Elena Stikhina (Floria Tosca). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Tosca
Text Giuseppe Giacosa & Luigi Illica
Melodramma in drei Akten
Wiener Staatsoper, 2. Februar 2024
Das Korinthenkacken verkneife ich mir. Mit 57 Jahren steckt KS Piotr Beczała noch immer den Großteil seiner Kollegen als Cavaradossi in die Westentasche. „Ein zweites Mal?“, deutet Dirigent Bertrand de Billy mit zwei Fingern fragend in Richtung Bühne. Das Publikum fordert das „E lucevan le stelle“ lautstark nochmals. Piotr Beczała liefert. Die Paradearie des Cavaradossi ist ein Höhepunkt in Puccinis „Tosca“.
von Jürgen Pathy
Beczała hats natürlich nicht leicht. Wer sein Rollen-Debüt von 2019 in den Ohren hat, wird wohl nie wieder so wirklich glücklich werden. Das war sicherlich mit das Feinste, was man hier an der Wiener Staatsoper in den letzten Jahren erleben durfte. An das wird nie wieder jemand herankommen – auch Beczała nicht. Die Zeit tickt gegen ihn.
Gefühlvolle Italianità statt Schreihals
Was Beczała und all die anderen „big names“ noch immer auszeichnet: Eine Phrase, was sag’ ich, ein Ton, und man weiß: Es ist Beczała! An der besonderen Stimmfarbe, an der scheiden sich die Geister. Unabhängig von der Qualität seiner Glissandi, die noch immer geschmeidig durch alle Register gleiten – das macht den großen Unterschied zur Konkurrenz. Gefühlvolle Italianità pur, anstatt lauter Schreihals, der sich nur in den Mittelpunkt stellen will – das ist bei Piotr Beczała sowieso bei allen Rollen, die er gestaltet, Programm.
Im Orchestergraben bleibt noch Luft nach oben. Brachiale, teils ungewöhnliche Strukturen, die der „Tosca“-Partitur eine gewisse Würze verleihen. Im Gesamtpaket haben Bertrand de Billy und das Staatsopernorchester aber noch viel Spielraum, um da wirklich mit diesem Drama mitfiebern zu dürfen.
Tosca und Scarpia
Elena Stikhina als Floria Tosca wiederum wirkt schon fast zu dramatisch. Ob es an der alten „Parsifal“-Inszenierung liegt, bei der ebenfalls eine Art Freud’sche Couch das Bühnenbild ziert – bei all den Floria Toscas der letzten Jahre poppt immer ein Gedanke auf: Ist das nun eine Kundry oder eine Tosca? Sondra Radvanovsky, die 2019 Piotr Beczała zur Seite stand, kann sowieso keine das Wasser reichen. Die hatte das „Vissi d’arte“ zum Ende in einem fast verstummenden Diminuendo ausgehaucht. Ein Risiko, das auch Elena Stikhina bereit ist einzugehen. Nur, dass der Atem bei weitem nicht so lange reicht, um ihr deswegen vor die Füße zu fallen.
Erwin Schrott als Baron Scarpia ist halt – Erwin Schrott. Ein Showman, wie er lebt und leibt. Als Polizeichef dann ein wenig zu viel Schrott, um da eine boshafte Figur zu imitieren.
Für die erste Vorstellung der Serie insgesamt akzeptabel, die Hütte war voll: Trotz „Generalprobe“, mit der eine erste Repertoire-Vorstellung immer gleichzusetzen ist. Zwei weitere folgen noch, bei denen auch der hervorragende Dan Paul Dumitrescu als Mesner wieder beweisen wird, dass er zurecht im Ensemble der Wiener Staatsoper singt.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 3. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, Tosca, Martin Kušej Regie, Theater an der Wien, 23. Januar 2022