V.l.n.r.: Andrej von Sallwitz, Mira Tscherne, Kofi Wahlen, Ilona Raytman, Tenzin Chöney © Sinje Hasheider
In diesem Theater gibt es keine Übertitel zum Mitlesen. Man muss sich als Erwachsener auf diese Sprache, auf dieses Idiom, das hier gesungen und gesprochen wird, einlassen. Übersetzungsprogramme nutzen nichts.
Das junge Publikum kommt klar damit.
Wazn Teez?
Insekten-Musical von Martin Heckmanns
nach dem Bilderbuch von Carson Ellis, aus dem Englischen von Jess Jochimsen und Anja Schöne
Musik von Tobias Vethake
Uraufführung am 16. November 2024
im Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin
Theater an der Parkaue, Bühne 1, 16. Dezember 2024
von Ralf Krüger
Es ist Sommer auf der Bühne. Das kleine Pflänzlein ist zu einer beachtenswerten Blume herangewachsen. Man ahnt schon, wie herrlich die Blüte sich entfalten wird. Unsere fünf Insektenfreunde geben sich der Siesta hin, als sich plötzlich ein überdimensional großes Spinnennetz von der linken zur rechten Bühnenseite spannt und alles ringsherum in Panik verfällt. Die Maikäfer-Band heizt mit Hardrock die Stimmung an, die Insekten fliehen in die ersten Reihen des Publikums, die Kinder halten dagegen mit Grölen, Pfeifen und Klatschen – und in aller Ruhe tanzen zwei Spinnen ihren Tanz, nahe am Netz, mit unglaublicher Eleganz und in herrlichen Kostümen. So hat man Spinnen noch nie tanzen gesehen.
Eine halbe Stunde zuvor begrüßt eine muntere Truppe lustig kostümierter Insekten-Typen unter ihrem Chef Otto von Ottowo das noch nicht zur Ruhe gekommene junge Publikum mit der Frage Wazn Teez? Man plaudert und trällert drauflos. Niemand versteht irgendetwas und doch verkünden zwei Jungs in meiner Reihe im Brustton der Überzeugung: „Die sprechen Spanisch!“.
Falsch. Gesprochen wird hier „Insektisch“. Ich hatte mich vorbereitet. Auf der Website des Theaters erfährt man, dass der Dramatiker Martin Heckmanns die wenigen Texte des Bilderbuches von Carson Ellis weitergesponnen hat, „zu einem Insekten-Esperanto, das bisher keiner kannte und das doch für alle verständlich ist“. Und die titelgebende Frage geben uns die Macher des Stücks sogar in Deutsch noch als Starthilfe mit auf den Weg. Alles andere bleibt der Phantasie jedes Einzelnen überlassen.
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Was ist denn das? Die Frage also steht am Beginn einer Geschichte über einen kleinen Pflanzenspross, der durch den Wissensdurst und die Neugier eines Insekten-Kollektivs zu einer schönen Blume heranreifen kann. Es geht letztlich um das, was unser Leben ausmacht: Wachsen und Gedeihen, Blühen, Schön sein – und doch Verblühen, Verwelken und Sterben. Ein Prozess, der bei Wazn Teez? über die vier Jahreszeiten abläuft und im nächsten Frühjahr – wenn alles gut geht – von vorne beginnt.
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Tobias Vethake hat die Handlung in laute, schrille, aber sympathische Musicalmelodien verpackt – ohne auf den Ohrwurm-Effekt zu setzen. Das Schlagzeug dominiert sehr oft, zwei E-Gitarren begleiten und ein Musiker wechselt von der Gitarre manchmal zu einem Streichinstrument für sehr tiefe Töne (Kontrabass?). Die meisten Titel werden im Ensemble gesungen.
Vier der Insektendarsteller sind ständig in Bewegung, zappelnd, tänzelnd, bückend – nur Otto von Ottowo zieht sich manchmal zum Nachdenken in eine Baumscheibe zurück… um mit einem Utensil (Gießkanne, Leiter etc.) wieder herauszukommen. Darum denke ich, er ist der Chef.
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Im Programmheft wird niemand von den Darstellern oder Musikern besonders herausgestellt. Es gibt hier glücklicherweise keinen Star-Kult. Nur bei einem einzelnen Namen muss ich stutzen. JARNOTH – gänzlich großgeschrieben und ohne Vornamen aufgeführt. Auf seiner Website entdecke ich einen Künstler mit vielen Talenten. Er hat ein Studium als Puppenspieler absolviert, wurde von Hans Neuenfels an die Berliner Staatsoper engagiert und performt bei Wazn Teez? einen der Spinnen-Tänzer. Auch im Musical-Finale hat er einen Auftritt, der so sportlich, so kraftvoll, so opulent daherkommt und der von den Kindern mit der ihnen eigenen Art der Anerkennung überschüttet wird, so dass er in diesem Text nicht verraten werden soll.
Das Theater an der Parkaue liegt sechs U-Bahnstationen östlich vom Alexanderplatz in einer Gegend, wo man kein Theater vermuten würde. Das Haus verweist auf eine sehr lange Tradition, die bis in die frühen DDR-Jahre zurückreicht. Heute ist es das einzige Staatstheater für Kinder und Jugendliche in unserem Land und trotzdem von den Sparmaßnahmen des Berliner Senats bedroht. Die aktuelle Kürzung des Budgets wurde zwar zurückgenommen, aber das Kaputt-Sparen in dieser Stadt ist noch nicht zu Ende. Ich wünsche dem Theater eine gute Zukunft, zugunsten unserer Kinder.
Ralf Krüger, 17. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Stephen Sondheims Musical „Sweeney Todd“ Theater Lübeck, 14. Oktober 2023, PREMIERE