Foto: TOZ rabaukenhai (c) Reinhard A.Deutsch
Insgesamt kann man wohl von einer zufriedenstellenden Darbietung mit teils exzellenten Einzelleistungen sprechen. Mehr Schärfe im ersten und deutlich mehr Pepp im letzten Satz hätten daraus jedoch sicher eine Sternstunde für die Ewigkeit geformt. Insofern darf es beim nächsten Mal gerne etwas mehr Mut sein.
Kölner Philharmonie, 1. Dezember 2025
Tonhalle-Orchester Zürich
Züricher Sing-Akademie
Paavo Järvi, Dirigent
Mari Eriksmoen, Sopran
Anna Lucia Richter, Mezzosopran
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 2 c-moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester – „Auferstehungssinfonie“
von Daniel Janz
Es ist doch eine Freude, dass Mahlers Musik nach der Corona-Pandemie so in unser Konzertleben zurückfindet. Denn vor 2 Jahren erst entstand der Eindruck, dass Mahlers zweite Sinfonie unterrepräsentiert sein könnte. In der Zwischenzeit ist sie (zumindest im Rheinland) so oft aufgeführt worden, dass hier wohl nur wenige andere Stücke so präsent sein dürften. Und mit der heutigen Aufführung leisten die Gäste aus Zürich einen weiteren Beitrag dazu, sie im Konzertleben auch zu festigen.
Mahlers Auferstehungs-Epos ist eines jener Werke, das man zurecht als eine eigene Welt bezeichnen kann. Als Zuhörer ist dieses Werk nicht einfach nur Musik; es ist ein Erlebnis! Diese Sinfonie kennt Höhen und Tiefen, dramatische Ausbrüche, reißt einen aus idyllisch schönen Szenen in verstörend tiefes Leid und endet mit der apokalyptischen Vorstellung einer neuen Welt. Diese Ambivalenz macht sie zu einem Stück, an dem sich regelmäßig auch Interpreten die Zähne ausbeißen. So auch heute.
Eine Auferstehungssinfonie der leisen Töne
Von Anfang an überwiegt in dieser Aufführung der Hang zu sensiblen Töne. Der estnische Dirigent Paavo Järvi (62) führt das Tonhalle-Orchester Zürich heute mit einem sehr auf Ordnung bedachten Dirigat. Das hat seine Stärken, wirkt stellenweise aber zu zahm. Denn im ersten Satz stehen den sensiblen Klängen auch Episoden gegenüber, die aufbrausen sollen. Dass hier ein Sarg aufgebahrt und in einer verstörenden Predigt vom Jüngsten Gericht gezetert wird, kauft man ihrer Interpretation dann doch kaum ab. Dafür spielen sie diesen Satz wirklich zu artig.

Jedoch entfalten sich dadurch die leisen Töne. Die hoffnungsvollen Passagen des Englischhorns können in einen regelrechten Sog mitreißen. Und die Passagen mit tiefen Harfenklängen und Tamtam haben etwas Schauriges. Selten hört man das so feinsinnig, auch wenn das je nach Geschmack vielleicht zu traummalerisch sein mag.
Satz 2 und 3 gelingen unter ihnen zu Kleinoden der Sensibilität. Zwar wählt Järvi beim zweiten Satz einen etwas hastigen Einstieg. Daran gewöhnt man sich jedoch schnell, da sein Fokus auf die vielen Details in den Nebenstimmen gut unterhält. So formt er auch Stellen zu wunderbaren Melodien aus, die sonst eher untergehen.
Toll arbeitet er beispielsweise die sanglichen Läufe von Celli und Violen heraus. Stets präsent und dadurch als Geschenk für die Ohren erscheinen die Holzbläser, unter ihnen vor allem die Flöten. Die Hörner finden eine ideale Balance zwischen Stärke und Sensibilität. Und hervorstechen kann heute auch das Kontrafagott – ein Instrument, dessen röhrender Bass sonst eher im Gemenge verschwindet.
Auf den erlösenden Durchbruch wartet man heute lange
Hinter den Erwartungen zurück bleiben stattdessen lange Zeit die Trompeten und das tiefe Blech. Am weniger überzeugenden Gelingen im ersten Satz tragen sie eine gewisse Mitverantwortung, denn zu durchschlagender Klangkraft reicht es erst, als im letzten Satz die überzeugend klaren Bläser im Fernorchester und auf der Bühne alle 6 Trompeten ins Geschehen eingreifen. Auch das Schlagzeug führt lange Zeit nur Dienst nach Vorschrift aus, bevor es im letzten Satz endlich losdonnern kann. Das hat man das schon überzeugender gehört. Da hat der Schlusssatz viel auszugleichen.

Leider ist es aber genau dieser letzte Satz, in dem Järvi die meisten fragwürdigen Entscheidungen trifft. Zur Weltuntergangsfuge entdeckt er beispielsweis einen Hang zur Langsamkeit, der in dieser brachialen Episode auch noch den letzten Funken Feuer erstickt. So langweilig hat der Rezensent diese Stelle wohl noch nie gehört. Und die künstlerische Entscheidung, die Glocken beim Fernorchester zu positionieren, erscheint bestenfalls ungeschickt. Denn gegen die Klanggewalt von Orchester, Orgel und Chor in den letzten Takten dieser Komposition, kommt ihr Ton aus der Entfernung kaum zur Geltung. Das sind vertane Chancen, fast schon Enttäuschungen.
Trotzdem gelingt das Finale dank guter bis hervorragender Gesangsleistungen. Die Frauen und Männer der Züricher Sing-Akademie bieten den Schlusshymnus am Ende mit der entsprechenden Stimmenstärke dar. Und das Solo der norwegischen Sopranistin Mari Eriksmoen (42) klart vor allem in der Höhe auf. Was ihr ein Stück weit an Textverständlichkeit fehlt, gleicht sie mit Gefühl uns Ausdruck aus.
Ganz von einem anderen Stern ist indes der Gesang von Anna Lucia Richter (35) aus Köln. Schon im Urlicht-Satz sticht sie mit beeindruckender Klarheit in Stimme sowie im Textverständnis hervor. Und im Finale setzt sich ihr lieblich warmer Mezzosopran mühelos selbst noch gegen Chor, Orchester und Orgel bis in die letzten Reihen des Saals durch. Wenn sie bereits hier so viel leisten kann, wie sehr muss sie dann erst in größeren Rollen beeindrucken? Eine absolute Glanzleistung! Der Rezensent ist versucht, hier von einer ernstzunehmenden Neuentdeckung zu sprechen.

Am Ende erlebt man, dass Mahlers Musik selbst bei nicht idealer Aufführungsweise ergreift. Denn nachdem der letzte Ton verklingt, bricht umjubelter Applaus aus, zu dem sich viele aus ihren Sitzen erheben. Allerdings fallen auch dutzende Zuhörer auf, die den Saal zügig verlassen. Hat diese Aufführung also doch nicht alle begeistert?
Insgesamt kann man wohl von einer zufriedenstellenden Darbietung mit teils exzellenten Einzelleistungen sprechen. Mehr Schärfe im ersten und deutlich mehr Pepp im letzten Satz hätten daraus jedoch sicher eine Sternstunde für die Ewigkeit geformt. Insofern darf es beim nächsten Mal gerne etwas mehr Mut sein.
Daniel Janz, 2. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Musikverein Wien, 21. November 2025
Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi Elbphilharmonie, 10., 11. und 12. November 2022