Allein die Arie „La mamma morta“, die nicht länger als FÜNF Minuten dauert, ist die ganze Reise aus der schwedischen Hauptstadt Stockholm nach Berlin wert, und für die würde ich sogar zum Mond fliegen.
Foto: Yehya Alazem und Anja Harteros in der Deutschen Oper Berlin, (c) klassik-begeistert.de
Deutsche Oper Berlin, 18. Januar 2020
Umberto Giordano, Andrea Chénier
von Yehya Alazem
„La mamma morta“ („Sie haben meine Mutter umgebracht“)… so heißt die großartige Arie der Maddalena in Umberto Giordanos Oper Andrea Chénier. Wenn ich diese Arie von einer guten Sopranistin höre, frage ich mich immer, ob es für dieses Stimmfach (Spinto-Sopran) eine Arie gibt, die eine größere Lebenskraft hat als diese.
Die Arie wurde Mitte des vorigen Jahrhunderts hauptsächlich durch die griechisch-amerikanische Legende Maria Callas sehr berühmt, da Maddalena zu ihren Paraderollen gehörte. Auch in kommerziellen Medien wurde die Arie durch den amerikanischen Film Philadelphia(1993) bekannt.
An der Bismarckstraße sang am Samstagabend die griechisch-deutsche Sopranistin Anja Harteros die Maddalena in John Dews Inszenierung von Andrea Chénier (Premiere 1994) und bot dem Publikum Momente der Gänsehaut par excellence. Es war das dritte Mal, dass ich Anja Harteros als Maddalena live erlebt habe (vorher auch in Philipp Stölzls Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München).
Ich merke jedes Mal bei dieser Oper, wie sehr diese Rolle Anja Harteros am Herzen liegt, und ich bin sicher, dass nach ihrer Leistung kaum jemand das Theater unberührt verlässt. Es geht nicht nur darum, dass Anja Harteros eine engelsgleiche Stimme hat, mit wunderschönem Klang und hervorragender Technik, sondern es geht um die Art und Weise, wie sie diese Rolle verkörpert.
Die Hingabe, Leidenschaft, Direktheit und Spontaneität, mit der Anja Harteros diese Rolle äußerst persönlich sowohl gesanglich als auch dramatisch darstellt, ist im Opernkosmos einfach eine Klasse für sich. Für mich persönlich ist es der Höhepunkt des Operngesangs, wenn man eine Künstlerin erlebt, die dem Publikum gegenüber so generös und ehrlich ist und mit jedem Ton alles gibt – das ist die pure innere Kraft eines Menschen.
Allein die Arie „La mamma morta“, die nicht länger als FÜNF Minuten dauert, ist die ganze Reise aus der schwedischen Hauptstadt Stockholm nach Berlin wert, und für die würde ich sogar zum Mond fliegen.
Am Dienstag, 21. Januar 2020, läuft die letzte Vorstellung von Andrea Chénier in dieser Spielzeit, und wer etwas Unvergleichliches zum Weinen wunderschön erleben möchte, sollte sich sofort eine Karte für diese Vorstellung besorgen.
https://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/andrea-chenier.15867474
Yehya Alazem, 19. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Yehya Alazem stammt aus Syrien und lebt und arbeitet in der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Er ist seit 2017 Autor für klassik-begeistert.de und gibt auch einen sehr guten schwedischen Klassik-Blog heraus: https://www.capriccio.se
Sang nur Harteros? Komisch, ich hätte gedacht, Andrea Chénier hat mehr Partien. Zumindest doch den Andrea Chénier, um den die Oper geht. Maddalena ist letztlich nur Staffage. Und hat es m. E. nie gegeben. Reine Erfindung.
Ulrich Harbott
Lieber Herr Harbott,
natürlich sang nicht nur Anja Harteros. Aber sie war die Lichtgestalt des Abends. Wie Sie wissen, ist klassik-begeistert.de ein unabhängiger journalistischer Blog. Unser Autor nahm sich die Freiheit, den Fokus ganz auf diese Jahrhundertkünstlerin, auf diese eine Arie zu richten. Das hat er wunderbar gemacht.
Herzlich aus HH,
Andreas Schmidt, Herausgeber
Hallo, etwas lange her, aber ich besuchte die Vorstellung am 11. Januar 2020.
Im Dezember 2019 muss die jährliche Aidsgala stattgefunden haben, wo ich auf den Tenor Martin Mühle aufmerksam wurde, der im Dezember Chénier sang mit Siri als Partnerin, im Januar mit Harteros. Es ist einfach unfair, Mühle nicht zu erwähnen. Die Stimme klingt live viel besser als in der Fernsehaufzeichnung der Aidsgala. Chéniers Stimmcharakter muss wie des ähnlich gelagerten Cavaradossi (vor allem im letzten Akt) ein jugendlich heldischer sein, dem das hymnische Sendungsbewusstsein zu eigen ist und mit leuchtendem Tenorstrahl die große Höhe der Partie zu bewältigen in der Lage ist. Martin Mühle obsiegte in jedem Betracht.
Kratzke