Photos: Andreas Ströbl
Werke von Komponisten des 17. bis 20. Jahrhunderts
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Paul Willot-Förster, Dirigent
Nataliya Bogdanova, Sopran
Noah Schaul, Tenor
Jacob Scharfmann, Bariton
Weihnachtskonzert im Lübecker Theater, 25. Dezember 2022
von Dr. Andreas Ströbl
Und schon ist Weihnachten wieder vorbei! Nach wochenlangen Vorbereitungen, kindlicher Vorfreude und erwachsener Hasterei bleibt auch vom Weihnachtsfest 2022 bald nur noch eine Erinnerung. Die ist in Lübeck allerdings verbunden mit lichtvollen Gedanken an eine liebe, klangfunkelnde Tradition, dem Weihnachtskonzert des Lübecker Theaters mit einem bunten, festlichen Programm. Das wissen viele Hanseaten und so war das Theater proppenvoll, auch mit Zugereisten aus so exotischen Orten wie Hamburg oder Cuxhaven.
Weihnachten ohne Johann Sebastian Bachs nämliches Oratorium geht natürlich gar nicht und so erklangen in festlichem Glanz der Eingangschor, die Echo-Arie „Flößt mein Heiland“ und der Choral „Jesus richte mein Beginnen“ aus Kantate Nr. 4. Nataliya Bogdanova wandte sich mit glockenhellem Sopran hoffnungsvoll fragend an den Heiland und erhielt jeweils reizvoll die Echo-Antwort unsichtbar aus den Logen. Der gemischte Chor unter der Leitung von Jan-Michael Krüger ist eine echte Bank in Lübeck, was Fülle und Exaktheit angeht, wenngleich die Sopranistinnen in den Höhen zuweilen etwas weniger Schärfe und Tremolo vertragen würden.
Jens Ponath, leitender Dramaturg für Musiktheater und Konzert, begrüßte anschließend das Publikum und stellte das Programm vor, Tschaikowsky zitierend: „Musik ist keine Illusion, Musik ist Offenbarung“. In Felix Mendelssohn-Bartholdys Ouvertüre zum Paulus-Oratorium offenbart sich rein instrumental der Weckruf „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Hier rezipiert die Romantik fugenverliebt den frühen Barock mit Philipp Nicolais bekanntem Kirchenlied, frisch und feierlich gespielt vom Philharmonischen Orchester unter Paul Willot-Förster.
„Bogoroditse Devo“ von Sergej Rachmaninow ist ein „Ave Maria“ und entführte, a cappella vom gemischten Chor gesungen, in die goldglänzende Heimeligkeit einer orthodoxen Kirche.
In der gleichen Weise dargebracht wurde das Adventskyrie von Günter Raphael, in dem die verdorrten Zweige des Dornwalds auch musikalisch grüne Knospen erhielten. All diese religiösen Stücke kamen ganz ohne sakrales Pathos daher, vielmehr leicht und festlich.
Zwar hat auch das „Urlicht“ aus Gustav Mahlers Zweiter Symphonie einen religiösen Inhalt, aber es ist eben Mahler-typisch die Adaption eines liebenswert naiven Wunderhorn-Textes, in dem die Hoffnung auf die Auferstehung thematisiert wird, eingefügt in einen klanglichen Rahmen, der die eigentliche Größe der Heilserwartung ahnen lässt. Mahler selbst soll über diesen Satz gesagt haben: „Das ‚Urlicht‘ ist das Fragen und Ringen der Seele um Gott und um die eigene göttliche Existenz über dieses Leben hinaus.“ Nataliya Bogdanova verstand es, mit Hingabe den Bogen zwischen Kindlichkeit und Transzendenz zu spannen.
Zurück an den Beginn der Zeiten wiesen „Von deiner Güt, o Herr“ und „Die Himmel erzählen“ aus Joseph Haydns „Die Schöpfung“ mit Chor und den Solisten Nataliya Bogdanova und Jacob Scharfmann, einem Neuzugang im Ensemble. Sein Bariton ist stark und voll, das Textverständnis stets hervorragend. Auch der Tenor Noah Schaul ist erst seit dieser Spielzeit am Theater und man freut sich, dass er zunehmend in größeren Rollen zu erleben ist. Das Miteinander von Chor und Solostimmen geriet makellos und lebhaft-feierlich schloss der erste Teil dieses Konzerts.
Mit Tschaikowskys „Nußknacker“ kann man für ein breites Publikum nichts falsch machen und obwohl diese Musik auf jedem Sender um Weihnachten täglich mehrmals gespielt wird, hatten die acht Stücke hier eine flotte Dynamik und wirkten erfreulich entschlackt und tänzerisch-leichtfüßig. Beim „Blumenwalzer“ hätte man am liebsten mittanzen mögen, so mitreißend spielte ihn das Orchester. Paul Willot-Förster ist ein engagierter, exakt arbeitender und gleichwohl leidenschaftlicher Dirigent mit dem Habitus eines gediegenen Gentlemans.
Das Zwischenklatschen war an diesem Abend verzeihlich, die Menschen hatten hörbar Freude an der Musik mit klanglichem Lebkuchenduft. Leider fehlte der zauberhafte Arabische Tanz, aber eine Auswahl musste schließlich getroffen werden, denn es warteten noch weitere Stücke wie das zu Herzen gehende „O Holy Night“ von Adolphe Adam, arrangiert von John Rutter. Noah Schaul entließ dieses Lied, eher ein tönendes Gebet, mit solcher Inbrunst in den Saal, dass er mehrere verdiente „Bravo“-Rufe kassieren durfte.
„Stille Nacht, heilige Nacht“ von Franz Xaver Gruber lässt selbst verhärtete Herzen weich werden und so floss manches Rührungs-Tränlein aus den glänzenden Augen des Publikums. Das durfte abschließend mitsingen und, von Paul Willot-Förster geleitet, froh und dankbar Händels „Tochter Zion“ schmettern. Mit dieser genialen Idee, gleichsam alle umarmend, entließ das Theater Lübeck ein begeistertes Publikum, das herzlich applaudierte.
Weihnachten ist vorbei? Nächstes Jahr soll es wieder eines geben!
Dr. Andreas Ströbl, 27. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Nikolai Rimski-Korsakow, Die Nacht vor Weihnachten Philharmonie Berlin, 23. Dezember 2022