Foto: © Wilfried Hösl
Anja Harteros reicht derzeit keine Sopranistin das Wasser
Umberto Giordano, Andrea Chénier
Bayerische Staatsoper, München, 2. Dezember 2017
von Ulrich Poser
Schlechte Nachrichten gibt es leider genug. Aus diesem Grunde schreibt der Autor nichts über den anfänglichen „Schwabenterror“ im Parkett (“I woisch net, wiet Oper heißt, in der mer heit san”), über lautstarke Störungen liebenswerter, aber leider schon etwas seniler Zeitgenossen (“Ist das der Johann Kaufmann?”). Auch über das Einheitsgesicht der reifen Damen der Münchner Schickeria (“Grüßen Sie bitte Professor Mang ganz herzlich”) wird ebenso wenig geschrieben, wie über das unsagbar kindische Bühnenbild von Philipp Stölzl und Heike Vollmer: Fehlte nur noch eine Eisenbahn, und die Harz-Romantik wäre vollkommen gewesen; der Holzmichl lässt grüßen.
Die Musik der Giordano`schen „Tosca“-Kopie „Andrea Chénier“ ist hingegen gelungen. Wohlgemerkt nicht so genial wie die Vorlage des Originals des Meisters aus Torre del Lago. Ein gelungener Verismo-Eklektizismus in kompositorischer Hinsicht aber auf jeden Fall.
Dann kommt Jonas Kaufmann, singt und siegt. Wie der schon aussieht: Ein Parade-Cavaradossi; Entschuldigung: Parade-Andrea-Chénier. Bereits bei der ersten Arie “Un di all ‘azurro spazio” fragt man sich ernsthaft, ob da nicht etwa Placido Domingo 1978 auf der Bühne der Metropolitan Opera steht. Leuchtende Höhen, brillante Strahlkraft, wunderbare lyrische Linien. Vom gefühlvollen Anhauchen einer Arie (Klaus Florian Vogt lässt grüßen) bis zum heldenhaften saalübertönenden Fortissimo: Der Tenor Jonas Kaufmann singt schlicht und ergreifend wie ein junger Gott. Da gibt es keine zwei Meinungen.
Diese Stimme ist aber nur ein Glied der für einen Weltstar erforderlichen Erfolgs-Trias: Er singt sehr gut, er sieht sehr gut aus, und er spielt sehr gut. Allein wie er sich im finalen Duett “Vicino a te” auf Anja Harteros schmeisst und ihr vor dem Vorhang anschließend burschikos durch die Haare wuschelt: Dieser Mann durchlebt, was er singt, spielt und fühlt mit Leidenschaft. Das ist Emotion pur, alles ist echt. Die überflüssige Diskussion, ob er`s noch kann oder ob er vielleicht anders singt, als vor seiner Auszeit, wird hiermit endgültig für beendet erklärt.
Ja, er kann es noch. Und wie! Basta!
Die Sopranistin Anja Harteros überschwenglich zu rezensieren, heißt Eulen nach Athen tragen. Eine kleine Eule sei aber hiermit getragen: Ihr “La mamma morta” im 3. Akt war – wie der Rest auch – einspielungsreif. Ihre perfekte Akkuranz, ihr gnadenlos präzises Timing und ihre Caballé’schen Pianissimi machen Sie derzeit wohl zur Weltbesten, zur Primadonna assoluta. Egal ob als Maddalena in „Andrea Chenier“, als Sieglinde in der „Walküre“: Ihr reicht derzeit keine das Wasser. Höre ich da etwa “Aber-Anna-Rufe” aus der Ferne?
Die musikalische Leitung von Marco Armiliato war zu laut, zu selbstverliebt und zu sängerunfreundlich. Schade, aber die Oper braucht keine Rockstars im Graben. Dirigieren heißt nicht, sich zu produzieren und die Sänger nieder zu dirigieren. Bitte setzen, Note 4-, Herr Armiliato!
Lassen wir`s positiv ausklingen: Der Carlo Gèrard von George Petean überzeugte voll und ganz. Ein Heldenbariton at its best!
Das Publikum war vollends aus dem Häuschen; “So mutt dat”, wie der Hamburger sagt. Die Hamburger dürfen sich übrigens auf den 17. April 2018 freuen: Da sind Anja Harteros und Jonas Kaufmann als Protagonisten im italienischen Original in der Hamburgischen Staatsoper zu erleben. Glücklich, wer ein Ticket ergattern konnte.
Ulrich Poser, 3. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de
Sehr geehrter Herr Poser,
ich habe die Aufführung am 2. Dezember auch gesehen. Bezüglich der gesanglichen Leistung stimme ich zu. Warum war aber das sehr aufwendige naturalistische Bühnenbild „unsagbar kindisch“? Und wieso „fehlte nur noch eine Eisenbahn“? Im Jahr der Franzöischen Revolution 1789? Und was hat das Bühnenbild mit Harzromantik zu tun? Wo gab es denn bei diesem Bühnenbild Wald? Nichts für ungut, ich habe die Kritik trotzdem gern gelesen.
Ralf Wegner
Gut, Harteros und Kaufmann sind im „Andrea Chénier“ und all den anderen gemeinsam durchlebten Opern einsame Weltspitze, das ist bekannt. Ein wenig mehr Beschäftigung mit dem Bühnenbild und der Regie hätte die Münchner Aufführung verdient. Flapsig auf die „Tosca“ zu verweisen, wird dem ganzen Projekt in keiner Weise gerecht. Was sagt denn der Autor über La Scala?
Waltraud Becker