Orgiastische Orgel und der vielleicht virtuoseste Organist der Welt
Elbphilharmonie Hamburg, 15. März 2018
Thomas Trotter Orgel
Johann Sebastian Bach, Präludium und Fuge e-Moll BWV 548
Carl Philipp Emanuel Bach, Fuge über B-A-C-H, Sonate Nr. 3 F-Dur Wq 70/3
James MacMillan, Le tombeau de Georges Rouault
Richard Wagner, Ouvertüre zu »Rienzi« / Arrangement für Orgel: Edwin Henry Lemare
Edwin Henry Lemare, Rondo capriccio (A Study in Accents) op. 64
Edward Elgar, Sonate G-Dur op. 28
Zugabe: Moritz Moszkowski, Serenata op. 15/1
Edward Elgar, Land of Hope and Glory aus »Pomp and Circumstance«
von Sebastian Koik
Festzelt-Stimmung in der Elbphilharmonie. Das Publikum schlägt sich auf die Schenkel und klatscht mit. Es ertönt Land of Hope and Glory aus »Pomp and Circumstance« und man fühlt sich wie in der Royal Albert Hall bei der großen Party der BBC Proms. Nur spielt hier kein großes Orchester, sondern ein einziger Mann an der Orgel.
Der Mann heißt Thomas Trotter und gilt als einer der besten Organisten der Welt. Dieses Stück ertönt als letzte Zugabe und ist eine herrliche Demonstration über die Macht der Orgel. Und sie zeigt, welch‘ bravouröser Musiker dieser englische Organist ist. Besser kann man dieses Stück nicht spielen! Die Interpretation und die Stimmung im Saal sind schlichtweg sensationell. Der Saal jubelt glückstrunken und hellauf begeistert.
Hamburg ist eine Orgelstadt! Es gibt viele großartige Exemplare dieser „Königin der Instrumente“ in der Hansestadt. In Hamburg entstanden Innovationen im Orgelbau und lebten und wirkten bedeutende Komponisten für diese Musik. Es gibt den Orgelsommer und wöchentliche Orgelkonzerte in einigen der Hauptkirchen. Die „Stunde der Kirchenmusik“ mittwochs 17.15 Uhr in St. Petri bietet gelegentlich auch Konzerte mit anderer Musik an, doch fast immer ertönt hier die Orgel. Mit der bald 3500. Ausgabe ist dies übrigens höchstwahrscheinlich die längste Konzertreihe, die es auf unserem Planeten gibt. Kurzum: Hamburg ist verwöhnt und sehr anspruchsvoll, wenn es um Orgelmusik geht!
Und seit dem 11. Januar 2017 ist die wunderbare Hamburger Orgellandschaft um eine weitere Attraktion reicher: Die spektakulär ins Gebäude integrierte Orgel der Elbphilharmonie!
Wenn man einen Komponisten zum Pflichtteil eines Orgelprogramms erklären möchte, so ist dies der unvergleichliche Johann Sebastian Bach. So beginnt das Konzert auch mit Präludium und Fuge e-Moll BWV 548 des deutschen Genies.
Das Stück verlangt einem Musiker große Virtuosität ab, die Thomas Trotter mit fast unfassbarer Leichtigkeit nimmt. Falls die Menschheit eines Tages außerirdische Lebensformen beeindrucken möchte, so ist es wohl kaum möglich, etwas Besseres zu finden, als eine Vorführung von Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge e-Moll BWV 548. Ein Mensch an einem Instrument erschafft ein komplexes, massives und bezauberndes Klanggebilde, das überwältigt. Und Thomas Trotter ist vielleicht die Bestbesetzung für eine solche Demonstration menschlichen Leistungsvermögens.
Zauberhaft wirbeln Trotters Finger über die vielen Manuale. Orgiastisch entführt der Organist die Zuhörer in herrliche und rauschhafte Welten, in denen das Licht tanzt. Dieser Thomas Trotter ist ein Vollblut-Virtuose!
Im zweiten Stück bleiben wir in der Bach-Familie. Trotter spielt Carl Philipp Emanuel Bachs Fuge über B-A-C-H, Sonate Nr. 3 F-Dur Wq 70/3. Im Gegensatz zur Opulenz von zuvor ist dies ein sehr schlankes Stück, kammermusikalisch elegant. Es bezaubert elegant, statt klangmächtig zu überwältigen.
Vielleicht ist Thomas Trotter der virtuoseste Organist der Welt. Stücke wie Elgars Land of Hope and Glory und die schnellen und massiven Passagen aus Bachs Präludium und Fuge kann man nicht besser spielen. Doch der beste Organist der Welt ist er trotz seiner wahrscheinlich unvergleichlichen Vita und seiner zahlreichen Auszeichnungen nicht.
In nicht ganz so schnellen Passagen ist Trotters Spiel im künstlerischen Ausdruck suboptimal. So holt er auch hier in Carl Philipp Emanuel Bachs Fuge nicht alles aus der Komposition heraus. Oft ist er zu zögerlich, zu wenig zupackend, auch fehlt es oft an Leichtigkeit und er interpretiert nicht tänzelnd genug. Teilweise mangelt es auch an Tiefe in seiner Darstellung.
Das dritte Stück des Abends, James MacMillans Le tombeau de Georges Rouault irritiert einen größeren Teil des Publikums, löst Unwohlsein und Befremdung aus. Es geht in dieser Komposition im Wesentlichen um die Leiden Christi, das Stück ist sehr beunruhigend, düster und schwer und ein wenig schräg. Trotter gelingt es wunderbar, diese Atmosphäre heraufzubeschwören. Es sind unheimliche Welten mit bedrohlichen Attacken.
Die Musik mag nicht jedem gefallen, doch Thomas Trotter zeigt sich in diesem immens fordernden Stück technisch und künstlerisch grandios stark. Es ist beeindruckend, wie hier nicht nur die Hände über die Tasten und Manuale, sondern auch die Füße über die Pedale wirbeln.
Bei den nächsten drei Stücken von Richard Wagner, Edwin Henry Lemare und Edward Elgar bestätigt sich immer wieder: Je mehr Virtuosität verlangt wird, je wilder die Musik ist, desto besser ist der Organist Thomas Trotter.
In Wagners Rienzi-Ouvertüre ist beispielsweise extrem viel und sehr sportliche Beinarbeit gefragt. Die größten Sprünge von links nach rechts und zurück oder gar spagat-ähnliche Körperstellungen nimmt der Engländer mit Leichtigkeit. Das Finale gelingt ihm wunderbar.
Doch abseits der virtuosen Passagen vermag Trotter über weite Strecken in den letzten beiden Stücken des Programms nicht wirklich zu überzeugen. Sein musikalisches Timing ist suboptimal oder teilweise gar schwach. Hier kommt sogar etwas Langeweile auf.
Das Husten im Saal wird immer lauter. Es steigert sich zu regelrechten Hustenorgien, die erst im wieder virtuosen Schlusssatz aus Elgars Sonate deutlich abebben. Was das Publikum und sein rücksichtsloses Husten betrifft, war das gewiss einer der allerschwächsten Abende in diesem schönen Saal.
Doch mit Edward Elgars Land of Hope and Glory in der Zugabe bricht dann die Ekstase aus, und die Elbphilharmonie wird für Minuten sicher zum gewiss besten und glücklichsten Ort der Welt.
Sebastian Koik, 24. März 2018,
für klassik-begeistert.de
Foto: Adrian Burrows