Den Bösewicht, den find ich toll, doch das ist nur die halbe Miete. Die neue Tosca-Inszenierung in München überzeugt mich nicht

Giacomo Puccini, Tosca (1900)  Nationaltheater, München, 20. Mai 2024

Tosca 2024 © Wilfried Hoesl

Tosca (1900)
Komponist   Giacomo Puccini (1858-1924)
Melodramma in drei Akten
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
nach dem Schauspiel La Tosca von Victorien Sardou

Musikalische Leitung   Andrea Battistoni

Inszenierung   Kornél Mundruczó
Bühne und Kostüme   Monika Pormale
Licht   Felice Ross

Chöre   Christoph Heil

Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Statisterie der Bayerischen Staatsoper

Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Münchner Knabenchor

Nationaltheater, München, 20. Mai 2024

von Frank Heublein

An diesem Abend feiert Tosca von Giacomo Puccinis Tosca im Nationaltheater in München in einer Neuinszenierung Premiere.

Ein guter Bösewicht ist die halbe Miete. Genau! An diesem Abend mehr als das. Bariton Ludovic Tézier verkörpert den Scarpia als tolles Ekelpaket. Gemein, gierig, fies. All das transportiert Tézier stimmlich und er verkörpert diesen fiesen Sack abschreckend gruselig. Der Bariton findet die Abgründe seiner Partie in seiner Stimme und seinem Spiel. Brrrr!

Tosca 2024, L. Tézier © Wilfried_Hoesl

Er obsiegt schon im ersten Akt über das Orchester. Differenziert, lockend lässt er sein Opfer Tosca zappeln, um ihr dann entschlossen, stark und streng die stimmliche Pistole auf die Brust zu setzen. Souverän und voller Kraftreserven. Bis in den Tod hinein überzeugt mich Tézier voll und ganz.

Tosca 2024, E. Buratto, C. Castronovo © Wilfried Hoesl

Ein guter Bösewicht ist die halbe Miete. Nicht nur bei James Bond. Auch bei Tosca. Aber nur eben die halbe. Im ersten Akt liegt es am Orchester. Ich höre die Stimmen sich nur gelegentlich mühsam über den Orchesterklang durchkämpfend. Im zweiten und dritten Akt findet das Orchester unter die Stimmen. Ich darf Sopranistin Eleonora Burattos Tosca hören. Gesanglich überzeugt sie mich durchgehend. Kräftig, klar und prononciert. Ihr Spiel ist mir nicht so präsent, als dass mir die Verzweiflung ob des fiesen Spiels Scarpias im zweiten Akt unter die Haut ginge.

Tenor Charles Castronovo ist im dritten Akt stimmlich präsent. Er verzehrt sich nach seiner Liebe Tosca sängerisch wunderbar. Seine Stimme strahlt energisch entschlossen. Schauspielerisch bleibt er wie Buratto blass. Was auch an der Inszenierung liegt: viel Raum, wenig Fokus auf Person und Herz, beides verliert sich für mich in der Weite der kargen Bühne.

Andrea Battistoni mit dem Bayerischen Staatsorchester ist mir im ersten Akt zu laut. Die Stimmen werden übertönt. Nach der Pause im zweiten und dritten Akt hält der Dirigent das Orchester besser im Zaum, die Stimmen auf der Bühne erhalten ihren Klangraum. Ein Glück, denn diese Stimmen verdienen gehört zu werden. Insgesamt ist mir die orchestral-musikalische Interpretation zu glatt und gefällig. Sie nimmt mir innerlich die Dramatik. Das „Achtung-Forte-jetzt-wird’s-dramatisch“ verfängt sich in mir nicht.

Tosca 2024, C. Castronovo © Wilfried Hoesl

Die Inszenierungsidee Kornél Mundruczós, die in der Verbindung zwischen der Oper Tosca und Pier Paolo Pasolinis filmischen Werk und seiner Beziehung zu Maria Callas liegt, funktioniert im ersten Akt für mich überhaupt nicht. Eine doppelte Überlagerung, gegen die die Sänger und Sängerin ansingen müssen. Ohne Erfolg. Die im Libretto transportierten Figuren sind für mich vollkommen deplatziert, die Inszenierung aufgesetzt.

Sie lenkt mich ab und in die Irre. Im zweiten und dritten Akt verliert sich die Überlagerung. Die visuellen Pasolini Filmschnippchen im dritten Akt ignoriere ich trotz Cineastenherz schnell weg. Nur wenige Momente überlege ich, welche Pasolini Filme ich erkenne. Die Verbindung zwischen Oper und Pasolini bleibt mir rätselhaft. Ein Glück ist der Verzicht dieser erzwungenen Verbindung zweier Themen in Akt zwei und drei für die Stimmen. Sie dürfen dadurch die Inhalte des Librettos darstellen, anstatt sich figural in Überlagerungen aufzulösen.

Die Euphorie des Publikums am Ende teile ich nicht. Über lange Strecken finde ich diese Tosca langatmig und langweilig. Liegt’s am Stück? Ewig singen Tosca und Cavaradossi, bis er – endlich! – erschossen wird. Ich rutsche sehr ungeduldig auf meinem Sitz. Liegt’s an der Inszenierung?, die in den besseren Momenten gerade nur ausreichend unauffällig ist? Oder am Orchesterklang, der mir zu glatt und undifferenziert ist?

Das Paar Tosca-Cavaradossi findet im zweiten und dritten Akt sängerisch eine sehr gute Form, schauspielerisch lassen mich die beiden eher kalt. Eine vollkommene Performance, sängerisch wie schauspielerisch liefert für mich an diesem Abend nur Ludovic Tézier als Scarpia ab. Ein toller Bösewicht, der zu meinem Leidwesen den zweiten Akt nicht überlebt. Eine Sitznachbarin sagt am Ende der Pause „in einer Stunde sind sie alle tot“. Gefühlt können Stunden unterschiedlich lang sein. Heute ist diese letzte des Abends für mich länger.

Frank Heublein, 21. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Dramaturgie   Kata Wéber, Malte Krasting

Floria Tosca   Eleonora Buratto
Mario Cavaradossi   Charles Castronovo
Baron Scarpia   Ludovic Tézier
Cesare Angelotti   Milan Siljanov
Der Mesner   Martin Snell
Spoletta   Tansel Akzeybek
Sciarrone   Christian Rieger
Ein Gefängniswärter   Paweł Horodyski

Stimme eines Hirten   Solist des Tölzer Knabenchors

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