Auf den Punkt 61: "Die dunkle Seite des Mondes" ist eine Schlagwerk-Oper

Unsuk Chin, Die dunkle Seite des Mondes, URAUFFÜHRUNG  Hamburgische Staatsoper, 18. Mai 2025  

Unsuk Chin, Die dunkle Seite des Mondes

Foto © Bernd Uhlig

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper

Kent Nagano, Dirigent

Hamburgische Staatsoper, 18. Mai 2025  URAUFFÜHRUNG

von Jörn Schmidt

Am 18. Mai 2025 hat Kent Nagano Die dunkle Seite des Mondes von Unsuk Chin an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt. Nach dem Erfolg von Alice in Wonderland ist dies die zweite Oper der Südkoreanerin. Naganos Dirigat und das Schlagwerk zeigen, welches Potential in dem Werk steckt und dass Verrisse verfrüht sind.

Diese Uraufführung ist eine Zumutung, titelt das Hamburger Abendblatt. BR Klassik meint: Enttäuschende Oper von Unsuk Chin und bilanziert: Fazit: Ein lähmend-lärmendes Missvergnügen. NDR: Opern-Spektakel, das polarisiert.

Die Schlagzeilen sind professionell hergeleitet. Zu lang, zu laut und zu redundant die Musik. Zu umständlich das Libretto. Ich würde das glatt unterschreiben. Recht haben die Kollegen.

Aber irgendwie auch nicht.

Nicht mehr oder weniger als ein Faust-Stoff sollte es für Unsuk Chin sein. Mit Libretto aus eigener Feder, unterstützt nur von Kerstin Schüssler-Bach. Ambitioniert wie Richard Wagner. Das kann nur schief gehen?

Nicht unbedingt. Der Plot ist klug gewählt. Zynischer Misanthrop (Dr. Kieron) trifft  auf zynischen Wunderheiler (Meister Astaroth). Zwischen ihnen eine Bombe. Vorbilder der Physiker Wolfgang Pauli, der Psychiater Carl Gustav Jung und die Atombombe.

Es ist eine Freude, wie das Libretto die Persönlichkeit des Nobelpreisträgers und Pioniers der Quantenphysik entwickelt. Mit ewigen Weisheiten und Sottisen. Die Eheschließung zum Beispiel, die leitet Kieron vom lateinischen Errare humanum est ab.

Irren ist menschlich, heiraten auch. Sottise oder ewige Weisheit? Urteilen Sie selbst, bitte. Die Antwort hängt möglicherweise an der Anzahl der Scheidungen… Aber hätte Kieron den weisen Satz bloß zu Ende gelesen.

Es heißt: Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum. Sich die eigenen Irrtümer nicht eingestehen zu können. Das ist das eigentliche Problem, das auch ein genialer Physiker nicht zu umschiffen weiß.

Kierons Irrtum: Er überschätzt die eigene Genialität wie auch das Potential des Wunderheilers, ihm helfen zu können. Das endet schlecht. Wie die Musik diese Entwicklung nachvollzieht, das lässt nicht kalt.

Der orchestrale Dauerbeschuss wirkt. Man spürt den Plot fast schon körperlich, je länger die Oper dauert. So manch einer blieb nach der Pause fern. Oper wirkt. Mehr kann man sich nicht wünschen?

Nicht unerheblichen Anteil daran hat das Schlagwerk. Wenn man so will ist Die dunkle Seite des Mondes eine Schlagwerk-Oper. Sehr zur Freude von Solo-Pauker Jesper Tjærby Korneliusen und seinen zahlreich angetretenen Kollegen.

Ein weiteres Plus der Oper ist, dass Chin auf Textverständlichkeit setzt. Dank Orchestrierung und,  zuweilen, Sprechgesang. Herrlich, wie Thomas Lehman (Bariton) wohlüberlegt ins Verderben schreitet. Ebenso Bo Skovhus als Meister Astaroth. Der Däne hat sichtlich Freude, seinen Bariton diabolisch zu verrenken.

Zum Glück schickt einen Chin mit bezaubernden Klängen nach Hause. Zum Ende hin öffnet sich die Musik, darf atmen und versöhnen. Kent Nagano gestaltet das alles, dieses orchestrale Brutalität,  wohlüberlegt. Aber der scheidende Hamburgische Generalmusikdirektor war ja schon immer ein Junkie Moderner Musik. Respekt.

Jörn Schmidt, 19. Mai 2025,                            für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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