Ensemble beim Schlussapplaus; Foto Patrik Klein
Laeiszhalle Hamburg, 29. Mai 2022
Jan Josef Liefers erzählt Loriots Geschichte vor begeistertem Publikum – und ein umjubelter Sänger empfiehlt sich für die Bayreuther Festspiele.
von Patrik Klein
Als der letzte Ton am apotheotischen Ende der Götterdämmerung verklungen war, die Rheintöchter ihren Ring wieder zurück erhielten, bis auf Alberich alle Götter verschwunden waren, nur noch Menschen, Wasser, Feuer und die Erde zurück blieben, trat ein kurzer Moment der Stille im gut besetzten Saal der Laeiszhalle in Hamburg ein. Dann jedoch standen wie auf Kommando alle ZuhörerInnen auf und ließen ihren Emotionen mit Bravostürmen und Applaus freien Lauf. Das hatte man so schon lange nicht mehr in diesem Konzerthaus erlebt.
Wer kennt ihn nicht, den in vier Werke aufgeteilten rund 16 Stunden langen Ring des Nibelungen von Richard Wagner?
Dieses monströse, monumentale Werk aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Librettist und Meisterkomponist die Unvereinbarkeit von Macht und Liebe im „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ zelebriert und dabei Unterwelt, Menschen und Götter um die Macht auf Erden streiten lässt, die konzentriert ist auf einen goldenen Ring.
Neben der mittelalterlichen Nibelungensage diente ihm die nordische Mythensammlung „Edda“ als Grundlage, jedoch mit stark veränderten Charakteren und Motiven.
1848 begann er mit den Arbeiten an der Dichtung, die er 1853 vollendete. Doch die Musik beschäftigte Wagner ungleich länger. Es dauerte bis zum 21. November 1874, bis Wagner auf die letzte Seite der Partitur die erlösende Notiz schrieb: „Vollendet in Wahnfried; ich sage nichts weiter!! R.W.“
Wagner entwarf das Werk als neue Form einer romantischen Oper, die als Gesamtkunstwerk Text, Musik, Schauspiel, Tanz, Bühnenbild, Kostüm und Effekte verbindet. Ein künstlerischer Ansatz, der die Welt der Musik und Oper revolutionierte und bis heute nachhaltige Wirkung zeigt.
Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow und bekannt als „Loriot“ ging als einer der bekanntesten Humoristen des Landes mit seinem speziellen Humor an das für Viele etwas sperrige Werk Wagners.
Mit dem Motto „Was Sie schon immer über Siegfried wissen wollten“ schuf Loriot seine ganz eigene Version von Wagners „Ring des Nibelungen“. Amüsant und scharfsinnig bringt die Zusammenfassung der vier Opern endlich Licht in die komplizierte und verworrene Handlung und rückt den göttlichen Verstrickungen mit Witz und Hintersinn geistreich zu Leibe. Die Erkenntnisse Loriots sind dabei nicht nur für Opern-Neulinge, sondern auch für Wagner-Kenner purer Genuss und reine Freude.
Für die Rolle des Sprechers stand der beliebte deutsche Schauspieler Jan Josef Liefers auf dem Podium der Laeiszhalle Hamburg, der dieses Programm bereits mehrfach seit 2019 mit der Staatskapelle Weimar gemeinsam durchführte. Selbstbewusst und augenzwinkernd führte er durch die komplexe Welt der Nibelungen. Von seinem roten Plüschsessel aus, eine dicke Kladde auf den Oberschenkeln liegend, nahm er das Publikum in seinem eindringlichen, humoristischen und satirischen Vortrag mit in die Auseinandersetzung mit den ewigen Themen von Macht, Gewinn und menschlichen Schwächen. Durch eine Reihe aktueller Gegenwartsbezüge blieb einem jedoch das Lachen gelegentlich im Halse stecken. Dem Schauspieler gelang es, die Intention Loriots, das gekürzte Kunstwerk an einem Abend zu präsentieren, ohne dem Werk durch billigen Klamauk etwas von seiner Größe zu nehmen.
Musikalisch hörte man Feinstes: Der deutsche Tenor Thomas Mohr, dessen Stimme ein wenig an den legendären Jean Cox erinnert, war an diesem Abend gleich mit einer Doppelrolle konfrontiert. Sowohl als Siegmund und als dessen Sohn Siegfried konnte er überzeugen. Von lyrisch gesungen Passagen in „Die Walküre“ (O süßeste Wonne! Seligstes Weib), oder das mit feinsten lyrischen Bögen im „Siegfried“ aufgespannte (Dass der mein Vater nicht ist, wie fühl ich mich drob so froh) bis zu dem strahlend inbrünstigen Werben um Brünnhilde (Erwache, Brünnhilde! Wache, Du Maid), gelang es ihm, alles komplett mühelos erscheinen zu lassen. Von der Anstrengung, die diese Mordspartien erforderten, war buchstäblich nichts zu hören oder zu sehen. Man war unweigerlich erinnert an die phänomenale Leistung im unvergesslichen Ring in Minden, in dem er bis 2019 sowohl Loge, Siegmund und Siegfried verkörperte.
