Foto: Musikverein Wien /Müller (c)
Musikverein Wien, Goldener Saal, 20. April 2018
Webern Symphonie Orchester
Christoph von Dohnányi, Dirigent
Charles Ives
The Unanswered Question
Robert Schumann
Symphonie Nr. 4 d-Moll, op. 120
Johannes Brahms
Symphonie Nr. 2 D-Dur, op. 73
von Jürgen Pathy
Im anfangs kaum wahrnehmbaren Pianopianissimo erhebt sich ein friedlicher, choralartiger G-Dur-Dreiklang der Streicher, der sich in kontinuierlich gleichbleibender Dynamik im zartesten Legato durch das ganze Werk des amerikanischen Avantgardisten Charles Ives zieht. Eine herzerwärmende Klangwolke benebelt den Saal. Wiederholt unsanft unterbrochen wird dieser elegische Klangzauber nur von einer widerspenstigen Trompete und erschreckend dissonanten Gespenstern im Holzbläserquartett, das abseits am linken hinteren Rand der Bühne positioniert von fremder Dämonenhand geleitet wird.
Auf den Spuren des magischen Druidenzaubers wandert auch der folgende Robert Schumann. Einen eher entspannten deutschen Musikpoeten empfangen Christoph von Dohnányi, 88, und das Webern Symphonieorchester im Großen Saal des Musikvereins Wien.
Die Urfassung der vierten Sinfonie kredenzte der seit einem Jahr glücklich verheiratete Robert seiner angebeteten Clara zu deren Geburtstag am 13. September 1841. Den Weg in den Konzertsaal findet meistens die 1851 überarbeitete Fassung. In welchem Geiste diese d-Moll Sinfonie interpretiert werden soll, liegt in der Hand der musikalischen Leiter: Herbert von Karajan ließ die Wiener Symphoniker „bis zum Wahnsinn an einem Ton“ festhalten; Christoph von Dohnányi scheint diesen sich anbahnenden Wahnsinn, der Schumann 1854 schließlich im Irrenhaus enden ließ, in dieser ohne Satzpausen zu spielenden „symphonischen Phantasie“ noch nicht zu vernehmen – zumindest kann oder will das Webern Symphonie Orchester keinen von Seelenqualen gebeutelten Komponisten präsentieren.
Diesen erwecken die blutjungen Orchestermusiker unter der Leitung des Weltstars mit der 2. Sinfonie des Hamburgers Johannes Brahms – denn Dohnányi bereiten die vielen Interpretationen des Werkes in „dieser österreichischen D-Dur Seligkeit“ Probleme. Viel mehr erkenne er „ganz viel Depressives und viele dunkle Fragezeichen zum Dur“. Brahms selbst habe gemeint „diese traurigste, elegischste Sinfonie, die er je geschrieben“ habe, müsse „in Schwarz gebunden werden“. Diese Anweisungen kann das Orchester beeindruckend verwirklichen, erhellt den Goldenen Saal nicht mit strahlendem Sonnenschein am Wörthersee, sondern trübt den idyllischen Glanz mit Gewitterwolken und dicken, schweren Vorhängen.
Die künstlerisch-pädagogische Verantwortung des Webern Symphonie Orchesters der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien obliegt dem Wiener Philharmoniker Helmut Zehetner, der den typischen Wiener Musizier- und Klangstil an die nächste Generation weitergeben möchte. Außer einiger grober Probleme bei der Intonation (Blech, Holzbläser) – deren Perfektion Dohnányis Augenmerk gilt – sind die Nachwuchsmusiker auf einem guten Weg, den Fußstapfen der erfolgreichen Vorbilder zu folgen.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 22. April 2018, für
klassik-begeistert.at