Foto: Tschechische Philharmonie © Petra Hajsk
Robert Schumann (1810-1856) – Klavierkonzert a-Moll op. 54
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) – Sinfonie Nr. 11 op. 103, „Das Jahr 1905“
Tschechische Philharmonie
Víkingur Ólafsson, Klavier
Semyon Bychkov, Dirigent
Kölner Philharmonie, 24. Oktober 2022
von Daniel Janz
Wir leben in politisch schwierigen Zeiten. Gewalt und Blutvergießen finden wieder in Europa statt und drohen, die Welt ins Chaos zu stürzen. Ein System, das schon in der Vergangenheit großes Leid anrichtete, versucht, ein anderes einzuverleiben. Elend und Schrecken pur, die auch hier in Deutschland spürbar sind und fast schon zu einer Phobie gegenüber gewissen Komponisten geführt haben. Und das, obwohl es sogar in diesem System selbst immer Gegenstimmen gab und gibt – mal leise, mal laute. Auch im Konzertbetrieb. Wer könnte sich also heute zum Erheben einer solch kritischen Stimme besser eignen, als ein Jahrzehnte lang in diesem System leben und leidender Komponist sowie ein Dirigent, der in der Sowjetunion aufwuchs, dort wegen seiner politischen Einstellung aneckte und schließlich sogar 1975 in die USA migrierte?
Aus dieser Konstellation alleine merkt man: Wenn Semyon Bychkov (69) Schostakowitsch aufführt, dann ist das etwas Besonderes. Erst Recht, wenn er damit nach Köln kommt, wo er selber Jahre lang Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters gewesen ist. Entsprechend viel Fokus und Erwartungen liegen auf seinem heutigen Konzert mit der Tschechischen Philharmonie, von der er seit 2018 Chefdirigent ist – insbesondere auf dem zweiten Werk.
Dem voraus geht jedoch ein selten zu hörendes Solo-Werk von Robert Schumann. Dass es im Konzertbetrieb unterrepräsentiert wird, ist nicht grundlos. Denn ähnlich, wie auch sein Cellokonzert, unterscheidet es sich zu anderen Solokonzerten in der Konzeption. Im Gegensatz zu Mozart oder Beethoven stellte Schumann nämlich nicht nur den Solisten ins Zentrum, sondern schuf sinfonisch inspirierte Werke mit ebenfalls zahlreichen Orchesterparts. Sein Klavierkonzert wurde dadurch zu einem Werk voller Abwechslung. Aber auch mit vergleichsweise weniger thematischer Klarheit. Kontrastreicher Fluss im Gegensatz zur Transparenz der Wiederholung. Und ja – das Zitat von Robert Schumann, er müsse „auf etwas Anderes sinnen“ als Virtuosität, dürfte in dem Zusammenhang allmählich etwas überstrapaziert sein.
Damit da keine Langeweile entsteht, braucht es den entsprechend flexiblen Umgang, wie Víkingur Ólafsson (38) ihn liefert. Der isländische Piano-Spezialist kann gut in seinem solistischen Spiel auftrumpfen. Dadurch setzt er mal temperamentvolle, mal in sich gekehrte Akzente. Es beeindruckt, wie seine Hände dabei über das Klavier sausen. Ob im ersten – sehr abwechslungsreichen – Satz, wo er mit der Flöte zusammen oder gegen frische Einwürfe von Klarinette und Oboe anspielt. Oder im zweiten Satz, wo sein Frage-Antwort-Spiel mit den feinen Streichern unterhalten kann. Das bewegt – egal ob in den vielen ruhigeren Phasen, oder beim aufbrausenden Übergang zum dritten Satz, der so natürlich geschieht, dass er kaum auffällt.
Zum Dank dafür ernten Ólafsson und das tschechische Gastorchester begeisterten Applaus. Als er dann im Anschluss noch eine kleine Zugabe von Bach aufführt, ist das Publikum gar aus dem Häuschen. Sein feinsinniges, besinnliches Spiel hat offenbar vielen gefallen, die sich aus ihren Sitzen erheben und ihm Stehende Ovationen spenden. Und das ist auch verdient, hat sein Spiel doch einigen Tiefgang bewiesen.
