Archiv: Myung-Whun Chung am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden © Matthias Creutziger
Wer dem Tokyo Philharmonic Orchestra folgt, weiß, dass es aktuell durch Europa tourt. Auch klassik-begeistert hatte bereits von dem Konzert in Wien berichtet. In Düsseldorf kommt diese Reise nun ausgerechnet zum Beginn der rheinländischen Karnevalssaison zu einem Ende. Dabei spielt das Orchester Stücke, die sowohl unter Klassikfreunden, als auch aus der Popkultur bekannt, wenn nicht sogar berühmt sind. Ein Programm, das trotz Beginn der Narrensaison den Saal fast bis zum Überquellen füllt. Aber können die Gäste auch mit solcher Klassik aus der Retorte punkten?
Tokyo Philharmonic Orchester
Myung-Whun Chung, Dirigent
Makoto Ozone, Klavier
Leonard Bernstein – Symphonic dances aus dem Musical „Westside Story“, (1957)
George Gershwin – Rhapsody in Blue, arrangiert von Ferde Grofé (1924)
Sergej Prokofjew – Romeo und Julia – Auszüge aus den sinfonischen Suiten op. 64a und op. 64b (1936)
Zugabe:
Johannes Brahms – Ungarischer Tanz Nr. 1 in g-moll (WoO 1, 1858 – 69)
Tonhalle Düsseldorf, 11. November 2025
von Daniel Janz
Braucht es überhaupt ständig große Neuentdeckungen, um ein Konzert zum Erfolg zu führen? Das Programm der japanischen Gäste erscheint jedenfalls so, als würde man lieber auf Altbewährtes als auf Experimente setzen. Die Symphonischen Tänze aus Leonard Bernsteins Westside Story stellen an diesen Abend nämlich nur den ersten von vielen Titeln dar, die manch einer schon als ausgelutscht bezeichnen würde. Ja, einen Originalitäts-Preis würde dieses Programm sicher nicht gewinnen.
Es beginnt mit zwei amerikanischen Klassikern voller Schwung, die unterschiedlicher kaum sein könnten
Was aber zählt ist, wie sehr ein Konzert das Publikum in seinen Bann zieht. Und das gelingt mit dem ersten Werk. In einer Art Best-of swingt das Orchester durch die Höhepunkte des von Leonard Bernstein auskomponierten Musicals. Fanfarenstöße treiben das erste Thema an, immer wieder blitzen die Holzbläser sensibel hervor, an einigen Stellen braust die Musik über einen hinweg, feurige Rhythmen reißen mit ins Großstadtleben der 50er Jahre und mittendrin finden sich Szenen voller Schönheit und Anmut. Ja, hier entsteht der Eindruck, dass das heute vielleicht eine Sternstunde der Musik werden könnte, wie es wohl auch schon in Wien der Fall gewesen ist.
Noch bekannter, als die Westside Story ist die Rhapsody in Blue von George Gershwin, ein Werk, das nicht nur mittlerweile Popstatus hat, sondern darüber hinaus vor allem wegen seiner technischen Unzulänglichkeit berüchtigt ist. Ja, das hier stellt einen Griff tief in die Kiste „Klassischer Schlager“ dar. Aber Schlager haben eben auch an sich, dass sie ihr Publikum finden und ergreifen können.
Leider aber fällt mit diesem Werk auch die künstlerisch/musikalische Qualität ab. Das Klarinettensolo gelingt noch frei und bewegt, aber schon beim ersten Tutti wirkt das Dirigat des Südkoreaners Myung-Whun Chung (72) eher routiniert als sinnlich. Nun ist ein Dirigat mit sparsamer Gestik noch kein Makel. Er besinnt sich aber zu sehr auf technisch trockenes Taktschlagen und prescht damit auch noch so durch, dass die Klänge zu wenig Raum zum Atmen und Ergreifen haben. Zu den sensiblen Parts, wie dem „Liebes-Thema“, beweist sich das leider als Manko. Sternstunde? Ade.

Prokofjew zwischen Routine und meisterhafter Komposition
Mit Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ ist dann der Griff in die Mottenkiste der Konzertklassik komplett. Auch die Aufführung heute reiht sich ein in die Liste jener Konzerte, die sich auf dieselben Höhepunkte des im Original mehrstündigen Balletts reduzieren. Angefangen beim berüchtigten „Tanz der Ritter“, der sonst schon ein Klischee darstellt und heute auch noch recht matt erscheint. Stärkeres Aufstampfen vom Trommel und Tuba hätte hier gutgetan. So aber bleibt die Ausdruckskraft, die Westside Story noch erreichte, unerreicht. Das hat man schon überzeugender gehört.
Bei den anderen Parts zeigt Myung-Whun Chung dieselbe Tendenz wie schon in der Rhapsody in Blue: Zackiges Dirigat mit (zu) wenig Luft, um auf einzelnen Klängen zu verharren. Dadurch strafft er Prokofjews tolle Musik so sehr, dass ihr Potenzial ein Stück weit auf der Strecke bleibt anstatt sich zu entfalten. In „Masken“ entsteht zwar ein tänzerisches Moment, aber es bleibt trotz brillierender Soli von Trompete, Oboe und Klarinette zu hastig. Auch Tybalts Tod beginnt stürmisch, verstört aber nicht.
Immerhin – zwei der ausgewählten Tänze überzeugen solistisch. Überhaupt sind es heute vor allem die Bläser, die die Musik tragen. Die Streicher sind zwar sauber, aber bleiben lange unspektakulär, erst bei Julias Tod entfalten sie auch wieder Gefühl zu filigranem Technikspiel. Und das Schlagwerk bleibt nahezu durchgängig matt. Dadurch fehlen auch die starken Akzente, die sonst in dieser Musik verankert sind.
Das merkt man auch beim Abschlussapplaus. Dieser ist artig und sorgt immerhin dafür, dass das Orchester mit einem weiteren Griff in die Kiste der überspielten Klassiker den Ungarischen Tanz Nr. 1 von Brahms bedient. Aber Prokofjews Romeo und Julia ist ein Werk, das normalerweise den Saal zum Beben bringt. Ein Werk, bei dem es das Publikum zu frenetischem Jubelapplaus aus den Stühlen reißt. Dass das heute ausbleibt, sagt Einiges aus. Von der erhofften Sternstunde ist am Ende jedenfalls nur eine Nummer geblieben, die sich in weiten Teilen der Routine ergab. Da hätte man wirklich mehr erhoffen können.
Daniel Janz, 12. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tokyo Philharmonic Orchestra / Vengerov / Chung Wiener Konzerthaus, 8. November 2025