Champagnerklänge im Tivoli: Concerto Copenhagen feiert den „Strauß des Nordens“

Vorstellungskonzert der CD-Neuerscheinung „Champagne! The Sound of Lumbye and his Idols“  Glassalen Tivoli, Kopenhagen, 20. August 2023

© Tivoli, Kopenhagen

„Strauß des Nordens“ mag für manchen so widersprüchlich klingen wie „veganer Schweinebraten“. Schließlich verbindet man mit dem Namen Strauß doch unmittelbar die Donaumetropole Wien. Im Gegensatz dazu denkt man beim „hyggeligen“ Kopenhagen eher weniger an Walzer, Polkas und Champagner. Dass jedoch der „Feuerstrom der Reben“ auch in der dänischen Hauptstadt floss, und dass dort ebenso „im Vereine dem König aller Weine“ gehuldigt wurde, ist manchenorts in Vergessenheit geraten. Nun hat sich das Concerto Copenhagen der Musik des mehrheitlich wohl nur noch Kennern vertrauten Hans Christian Lumbye – besagtem „Strauß des Nordens“ – zugewandt und ein neues Album vorgelegt; historisch informiert und im Titel dem Champagner gewidmet. Eine historische Ungenauigkeit regt jedoch zum Nachdenken an …

Vorstellungskonzert der CD-Neuerscheinung „Champagne! The Sound of Lumbye and his Idols“.

Lars Ulrik Mortensen, Dirigent
Concerto Copenhagen

Glassalen Tivoli, Kopenhagen, 20. August 2023

von Willi Patzelt

Die Geschichte Hans Christian Lumbyes und seiner Musik ist untrennbar mit dem Kopenhagener Tivoli-Garten verbunden. Der Freizeitpark, 1843 bereits eröffnet, ist heute gleichermaßen Attraktion für Touristen und Erholungsort Einheimischer. Nur vier Jahre zuvor hatte H.C. Lumbye, seinerzeit Trompeter in einem Dragonerregiment, in einem Kopenhagener Grand-Hotel eine Musikkapelle aus der Steiermark gehört, die mit der Musik Johann Strauß Vaters und Joseph Lanners durch Europa tourte.
Lumbye war hiervon derart begeistert, dass er sogleich Freunde um sich zu scharen begann, um nach Steirer Vorbild eine ebensolche Kapelle zu gründen. Nur knappe acht Monate später gaben Lumbye und seine neugegründete Kapelle ihr Debüt mit Kompositionen der Wiener Vorbilder sowie erster Werke von Lumbye selbst. Rasch gleichsam ein Popstar der Unterhaltungsmusik geworden, prägte Lumbye bis 1872 die Musik im Tivoli. Als Leiter des großen Ballsaals gab er berauschende Konzerte; aus kleinen Pavillons klingend, prägte seine Musik das Erscheinungsbild des Tivoli nachhaltig.

Originaler Klang seitdem ungehört

Dass das Concerto Copenhagen sein neues Album nun ausgerechnet im Glassalon des Tivoli vorstellt, muss bei einem der weltweit renommiertesten Ensembles für historisch informierte Aufführungspraxis wenig überraschen. Deutlich überraschender ist hingegen, dass sich das liebevoll CoCo genannte Ensemble überhaupt mit der Musik Lumbyes beschäftigt hat. Bekannt für seine herausragenden Aufnahmen alter Musik, betritt das CoCo mit diesem Album Neuland – und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Denn tatsächlich ist diese Musik seit der Zeit Lumbyes nicht mehr in ihrer originalen Gestalt erklungen. Zwar tauchten hin und wieder Werke Lumbyes auch beim Wiener Neujahreskonzert auf (zuletzt 2020 mit Andris Nelsons als Solotrompeter im Postillon-Galopp), und es entstanden auch einige Einspielungen, jedoch stets in jenem – gerade durch die Wiener Philharmoniker geprägten – gewohnten Klang, der dem ursprünglichen Klang nicht allzu nahekommt.

