Foto: © Rupert Larl
Innsbrucker Festwochen der alten Musik, 10. August 2019
Innsbruck, Hofburg, Riesensaal
Valer Sabadus, Countertenor
von Gabriele Lange
Bei der Besetzung für den Film über das Leben Farinellis gab es ein Problem: 1994 fand sich keine Stimme, die geeignet war, seinen immensen Eindruck auf das Publikum glaubwürdig zu machen. Man mischte deshalb elektronisch die Stimme eines Countertenors mit der einer Koloratursopranistin. Nur so ließ sich eine Vorstellung davon vermitteln, wie die Kastraten geklungen haben mögen.
Vor mehr als einem Vierteljahrhundert beeindruckte das Ergebnis. Heute gibt es aber etliche Sänger, die ihre Technik so perfektioniert haben, dass der künstliche Farinelli dagegen verblasst. Mit gerade 26 Jahren leuchtete Valer Sabadus schon 2012 neben Philippe Jaroussky, Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic als Semira in Vincis Artaserse – sieben Jahre später tritt er allein mit Arien des barocken Superstars Farinelli und seiner Konkurrenten vors Publikum. Und es ist nicht mehr nötig, die Anziehungskraft und große emotionale Wirkung dieser Sänger zu erklären.
Sabadus beginnt schlicht und zart. Seine anrührende Interpretation der Arie des „guten Hirten“ Abel aus Caldaras La morte d’Abel erinnert in ihrer Leichtigkeit an japanische Tuschemalerei. Bei Tirsis Arie „Il pie s’allontana“ aus Porporas L’Angelica schraubt er sich mit eleganten Koloraturen scheinbar schwerelos in die Höhe.
Barockmusik ist am faszinierendsten, wenn sie Wut und Trauer transzendiert und dabei überirdische Schönheit schafft – so wie es Sabadus bei „Scherza infida“ gelingt, wenn er als Händels Ariodante über den Freitod nachdenkt und die vermeintlich untreue Geliebte auffordert, sich doch weiter zu vergnügen. Zur Sache geht dann der zornige Rinaldo mit Händels „Venti, turbini“. Mit stürmischen, wilden, dennoch klaren Koloraturen schickt Sabadus das Publikum überwältigt und atemlos in die Pause.
Beim Getränk ereifert sich am Nebentisch jemand über zwei Stellen, an denen einem der Begleitmusiker ein Ton ein wenig abgerutscht ist. Offenbar einer von diesen Herrschaften, die speziell bei Wagner-Opern in der mitgebrachten Partitur gewissenhaft nachprüfen, ob auch alles seine Richtigkeit hat. „Live is life“, möchte man ihm entgegenhalten.
Denn die Begleitmusiker verschmelzen den ganzen Abend harmonisch mit den Leistungen des Sängers und verstehen es, in den ein- und überleitenden Stücken von Vivaldi, Bononcini und Caldara selbst zu glänzen.
Barockarien – das heißt starkes Gefühl und stupende Technik, das ist Tanzen auf hohem Seil ohne Netz vor atemlos staunendem Publikum. Jederzeit droht der Absturz. Doch Valer Sabadus kommt an diesem Abend keinen Moment ins Taumeln. Obwohl er viel riskiert. Er wirft sich souverän furchtlos ins Gefühl, in die Musik – so gehen etwa Daniel Day-Lewis oder Meryl Streep ihre Rollen an. Das Schwere wirkt bei ihm mühelos, die makellose Technik ist Mittel, nicht Selbstzweck. Er steht nicht einfach da, er groovt mit wie ein Jazzer, er gestikuliert, er spielt seine Rollen. Keine noch so perfekte Tonaufnahme kann mit diesem Erlebnis mithalten.
Besonders beeindruckend wird Sabadus‘ Leistung im zweiten Teil. Denn der kaiserliche Riesensaal in der Innsbrucker Hofburg bietet zwar in seiner Opulenz den perfekten Rahmen für dieses Konzert und seine Akustik lässt die Töne im Raum schweben. Der Veranstalter scheint allerdings nicht zu wissen, dass Sänger atmen müssen. An diesem schwülen Sommerabend wäre es dringend nötig gewesen, zwischendurch die Gelegenheit zum Lüften zu nutzen. Doch als Musiker und Publikum zurückkehren, ist es nicht nur warm, sondern unerträglich stickig. Das Publikum wedelt immer hektischer mit Fächern oder Programmen. Der Sänger dagegen zeigt keine Schwäche – unerklärlich, woher er für das strapaziöse Programm den Sauerstoff hernimmt.
In furioser Schönheit leuchtet „L’angue offeso“ aus Händels Giulio Cesare in Egitto. Spätestens bei „Alto Giove“ aus Porporas Polifemo schließen Genießer endgültig die Augen, damit nichts mehr von der fast überirdischen Melancholie dieser lichtdurchfluteten Stimme ablenkt.
Heiter und leichtfüßig wird es dann mit der Arie des Amor von Predieri – um dann mit dem offiziell letzten Stück, Porporas „Senti il fato“, noch einmal in die Vollen zu gehen: Mit ungeheurer Dynamik und galoppierenden Koloraturen springt Sabadus mühelos von düsterer Tiefe zu extremer Höhe.
Das Publikum will mehr. Viel mehr. Dreimal holt es den Sänger und die Musiker zurück. Sabadus gibt hoch konzentriert und ruhig „Cara speme, questo core“, die Arie des Sesto aus Händels Giulio Cesare in Egitto, dann dramatisch „Vedrò con mio diletto“ aus Vivaldis Giustino und legt schließlich mit Händels „Crude furie“ noch eine begeisternde Rachearie hin. Standing Ovations der hingerissenen Zuhörer. Musiker und Publikum sind erschöpft und glücklich, der Sänger glühend, durchweicht und geschafft wie ein Athlet im Zieleinlauf. Vor 300 Jahren wären wohl ein paar adelige Damen beglückt in Ohnmacht gefallen.
Ein Mitschnitt des Abends wird am 21. August 2019 um 19:30 im Radio Ö1 zu hören sein.
Gabriele Lange, 13. August 2019, für
klassik-begeistert.de
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Mayumi Hirasaki, Violine
Anna Dmitrieva, Violine
Corina Golomoz, Viola & Violine
Leonhard Bartussek, Violoncello
Makiko Kurabayashi, Fagott
Luca Quintavalle, Cembalo
Michael Dücker, Laute & Mandoline