Mit der dänischen Sopranistin Brit-Tone Müllertz als Sieglinde und Gutrune stand ihm eine ebenbürtige Partnerin zur Seite, die bereits großen Erfolg feierte bei ihrem Debut als Sieglinde 2014 und dabei zur Nachwuchssängerin des Jahres durch die Fachzeitschrift Opernwelt auserkoren wurde. Zuletzt konnte man sie in der Hermann Nitsch Inszenierung der „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen 2021 als Ortlinde erleben.
Der Norweger Bjørn Waag, derzeit auch unterwegs in Chemnitz als König in der Verdi Oper „Aida“, sang einen auch spielstarken Alberich und Gunter mit klar artikulierter Phrasierung und guter Textverständlichkeit. Als Alberich wirkte er eher sympathisch, denn der Bass-Bariton hätte hier etwas mehr Schwärze beim „Schwarzalben“ entwickeln können.
Zelotes Edmund Toliver gab den üblen Burschen Hagen. Der gebürtige Amerikaner, der u.a. diese Rolle erfolgreich an den Opernhäusern in Linz und Graz verkörperte, berührte mit tiefgründiger Rauheit und schlagkräftigem Stimmvolumen. Ein wenig erinnerte er mich an den legendären Bass-Bariton Simon Estes.
Matthäus Schmidlechner war als Mime und Loge eine überragende Wahl für diese Doppelrolle. Der gebürtige Österreicher, der als Ensemblemitglied am Musiktheater in Linz engagiert ist, fand sich mit sicherer Tenorstimme in die zweifelhaften Charaktere seiner Figuren ein. Mit listiger und tückisch-witziger Manier gestaltete er beide Charaktere intonations- und textsicher.
Der griechische Bass-Bariton Aris Argiris als Wotan und Wanderer gab an diesem Abend eine klare Empfehlung für die Bayreuther Festspiele ab. Vor zwei Tagen noch als Amonasro in Verdis Aida an der Oper in Chemnitz gefeiert, brachte er den italienischen Elan und die Verve mit in die Hansestadt. Er glänzte mit schier unglaublicher Energie und einer tief berührenden Zerrissenheit als Gatte und Göttervater mit Machtanspruch und Liebesbedürfnis. Ganz hervorragend gelang es ihm, Textverständlichkeit, feinste Phrasierungen und eine große dynamische Spannweite aufzuzeigen, die einem den Atem raubte. Im Finale der „Die Walküre“ setzte er auf leiseste, kaum zu hörende, aber dennoch klar zu verstehende Ansätze, die in einem starken Crescendo mündeten. Er gestaltete die Partie mit feinster und dunkelster Schwärze, kernigem Metall und berührte damit eindringlich das begeisterte und ihn besonders feiernde Publikum in Hamburg.
Die aus Finnland stammende Sopranistin Miina Liisa Värelä zeigte alles, was eine hervorragende Brünnhilde haben muss: einen leicht abgedunkelten, dramatischen Sopran mit schwindelerregender Sicherheit in allen Registern. Sowohl im „Siegfried“ mit dem Duett mit Thomas Mohr, als auch zum Ende der Götterdämmerung, wo es denn hieß: „Grane, mein Roß“, hörte man mit Hochgenuss ihre vielseitige Sopranstimme. Zu Recht wurde sie später vom Publikum mit Ovationen gefeiert.
Edna Prochnik fungierte ebenso in einer Doppelrolle als Fricka und Waltraute. Die gebürtige israelische Mezzosopranistin, vielbeschäftigt u.a. als Ensemblemitglied am Nationaltheater in Mannheim, sowie erfahren als „Kundry“, „Fricka“, „Waltraute“, „Norn“, „Erda“ und „Schwertleite“, gab ihren Rollen dunkles Timbre und eine handlungsbeeinflussende Wirkung.
Mit Mara Mastalir, die kurzfristig für die erkrankte Catalina Bertucci als Woglinde einsprang, Manuela Leonhartsberger als Floßhilde und Christina Sidak als Wellgunde wurde das hervorragende Ensemble in Hamburg bestens komplettiert.
Der aus Schwerin stammende deutsche Dirigent Heiko Mathias Förster, der das international erfolgreiche Prague Royal Philharmonic Orchester gründete und künftig dem Orchester der Philharmonie Baden-Baden vorstehen wird, musizierte mit der Staatskapelle Weimar souverän und hoch konzentriert über die knapp drei Stunden dauernde „Kurzfassung“ des Ringes. Mit dickem Pinsel trug er die Komposition Wagners auf die musikalische Leinwand der Zuhörerschaft. Kraftvolle Fortissimo beeindruckten, aber deckten auch gelegentlich die wirklich deutlich agierenden SängerInnen etwas zu stark ab. Die scharfen Staccato-Akkorde im schweren Blech ließen sogar den Zuschauerraum erzittern. Das Orchester überzeugte mit großem Farbenreichtum z.B. in den Holzbläsern ebenso wie mit außerordentlicher Brillanz im Blech. Heiko Mathias Förster begleitete die Solisten meist einfühlsam und mit großer Kenntnis der Partitur. Alle Einsätze waren sicher und präzise und die gesamte Darbietung wirkte enorm harmonisch und nahezu perfekt eingespielt.
Das Publikum in der gut besuchten, aber nicht ausverkauften Laeiszhalle war am Ende fast wie bei einem Popkonzert, völlig außer Rand und Band. Zu Recht.
Patrik Klein, 30. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at
Kammerkonzert der Symphoniker Hamburg, Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal, 22. April 2022