Tristan und Isolde 2022, N. Stemme © W. Hoesl
Wahnsinn, was war das für eine einzigartig herzergreifende Isolde! „Tristan! Treuloser Holder“: Schon mit diesen drei Worten lässt die neue weltbeste Isolde Anja Kampe die Bayerische Staatsoper in einer Flut an rauschhaften Glücksgefühlen versinken. Ihre Stimme bebt und ergreift das Publikum auf Wolke sieben. Noch nie hat eine Isolde dermaßen berührt und bewegt!
Bayerische Staatsoper, 24. Juli 2023
Tristan und Isolde
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Johannes Karl Fischer
Schon als Ortrud war Frau Kampe überragend, eine Sängerin der allerersten Klasse. Doch war dies nur ein Vorgeschmack auf ihre Herrschaft in der wohl emotionalsten Rolle der Opernwelt. Marke, Brangäne, selbst den stimmlich mächtigen Tristan hat sie wie mit eiserner Hand fest im Griff. Sie betritt die Bühne und alle fallen ihr zu Füßen. Der kleinste Seufzer auf dem sterbenden Tristan wird zur Paradeleistung der hochdramatischen Gesangskunst.
Nicht, dass es an dem Gesang ihres Geliebter Tristan irgendetwas auszusetzten gegeben hätte. Stuart Skelton sang seine Partie mit heldenhafter Bravour, auch seine nahezu einstündige Solo-Szene im dritten Aufzug konnte ihm nicht das Fürchten lehren. Man spürt sein Leiden, tödlich verwundet wünscht er nur noch, bei seiner seligsten Frau zu sein. Doch dann eilte Isolde herbei. Und begann zu singen. Als würden in einem bürgerlich beleuchteten Raum plötzlich königliche Kronleuchter in voller Pracht erstrahlen.
Jamie Bartons wunderbar warme Brangäne trug ihre Herrin stimmlich auf den Schultern, mit runder Stimme bereite sie stets den Triumphzug der Heldinnensopranistin vor. So dringt Isoldes allmächtiger Liebeskummer ganz, ganz tief ins Herz ein! René Pape rezitierte seine Königsmonologe mit makelloser Stärke und erntete dafür donnernden Applaus. Der wohl derzeit beste Wagner-Bass der Welt konnte sich auch bestens in den schweren Schritten des Königs Marke zu recht finden. Dem Herrscher von Cornwall geht es eben nicht um seine Macht, sondern um Tristan und Isolde. Leider klärt sich das zu spät…
Als Kurwenal begleitete Wolfgang Koch seinen Herren Tristan mit bärenstarker Stimmpräsenz. Eine absolute Luxusbesetzung für eine Rolle, die man dramaturgisch durchaus in Frage stellen könnte. In den weiteren Nebenrollen glänzte die volle Stärke des Ensembles, allen voran brachte Liam Bonthrone als Seemann die Wagner’sche Singkunst auch ohne Orchester zum Strahlen!
Mindestens genauso aufwühlend wie der Gesang strömte ein höchst emotionaler Wagner-Klang aus dem Graben. Dirigent Lothar Koenigs ließ das Haus in einer Flut an Leitmotiven versinken, dieser Orchesterklang war eine Tondichtung für sich. Das Orchester verschmilzt mit dem Gesang, die Instrumente werden zu weiteren Solo-Stimmen, nur halt ohne Text. Und dafür umso emotionaler. Zum Sahnehäubchen des Abends wurde auch Marlene Gomes’ wunderbar klagendes, zu Tränen rührendes Englischhorn-Solo im dritten Aufzug.
Ebenso meisterhaft wie die Musik geriet auch Krzysztof Warlikowskis packende, bahnbrechende Inszenierung. Meine bisherige Zusammenfassung von Tristan und Isolde: Fünf Stunden und es passiert nichts. Oh, wie konnte ich mich bloß irren! Denn in dieser Tristan-Inszenierung passiert fünf Stunden lang alles. Wagner hat hier eine Partitur weitgehend ohne externe Handlung hinterlassen. Musik und Gefühle, mehr nicht.
Doch Warlikowski kann mehr: Das Schiff schwankt auf hoher See wie Isolde in ihrem Meer an Emotionen, Tristan und Isoldes Liebesnacht wird zum wahrhaftigen Liebestraum auf hoher See. Über einige interpretatorischen Eckpunkte kann man sicherlich diskutieren. Körperkontakt gibt es im zweiten Aufzug zwischen den beiden Liebenden nicht. Auch König Marke bleibt anscheinend im Hause – die Jagdhörner verschwinden in der Ferne, während er noch sein Gewehr lädt. Aber diese Inszenierung füllt Wagners wohl emotionalste Oper mit neuem Leben!
Die musikalische Extraklasse dieser Tristan-Aufführung hat einen Namen: Anja Kampe. Diese Isolde erregt und erschüttert bis aufs höchste. Alles andere wird zur Nebensache.
Eine Vorstellung gibt es noch. Dazu kann ich nur eins sagen: „Herbei, herbei!“ Ob Camilla Nylund ihren Titel als bislang beste Isolde der Welt in Dresden verteidigen wird?
Johannes Karl Fischer, 26. Juli 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 12. August 2022