Gregory Kunde © Chris Gloag
Deutsche Oper Berlin, 47. Vorstellung aus dem Repertoire, Mittwoch – lohnt sich das? Ja! Als Held des Abends begeistert uns Gregory Kunde im Zusammenspiel mit Sondra Radvanovsky unter dem Dirigat Axel Kobers vollends. Auch die kleineren Rollen sind exzellent besetzt. Die schon ältere Inszenierung funktioniert immer noch wunderbar. Ein durchdachtes, lebendiges Drama ohne künstliche Verrenkungen.
Deutsche Oper Berlin, 4. Juni 2025
Andrea Chénier, Dramma di ambiente storico in vier Akten
Musik von Umberto Giordano
Libretto von Luigi Illica
Gregory Kunde (Andrea Chénier)
Sondra Radvanovsky (Maddalena di Coigny)
Pavel Yankovsky (Carlo Gérard)
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Dirigent: Axel Kober
Chor der Deutschen Oper Berlin (Chorleitung: Jeremy Bines)
Inszenierung: John Dew
Bühne: Peter Sykora
Kostüme: José Manuel Vázquez
von Petra und Dr. Guido Grass
1789 – das französische Revolutionsjahr: Noch feiert der Adel rauschende Feste. Herrlich anzusehen und anzuhören, wie Nicole Piccolomini im eitlen Pfauenkleid als alternde Contessa di Coigny die Dekadenz auf den Punkt bringt. Auch die Gäste, allesamt in grellstem Rokokostil gewandet, tanzen eine Gavotte. Doch mit Schminke und Puder lassen sich die gesellschaftlichen Probleme nicht mehr übertünchen.
Gérard betritt als Diener der Adelsfamilie die Bühne. Bereits seine ersten Töne lassen aufhorchen. Den Spott des angehenden Revoluzzers verpackt Pavel Yankovsky in warmen, saftigen und doch zurückhaltenden Baritonklang. Erst in den folgenden Akten wird er als Ankläger des Revolutionstribunals im wahrsten Sinne des Wortes die Stimme erheben. Mit Kraft und Stolz zieht sein gesungenes Wort das Volk – und uns Zuschauer – in seinen Bann. Glaubhaft gestaltet Yankovsky so den Wandel und die wechselnden Gefühle Gérards nicht nur durch sein Spiel, sondern mehr noch mit seiner Stimme.

Bemerkenswert ist, dass Giordano dem Orchester eine eigene tragende Rolle gibt. Die Revolutionäre werden durch lauter werdendes Trommeln angekündigt, bis unter dem Tanzboden Fäuste sichtbar werden. Die Unterdrückten erheben sich. Die Ungerechtigkeit bringt die Gesellschaft in Schieflage. Auf der Bühne erhebt sich der Tanzboden zur schiefen Ebene, der Dritte Stand kommt hierunter hervor und ergreift die Macht. Geniale Visualisierung ohne Schnickschnack!
Das Orchester forciert die Handlung und Gregory Kunde betritt erneut als Dichter Andrea Chénier die Bühne. Beeindruckend wie Orchester und Sänger gemeinsam das allmähliche Crescendo der Arie „Un dì all’azzurro spazio“ meistern. Hier ist als Kommunikator Axel Kober am Werke. Beiden gebührt der erste Zwischenapplaus des Abends. Einige andere werden folgen.

Sondra Radvanovskys gestaltet die Rolle der Maddalena mit dramatischem Ausdruck
Auch im dritten Akt wird es hochgradig emotional: Die Arie „La mamma morta“, vorgetragen von Sondra Radvanovsky, appelliert an die Menschlichkeit. Hier zeigen sich die Stärken Sondra Radvanovskys in besonderer Weise. Mit sicherer Stimme – auch in der Tiefe – und flexibel in der Gestaltung werden die Gefühle Maddalenas lebendig. In den hohen Lagen entfaltet ihr dramatischer Sopran mühelos eine energiegeladene Verzweiflung. Axel Kober kann daher beim Orchester aus dem Vollen schöpfen. Die Emotionen entladen sich in einem kräftigen Zwischenapplaus.

Gergory Kunde ist unser Held des Abends
Andrea Chénier ist der Held der Oper – doch unser Held des Abends ist Gregory Kunde. Trotz seiner immerhin 71 Jahre scheint seine Stimme kein Alter zu kennen. Mehr noch: Nach dieser Vorstellung können wir uns keinen besseren Chénier vorstellen; die Partie scheint ihm auf den Leib geschneidert. Mit heldischer Strahlkraft erhebt sich sein Tenor über das Orchester. „Come un bel dì di maggio“ im Schlussakt ist einer seiner vielen sängerischen Höhepunkte.

In der Stunde unseres Todes wird die Liebe unsterblich
Das Finale des Abends ist einfach nur großartig: szenisch, orchestermusikalisch und gesanglich kaum mehr steigerungsfähig.
Maddalena entscheidet sich, mit ihrem Geliebten Chénier zu sterben. Seite an Seite treten sie den Weg zum Schafott an. Licht und Schatten formen das Fallbeil der Guillotine. Gregory Kunde und Sondra Radvanosky überstrahlen mit ihrem Gesang jedoch alles. Todesmutig stehen sie wie Sieger im Licht.
Petra und Dr. Guido Grass, 9. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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