Atemberaubendes Instrumentarium

Das Resultat, welches das CoCo unter der Leitung von Lars Ulrik Mortensen vorlegt, ist insofern hochgradig bemerkenswert – im besten Wortsinne. Mit lediglich knapp 30 Musikern ist der Gesamtklang weniger glatt und brillant. Dieser schwer in Worten zu beschreibende Klang mag sich im Verhältnis zum Gewohnten womöglich in folgendem Bild darstellen lassen: Er ist gleichsam ein Oldtimer, top restauriert, im Vergleich zum modernen PS-starken Sportboliden. Zwar hat letzterer mehr Komfort und Leistung, aber ersterer deutlich mehr Charme.

Auch ist den Musikern die Spielfreude bei diesem für sie sonst unüblichen Repertoire deutlich anzumerken. Musikalisch vor allem erstaunlich ist die große klangliche Spannweite der Holzbläser. Die Klarinettisten haben – es ist kaum zu glauben – den Abend über auf sechs unterschiedlichen Klarinetten zu spielen. Der Unterschied zwischen der tief-sonoren A-Klarinette und der schrillen E-Klarinette steckt gleichsam exemplarisch das riesige Spektrum an Klangfarben ab.

(c) Willi Patzelt

Auskomponierter Korkenknall

Außerdem ist diese Musik ein Fest für die Perkussionisten. Vom Donnerblech bis zur Teufelsgeige ist da nämlich so ziemlich alles dabei. Das wohl lustigste Instrument hierbei: ein Fahrradpumpen-ähnliches Holzkonstrukt (in den USA als Spielzeugpistole „pop gun“ verkauft), welches täuschend echt den Korkenknall einer Champagnerflasche imitiert. Selbiger ist schließlich Startschuss in Lumbyes berühmtestem  und dem Album seinen Namen gebenden  Werk: Der Champagnergalopp – ein Stück, so ikonisch für den Tivoli, dass die Melodie sogar die Seitenfassade des großen Tivoli-Konzertsaals schmückt.

Durch den Champagnergalopp eröffnet, folgen weitere Kompositionen von Lumbye, Strauß d. Ä. und Lanner. Während sich der Strauß’sche Champagner-Walzer direkt programmatisch erschließt, wirken die Lanner’schen Mozartisten etwas unbeholfen unpassend im Programm. Aber das Wesentliche dieser Musik und dieses Programms ist schließlich nicht in intellektueller Erkenntnis, sondern darin zu finden, wovon sich gerade der deutsche Bildungsbürger zuweilen stolz fürchtet: in herzlichster und köstlichster Unterhaltung.  

Mehr Lumbye wagen!

Das Concerto Copenhagen hat mit diesem Album wirkliche Pionierarbeit vorgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass die Musik H.C. Lumbyes künftig häufiger in Programmen anzutreffen sein wird. Es wäre wirklich schade, wenn diese Musik sich keinem größeren Publikum erschlösse.

Eine historische Ungenauigkeit wäre aber wohl noch zu beseitigen. In Lumbyes Orchester herrschte nachgewiesenermaßen ausgiebigster Alkoholkonsum. So war es praktisch, dass in den weiland an die Bühne angrenzenden Räumen den Musikern Alkohol zum Personaltarif ausgeschenkt wurde. Ob insofern eine historisch informierte Aufführung im nüchternen Zustand überhaupt als solche gelten darf, wird zu erforschen sein – als womöglich nächster Schritt einer fortschreitenden Lumbye-Rezeption. Skål!

Willy Patzelt, 24. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die Rache der Fledermaus, nach Die Fledermaus von Johann Strauß in einer Bearbeitung von Stefan Huber und Kai Tietje Komische Oper Berlin, Premiere am 10. Februar 2023

Johann Strauß, Die Fledermaus Staatsoper Hamburg, 28. Dezember 2022

Johann Strauß, „Der Zigeunerbaron“, Komische Oper Berlin, 26. Juni 2021

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