Strophe stattdessen den Schulter-Move und danach einhaken und kreiseln.
Das Training wirkt. Nach dem Konzert gehen die Schritte fast schon wie von selbst (typisch Mann, diese Selbstüberzeugung). Doch dann müssen wir das Tanzen lassen, die Schließzeit des Museums naht. Schade!
Zwischendrin, also im Konzert sind die Texte eindeutig verzehrend. Etwa bei „A pretty duck there was“: A tickling part that maidens love / But I can never get / Yet long have sought, and still do crave / At rest my heart to set (Ein neckisches Spiel, das Mädchen lieben, / doch ich bekomm’ es nicht. / Schon lang gesucht, es zu erringen, / den Frieden für mein Herz.). Es ist ein stimmliches Highlight. Emma-Lisa Roux’ Stimme strahlt so blau wie der Himmel, das sonore Lüftchen besorgt Bass Joel Frederiksen. Die beiden umschmeicheln mit Sam Chapmans Lautenbegleitung hoffentlich alle Menschen im Raum wie mich.

Bei „O lusty May“ (Anonym) setzt Gambistin Giovanna Baviera auch ihre Mezzostimme mit warmen Timbre ein. Sopran Emma-Lisa Roux setzt stimmlich heller darüber und zuletzt stimmt Bass Joel Frederiksen grundierend ein in „O lust’ger Mai“.
In Thomas Robinsons „Now Cupid, look about thee“ singt Emma Lisa Roux „In men there is no passion, / Love is so out of fashion!“ (In den Männern steckt keine Leidenschaft, Liebe ist sowas von aus der Mode!). Könnte doch auch eine Zeile im ESC gestern gewesen sein!? Die Gambe wandert in die Hände der Flötistin, damit der Mezzo die Hände frei hat zum Solo von „Will you buy a fine dog?“ Hier erfahre ich, dass es (mindestens) ein Sexspielzeug bereits im 16. Jahrhundert gab.

Thomas Campions „The peaceful western wind“ ist instrumental, die Füße stampfen den Takt so ansteckend, dass ich anfange fußzuwippen. Tabea Schwartz spielt gleichzeitig Blockflöte und Triangel, im unterschiedlichen Takt, sonst wäre es ja langweilig.
Und dann wird gespielt und getanzt. Tanzmeisterin Véronique Daniels hat ihre Künste auch an die Musikerinnen und Musiker weitergegeben. Zuerst tanzt sie mit Tabea Schwartz. Ein Wort fällt mir dazu ein: pure Fröhlichkeit.
Ausgelassen geht es in ein letztes Lied mit Gesang. Das Trio Roux, Baviera, Frederiksen ist am Start mit „It was a lover and his lass, / With a hey, and a ho, and a hey nonino“ (Ein Liebster und sein Mädel schön, Mit einem hey und einem ho und einem jucheisasa). Zu Shakespeares Text aus „Was Ihr wollt“ hat Thomas Morley die schmissige Melodie komponiert. Zum Schluss tanzen alle zum Takt, den Gambistin Giovanna Baviera vorgibt. Es ist der Tanz, den wir vor dem Konzert geübt haben.
Joel Frederiksen hat mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern ein glitzernd schimmerndes Unikat geschaffen, einen anhaltenden Moment, der mich dem ganzen Rest der Wirklichkeit entreißt. Hörend. Tanzend. Große Freude sprudelt in mir.
Frank Heublein, 16. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
The Woods so Wild
Anonym: Will Yow Walke the Woods soe Wylde
Anthony Holborne (ca. 1545-1602): Pavan, Nr. 11
Anthony Holborne: Galliard, Nr. 12
In the Merry Month of May
Anonym: O lusty May
Robert Parsons (ca. 1535-1572): Replete for Three Lutes
Anonym:In a Garden so Green
Dr. John Wilson (1595-1674): In the merry month of May
Peter Phillips (c. 1560-1628): Phillips Paven and Galliard
Anonym: Nuttmigs and Ginger
Of Love and Desire
Thomas Robinson (ca. 1560-ca. 1610): Now Cupid, look about thee
Thomas Campion (1567-1620): A pretty duck there was
Anonym: My Dog and I / Bobbing Joe
Thomas Morley (1557-1602): Will you buy a fine dog?
Anonym: The Joviall Broome Man / Jamaica
Giles Farnaby (ca. 1562-1640) : The Old Spagnoletta
John Bull (ca. 1562-1628): Spanish Paven
In Spring Time
Thomas Campion: The peaceful western wind
Anonym: This merry pleasant Spring
Thomas Morley: It was a lover and his lass
Anonym: Pipe and Tabour
Anonym: Grimstock
Tanzen!
Anthony Holborne: The Night Watch
Anthony Holborne: The Fruit of Love
Playford Country Dances, First Edition: 1651
Anonym: Sellenger’s Round
Anonym: Mage on a cree (circle for 6 (3 couples))
Anonym: Hearts ease (for 4 (2 couples) in a square)
Grimstock (longways for 6 (3 couples)) Concert Tutti dance
Emma-Lisa Roux – Sopran, Laute, Tanz
Giovanna Baviera – Mezzo, Viola da Gamba, Tanz
Félix Verry – Renaissance-Violine, Tanz
Tabea Schwartz – Blockflöte, Einhandflöte, Triangel, Trommel und Viola da Gamba, Tanz
Sam Chapman – Cittern, Laute, Tanz
Joel Frederiksen – Bass, Bandora, Laute, Tanz, Leitung
Véronique Daniels – Tanzmeisterin
Ensemble Phoenix Munich Bayerisches Nationalmuseum, München, 30. März 2025
Ensemble Phoenix Munich Bayerisches Nationalmuseum, München, 6. Februar 2025
Ensemble Phoenix Munich Bayerisches Nationalmuseum, München, 17. November 2024