Wiener Staatsoper: Bellinis „I PURITANI“ als Belcanto-Fest

Vincenzo Bellini, I PURITANI,  Wiener Staatsoper

Foto: M. Pöhn (c)
Wiener Staatsoper,
4. Januar 2018
Vincenzo Bellini, I PURITANI

von Karl Masek (www.der-neue-merker.eu)

Nach der bejubelten Vorstellung war mir selbst ein Rätsel, warum ich in meinen früheren Opernzeiten den Belcanto des Vincenzo Bellini mit seinen unendlichen Melodien, dem vollendet traurigen Weltschmerzgestus, zwar meist als sehr schön  (Sänger/innen wie Gruberova, Bonfadelli, Dessay, Flórez, Sabbatini, einmal auch die Netrebko in „La Sonnambula“, waren daran „schuld“), aber mitunter auch als ein bissl fad empfand.

Wie kam dieser Meinungsschwenk? Dirigent Evelino Pidò und das Orchester der Wiener Staatsoper haben ihn bewirkt. Da war vom ersten Takt an tiefes Eindringen in die Klangwelten des genialen Melodikers aus Catania, die ganz spezielle Ästhetik, die Instrumentationsfeinheiten, zu spüren. Da gab es keinen Moment der „Begleiter-Beiläufigkeit“, keine Spur von orchestraler Banalität. Pidò spürte den Orchestervaleurs nach, unterlegte mit größtmöglicher Sensibilität die Stimmungen und seelischen Befindlichkeiten der Protagonisten auf der Bühne durch einen orchestralen Farbenbogen, der einen Abend lang in Bann hielt. Das „Kippen in den Wahnsinn“ einer OpernfigurSelten habe ich derlei so subtil gestaltet gehört. Dem Orchester der Wiener Staatsoper sagte man in früheren Zeiten öfter nach, Bellini (und auch Donizetti) eher so nebenbei gespielt zu haben. Und auch so manche Kapellmeister kamen da über Mediokrität nicht hinaus. Ganz anders der aktuelle Eindruck: Animiert, höchst konzentriert, mit selten erlebtem Nuancenreichtum  klang das alles, so als hätte Bellini für den Edelklangkörper an diesem Abend alle Dringlichkeit der Welt.

Dabei brauchte es auf der Bühne im ersten Akt durchaus ein bisschen Zeit, bis alle Sänger/innen sozusagen auf Betriebstemperatur waren. Bei vier Rollendebüts und einem Hausdebüt ging man es etwas vorsichtig an. So als wollte man sich erst über die Akustik „vergewissern“. Doch mit dem bis in die Fingerspitzen inspirierten Pidò am Pult konnten sich alle sicher und geborgen fühlen!

Nun denn: die junge Russin Venera Gimadieva gab als ‚Elvira‘ein bejubeltes Hausdebüt. Der in Kasan und St. Petersburg ausgebildeten Sopranistin (wieder eine aus dem anscheinend unerschöpflichen Reservoire an staunenswerten Talenten aus den Weiten Russlands!) gingen Referenzen u.a. vom Bolschoi-Theater Moskau, Glyndebourne, des ROH Covent Garden London, dem Teatro Real in Madrid, der Zürcher Oper voraus. Da ist wieder eine auf dem Weg zu einer Weltkarriere. Freilich, auch sie nicht ganz frei von „Premierenanspannung“ an diesem Abend. Das war spürbar an einem anfangs unruhig flackernden Vibrato. Da war auch die Stimme nicht ganz frei von Schärfe. Doch das legte sich rasch und man bekam eine Sängerin zu hören, die individuell timbriert (perfekter Edelklang wird in den Folgevorstellungen vermutlich auch noch hinzukommen), agil in den Koloraturen und  dramatischer Steigerungen fähig war. Die Höhen gingen prächtig auf, die Mittellage war voll präsent, ihr Spiel von stil- und geschmackvoller Zurückhaltung. Alles in allem: eine höchst erfreuliche Erstbegegnung!

Dmitry Korchak (mit Rollendebüt) war als  ‚Arturo‘ eine Idealbesetzung. Er machte den zwischen alle emotionalen und politischen Mühlen geratenen Lord der Stuart-Zeit  in Darstellung und Stimme absolut glaubhaft. Vor allem: schöner, farbenprächtiger, höhensicherer, zärtlicher, trauriger,… kann man diese Rolle kaum singen. Da war alles vorhanden: unfehlbare Technik, dramatisches Auftrumpfen gleichermaßen wie in allen Farben oszillierende Piano-Nuancen – und auch die nötige „Träne“ in der Stimme. Den in Wien ansässigen Weltklassetenor möchte man gern öfter und in mehreren Rollen hören, signalisierte der Jubel des Publikums …

Auch alle anderen gaben dem Abend ein Höchstmaß an kultivierter Dramatik:

Jongmin Park gab ein weiteres überzeugendes Rollenporträt als ‚Sir Giorgio‘, Onkel der Elvira, der immer alles zum Guten wenden will. Sein profunder, balsamischer Bass erfreut immer wieder.

Adam Plachetka war als ‚Sir Riccardo‘ der sinistre Bariton-Bösewicht und finale Mörder des Arturo, als alles fast schon nach Happy End aussah. Bei seinem Rollendebüt dauerte es etwas, bis er seinen zur Grobkörnigkeit neigenden Bariton in den Griff bekam, beim Duett mit  Jongmin Park steigerte er sich aber machtvoll und schloss mit effektvoll gesetztem Spitzenton.

Die in Tatarstan (Russland) geborene Ilseyar Khayrullova gab eine weitere beachtliche Talentprobe als Enriquetta, Witwe Karls des Ersten und politisch Verfolgte, ab. Nach einigen Hosenrollen ein Schritt ins dramatischere Mezzo-Fach.

Ryan Speedo Green (‚Lord Valton‘) mit guter bass-baritonaler Entwicklung und der PORR AG – Stipendiat Leonardo Navarro mit hübschem Tenor lieferten mit ihren Rollendebüts stimmige Abrundung dieses gelungenen Abends.

Chor und Bühnenorchester der Wiener Staatsoper (Leitung: Martin Schebesta und Witolf Werner) machten ihre Sache ausgezeichnet.

Die statische Steh-, Geh- und Schreit-Inszenierung des John Dew in der düster gehaltenen Ausstattung (Heinz Balthes) aus dem Jahr 1994 ist nicht mehr weiter erwähnenswert, gab den Protagonisten jedenfalls alle Freiheiten der individuellen Gestaltung auf der Bühne.

Authentisch und ehrlich klingende Bravi-Rufe und kein forciert-aufgesetzter Jubel, in den Chor, Orchester und (besonders verdient das Kraftzentrum Evelino Pidò am Pult) einbezogen wurde(n).

Foto: Ashley Taylor

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