Mit Schostakowitschs 11. Sinfonie steht als zweites großes Werk des Abends dann eine der kontroversen Sinfonien nach-stalinistischer Zeit auf dem Spielplan. Sehr bewusst wählte Schostakowitsch für die 1957 uraufgeführte Musik den Titel „Das Jahr 1905“, mit dem er sich auf das Massaker am so genannten „Blutsonntag“ bezieht. Zu diesem Ereignis versammelten sich am 22. Januar 1905 zehntausende Arbeiter friedlich vorm Sankt Petersburger Winterpalast des Zaren, die von einem Priester angeführt ein Bittgesuch für menschenwürdige Arbeitsbedingungen überreichen wollten. Jedoch kam es nicht so weit – die Menge wurde vor den Toren von Soldaten aufgehalten, die das Feuer eröffneten und ein Blutbad anrichteten.
Eine solche Sinfonie, die leicht als Systemkritik und Brandmarkung von Gewalt verstanden werden kann, passt natürlich gut in eine Zeit, in der ebenfalls politisch diktiertes Blutvergießen und Gewalt vorherrschen. Den Hang zur Unterdrückung und Zerstörung kann diese Musik hervorragend darstellen und durch den historischen Bezug auch in Kontext rücken. Gerade heute erscheint es deshalb umso wichtiger, diese Musik von Schostakowitsch aufzuführen. Hut ab deshalb für diese Auswahl, die Bychkov und die Tschechische Philharmonie hier getroffen haben.
Tadel verdient stattdessen das Programmheft, dass sich als einzige historische Quelle auf „Schostakowitschs Memoiren“ von Solomon Volkow stützt, um dieses Werk und damit auch den Komponisten als Ausdruck antisozialistischen Protests darzustellen. Es stimmt zwar, dass seine Rolle in der Sowjetunion durch die Forschung der letzten 20 Jahre ambivalent erscheint. Aber es kann wohl als gesichert angenommen werden, dass er weder Antisozialist, noch offener Widerstandskämpfer war. Hier hätte es bessere Quellen gegeben (z.B. Isaak Glikman „Tagebuch einer Freundschaft“), als eine nach Jahren aus der Erinnerung verfasste, angebliche Zitatsammlung. Deshalb neigt der Rezensent selbst dazu, Schostakowitsch eher als unfreiwilligen Angehörigen eines menschenverachtenden Systems zu sehen, in dem er seinem von Mitgefühl geleitetem Gewissen so sehr versuchte zu folgen, wie es ihm dieses System erlaubte.
Musikalisch findet man hier eine der wohl malerischsten Kompositionen von Schostakowitsch. Bereits der Einstieg – ein feierlicher an orthodoxe Kirchengesänge erinnernder Streichergesang – illustriert bildlich eine Prozession. Unterbrochen von Fanfarenrufen mit Militärtrommelsignalen entsteht schnell der Eindruck zweier aufeinander zusteuernder Extreme. Dabei verlässt die Musik nie ein Moment der Spannung, das an diesem Abend fabelhaft von Semyon Bychkov und seinem Orchester eingefangen und transportiert wird. Man spürt – hier bahnt sich etwas von erschreckender Grausamkeit an – bis es zu spät ist und die Gewalt losbricht.
Die Entscheidung, fast gänzlich ohne Pause alle Sätze dieser aufwühlenden Musik ineinander übergehen zu lassen, ist indes mutig. Bychkovs bewusste Wahl macht in der Tat die Orientierung in diesem sehr szenisch gehaltenen Werk schwer; ein wenig verloren kann man sich hier schon fühlen. Aber gut – wer kann ihm das auch verübeln? Als jemand, der die Huster von Köln selbst Jahre lang erfahren musste ist das eigentlich nur eine konsequente Herangehensweise.
Glücklicherweise verliert man nicht den narrativen Faden. Schostakowitschs Hang, sich oft in chaotischen Phrasen zu verlieren, ist hier auf ein Minimum reduziert. Es überwiegen leicht erkennbare Melodien mit volks- oder kirchenliedartigem Charakter. Dazu kommen fast schon leitmotivisch wirkende Episoden, wie das Arbeiterlied zu Beginn des ersten Satzes, das sich haargenau in der gesamten Sinfonie etliche Male wiederholt und dadurch auch als „idée fixe“ (nach Berlioz) bezeichnet werden könnte. Auch ein Paukensignal, das regelmäßig wiederholt wird und im Finale sogar durch Glockenschläge das Ende markiert, gibt durchlaufend Halt. Insofern funktioniert diese pausenlose Interpretation des Dirigenten mit sowjetischer Herkunft.
