Wiener Philharmoniker,
Konzertaufzeichnung am 7. März 2021 im Musikvereinsgebäude,
Großer Saal
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 5 in B-Dur
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Christian Thielemann
Copyright: Wiener Philharmoniker, Fotograf: Dieter Nagl
Unser Klassik-Reporter Herbert Hiess erlebte das Konzert der Wiener Philharmoniker unter dem Dirigat von Christian Thielemann im Goldenen Saal des Musikvereins Wien.
Nach so vielen Monaten unfreiwilliger Abstinenz wird einem nach einem solchen Ereignis klar, was wir alle (und vor allem die vielen Musikfreunde) versäumt haben – und noch versäumen werden.
Corona und eine üble Kulturpolitik haben klargemacht, wie empfindlich der Kultursektor ist und was mit den Künstlern allzu rasch passieren kann. Als trauriges Beispiel können die Orchestermusiker der New Yorker MET-Oper herangezogen werden, die seit einem Jahr tatsächlich ohne Job und Einkommen dastehen.
Das hat sogar soweit geführt, dass die Wiener Philharmoniker und ihr Vorstand Daniel Froschauer eine öffentliche Solidaritätsnote für die US-Musiker publiziert haben. Hier in Wien sind die Orchestermusiker in der Wiener Staatsoper auch auf Kurzarbeit, was sich natürlich auf die Einkommenssituation der Leute auswirkt – und natürlich gibt es auch keine Konzerteinnahmen für den Verein Wiener Philharmoniker. Aber durch die pandemischen Effekte haben andererseits Orchester, Filmfirmen und Stardirigenten mehr Termine als gewünscht frei und so ergibt sich die spontane Fortsetzung des großartigen Bruckner-Projektes mit der UNITEL und Sony.
Stardirigent Christian Thielemann, der dieses Projekt musikalisch leitet, hat hier gemeinsam mit dem Orchester viel mehr Probenzeit zur Verfügung – und das Ergebnis kann sich hören lassen.
Was da am Vormittag geboten wurde, war eine seltene Sternstunde. Thielemann und die einzigartigen Musiker ließen jede Nuance hören. Jedes Tremolo war austariert, jeder Legatobogen und jede Seitenstimme hinterließ einen Gänsehauteffekt. Wobei es bei dem Maestro eigentlich keine „Seiten- und Nebenstimmen“ gibt; jede hat hier ihre gleichwertige Bedeutung. Thielemann versteht es, die Dramaturgie dieser monumentalen Symphonie geschickt aufzubauen und die Steigerungen sind so konzipiert, dass man fast vom Sitz hätte aufstehen mögen. Unvergessen das Seitenthema des Adagios, wo man sich wie in einer unendlich schönen Kathedrale vorkommt. Der dritte Satz (Scherzo) lässt so richtig den „Landler“ hören, und im Trio sind die Pizzicati als Grundstein des Werkes zu hören.
Und im Finalsatz hört man neben den gleichen Pizzicati wie beim Eingangsthema die Hauptthemen des ersten und zweiten Satzes erklingen, bevor es dann in die beiden Fugen übergeht. Thielemann hat hier immer geschaut, dass die melodischen Bögen zu hören sind und hat sich von der allzu unpassenden non-legato/Staccato-Kultur distanziert. Unbeschreiblich dann die komplette Coda des Finales mit den Bläserchorälen. Und gut, dass die Pauken für die Finali erster und vierter Satz doppelt besetzt waren; damit wird verhindert, dass die Paukisten zu „nageln“ beginnen.
Also eine veritable Sternstunde, die leider nur allzu wenige Menschen live genießen haben können. Natürlich gibt es das Streaming und die Aufzeichnungen – diese Klangmassen kann aber kein Mikrophon einfangen und kaum eine Stereoanlage wiedergeben. Vorstand Daniel Froschauer hat das Streaming so beschrieben: „Das ist wie eine Kochsendung, wo die Zubereitung eines Schnitzels gezeigt und erklärt wird. Nur wenn es dann real serviert wird, merkt man erst, wie es wirklich ist.“
Hier eine aktuelle Übersicht der Übertragungen der diversen Konzerte unter Christian Thielemann:
7. März 21, 11 Uhr, fidelio: Bruckner
9. März 21, 11 Uhr, fidelio: Bruckner 5
10. April 21, 09.05 Uhr, ORF III: Bruckner 5
Trotzdem zahlt es sich aus, sich diese Aufzeichnungen anzusehen und anzuhören – auch wenn sie (leider!) nur via Bildschirm und Lautsprecher erklingen können.
Solange eine solche absurde und verrückte Kulturpolitik bei uns existiert, wird es auch noch länger so dauern. Und solange sich diverse Manager in Schweigen üben und mit modernistischen „Luxus-Trash“-Produktionen Opern zeigen, die man sich auch sonst vielleicht nicht ansehen würde, solange wird ja diese kleingeistige Politik erfolgreich sein.
Herbert Hiess, 7. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Da möchte man vor Neid erblassen. Wie gerne wäre man dabei gewesen. Aber wir leben ja in Unfreiheit und dürfen weder reisen noch Konzerte besuchen. Demnächst vermutlich nur noch mit Test. Nein danke. So wird das nichts. Es wird Zeit, dass sich die Kulturschaffenden mit der Politik anlegen.
Luisa Schmedt
Ich hatte auch einen Test machen müssen, der aber von einem Kontrabassisten gemacht wurde. War überhaupt mein erster Test.
Das war’s mir dann doch wert; obwohl es mir leid tat, dass nicht mehr Menschen das erleben konnten.
Wie Sie lesen konnten – gebetsmühlenartig beklage ich die Schwäche der Kulturschaffenden. CT ist da eine löbliche Ausnahme.
Trotzdem wünsche ich Ihnen alles Liebe aus Wien.
Herbert Hiess
Toll und Respekt, lieber Herbert,
dass Du bei dieser Sternstunde dabei warst.
Andreas
Gebe Ihnen völlig recht. Obwohl wir doch kultiviert sind, den Neid zu unterdrücken, ist es oftmals nicht einfach. Ich schaffe es auch nicht ganz. Aber wie heißt es so schön: Mitleid bekommt man umsonst, Neid muss man sich erst hart erarbeiten. In diesem Sinne: Gratulation an unseren Redaktionskollegen Herbert Hiess!
Als nächste Sinfonie soll die „nullte“ eingespielt werden, wie ich heute erfahren habe. Wer diese Sinfonie in d-Moll nicht kennt, der ist bestimmt nicht alleine. Habe sie noch nie gehört. Zeit also, dass Thielemann und die Wiener Philharmoniker eine Duftmarke setzen…
Jürgen Pathy