Foto: © Wilfried Hösl
Umberto Giordano, Andrea Chénier
Bayerische Staatsoper, 30. März 2017
Brava, Bravo, Bravo! Die Verismo-Oper „Andrea Chénier“ von Umberto Giordano an der Bayerischen Staatsoper ist ein Ohren- und Augenschmaus. Zwei Weltklassesänger und ein ausgezeichneter Bariton machen die zwei Stunden zu einem unvergesslichen Erlebnis.
16 Minuten Applaus bekommen die Sopranistin Anja Harteros, der Tenor Jonas Kaufmann und der Bariton Luca Salsi an diesem Donnerstagabend im Nationaltheater. Den meisten Zuspruch erhält die phantastische Harteros, etwas weniger der einnehmende Kaufmann und der virile Salsi.
Dass Anja Harteros permanent Weltklasse abliefert, ist ja kein Geheimnis. Ihre Maddalena ist, was das Einfühlungsvermögen und die Brillanz der Stimme angeht, nicht besser zu singen. Die Sensation des Abends ist ihr Geliebter Andrea Chénier, dargeboten von Jonas Kaufmann.
Der 47-Jährige konnte mehr als ein halbes Jahr nicht singen. Seine letzte Partie in der Bayerischen Staatsoper als Walther von Stolzing in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ endete am 31. Juli 2016 fast mit einer Blamage – der Weltstar konnte einfach nicht mehr singen, brachte viele Töne gar nicht mehr oder krächzend hervor. Er konnte einem leidtun an jenem Sonntagabend in München.
Und jetzt dies: Der Münchner glänzt in allen Registern mit Wohlklang, mit seinem bekannten Schmelz und in der Höhe mit einer vitalen Strahlkraft. Das war wirklich à la bonne heure, lieber Herr Kaufmann! Das war viel besser, als ihr Kurzauftritt auf dem Wiener Opernball im Februar und den Kritiken zufolge auch deutlich besser als ihr Lohengrin in Paris im Januar dieses Jahres.
Es war ein Hochgenuss, Jonas Kaufmann – vor allem an der Seite von Anja Harteros – auf der Bühne agieren und singen zu hören. Der Mann hat wieder Freude an seinem Beruf. Seine Augen glänzen, als der Vorhang fällt. Er ist richtig happy: Er hat es geschafft. Er ist (fast) wieder der Alte. Das Publikum jubelt, und Jonas Kaufmann jubelt dem Publikum zu.
So konstatierte BR-Klassik bei der Premiere zu recht: „WELTKLASSE MIT ANJA HARTEROS UND JONAS KAUFMANN.“ Der Kurier in Wien titelte: „Jonas Kaufmann mit großartigem Comeback.“ Und hörte richtig: „Mit seinem samtigen, noch stärker baritonal klingenden Timbre, viel Schmelz und seinen einzigartigen Piani ist er im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte.“
Auch BR-Klassik liegt vollkommen richtig: „Perfekt passt die Partie zum Schmelz seiner Stimme und zu seinem Typ, sobald es vollmundig, satt und leidenschaftlich wird, ist Kaufmann voller Strahlkraft und Vitalität präsent und liefert vor allem im Duett mit Anja Harteros Weltklasse.“
Natürlich hatten einige Kritiker zur Premiere bei Kaufmann einiges zu bekritteln – und sicher ist der Tenor am Donnerstagabend noch besser gewesen als bei der Erstaufführung von Andrea Chénier an der Bayerischen Staatsoper am 12. März 2017. Aber diese Kritiker sollten bedenken: Auch der ehemalige Leitwolf des FC Bayern, Sebastian Schweinsteiger, war nach seinen vielen, schweren Verletzungen bei den ersten Partien auch nicht wieder auf 150.
Und was für Spitzensportler gilt, gilt für Spitzensänger allemal: Sie müssen nach längeren Pausen erst einmal wieder Vertrauen in ihre Stimme gewinnen, sie müssen sich freisingen.
Nun ist Jonas Kaufmann nur zu wünschen, dass er seine Aktivitäten in Zukunft deutlich herunterfährt – da kann er sich an seiner geschätzten Kollegin Anja Harteros ein gutes Beispiel nehmen. Nur so wird sich der Tenor noch viele Jahre einer vollen Stimme erfreuen – und damit auch seine Fans auf der ganzen Welt.
Die waren auch am Donnerstagabend bisweilen von weither angereist. So auch Karen Jensen und Kurt Kristensen aus Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen. „Jonas Kaufmann hat wunderschön gesungen“, bilanzierte Karen Jensen. „Er ist wirklich einer der ganz großen Tenöre.“ Auch Kurt Kristensen war begeistert: „Allein Jonas Kaufmann ist jede Krone wert, die wir ausgegeben haben. Es ist wunderbar, dass wir nach München gekommen sind.“
Auch Thomas Teuber aus dem bayerischen Freising war angetan: „Die Stimme von Jonas Kaufmann berührt mich. Allerdings habe ich schon noch brillanter gehört.“
Klassik-begeistert.de freut sich indes, den wieder genesenen Weltstar am 8. und 11. Mai an der Wiener Staatsoper als Cavaradossi in der Oper Tosca von Giacomo Puccini erleben zu dürfen. Und am 24. Mai gastiert Jonas Kaufmann mit einem Liederabend in der Elbphilharmonie in Hamburg. Auch über diesen Abend wird klassik-begeistert.de berichten.
Der Höhepunkt des Abends war aber die große Arie der Maddalena „La mamma morta“. Was für ein Ereignis! Anja Harteros’ tieferen Töne kamen butterweich und samten daher, die höheren waren von einer Strahlkraft getragen, die auf der Welt ihresgleichen sucht. Das war einsame Weltklasse!
Luca Salsi indes hat die richtige Stimme für den rebellierenden Diener und späteren Revolutionsfunktionär Gérard. Die Abendzeitung resümiert richtig: „Ein Bariton mit einer Stimmgewalt, die robuste Sinnlichkeit und Gier ausdrücken kann. Endlich wieder ein italienischer Bariton, der die große Tradition eines Tito Gobbi oder Piero Cappuccilli fortsetzen könnte.“
So bleibt nur ein Wort für den Abend in München: Bravi!
Andreas Schmidt, 31. März 2017 für
klassik-begeistet.de