Dadurch gelingt eine Aufführung mit vielen Höhepunkten und bemerkenswerten Aspekten. Seien es die immer wiederkehrende Streicherepisode, die Bläser, die erst leise und gedämpft, dann aber in voller Härte lostönen dürfen, das Schlagzeug, das besonders bei der Darstellung des Massakers eine echte musikalische Brutalität ausbrechen lässt oder das geradezu gespenstisch wirkende Spiel von Harfe und Celesta nach dem gewaltsamen Treiben – das ist alles, wie aus einem Guss.
Die Folge: Wo Schumann noch überzeugen und Bach verzaubern konnte, da begeistert Schostakowitsch. Viele – fast alle – Zuhörende im leider kaum halbvollen Saal reißt es auch hier schließlich aus ihren Sitzen zu einem umjubelten Schlussapplaus. Ob es nun schön war oder nicht; es hat gefallen. Und Orchester und Dirigent gegenüber sei hier auch ein ausdrücklicher Dank dafür ausgesprochen, dieses doch eher selten gespielte Werk heute in einer solch hochwertigen Weise aufgeführt zu haben.
Tatsächlich ist die Musik von Schostakowitsch stets ein ambivalentes Erlebnis. Man kann sich dabei immer auf ein Spektakel einstellen. Wobei Spektakel noch nicht heißt, dass die Musik auch angenehm oder bezaubernd sein muss. Das Finale hier mutet jedenfalls in seinem Streben, doch noch auf ein Furiosum und einen Sieg hinauslaufen zu wollen, wie ein flammender Untergang mit wehenden Fahnen. Als hätte sich jemand in seinem Wahn nach immer Größerem selbst überschätzt und würde dadurch alles und jeden unter seiner Macht mutwillig ins Leid stürzen. Und das hat dann doch wirklich aktuelle politische Züge.
Daniel Janz, 26.10.2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tschechische Philharmonie, Víkingur Ólafsson, Semyon Bychkov Kölner Philharmonie, 24. Oktober 2022
WDR Sinfonieorchester, Silvestrov, Haydn, Schostakowitsch, Kölner Philharmonie, 11. März 2022
CD Rezension: Schostakowitsch, Doppeltes Spiel, klassik-begeistert.de
Sehr schöner Bericht, vielen Dank. Auch eine Woche später klingt das wunderbare Konzert noch nach.
Zwei kleine Anmerkungen würde ich hinzufügen, wenn ich darf:
Das Klavierkonzert von Robert Schumann wird nach meiner Erfahrung verhältnismäßig häufig aufgeführt; zumindest habe ich es schon sehr oft programmiert gesehen, und auch live erlebt, etwa mit Martha Argerich und (recht häufig) mit Hélène Grimaud. Im Vergleich dazu wünschte ich mir öfter das Grieg’sche Konzert oder aber, wie in diesem Jahr mit Beatrice Rana und Yannick Nézet-Séguin, das äußerst selten gespielte Konzert von Clara Schumann.
Die beiden Konzerte Robert Schumanns für Cello bzw. Violine finden sich dagegen vergleichsweise selten im Programm. Einer meiner Konzertfreunde reist weit, um sie live zu erleben.
Zum Zweiten würde ich die Elfte von Schostakowitsch als durchkomponiert bezeichnen. Vielleicht mit Ausnahme des letzten Satzes, der sich aber prima nahtlos anfügen lässt. Was in den Aufführungen, die ich erlebt habe, stets getan wurde. Keine Chance also für Huster…
Jedenfalls habe ich Lust bekommen, das Glikman-Buch zu lesen, das in englischer Sprache in meinem Regal der Lektüre harrt. Im Gegensatz zu den Wolkow-Memoiren und etlichen Schostakowitsch-Biographien. Danke für die Erwähnung!
Brian Cooper