Für eine solche grandiose Wiedergabe hat sich die weite Reise gelohnt. Ich muss gestehen, dass ich ganz allein für dieses Konzert mit Muti nach Salzburg gekommen bin. Schuberts Vierte mit dem Beinamen „Tragische“ habe ich oft gehört, aber keine dieser Wiedergaben war so einzigartig wie diese Salzburger Aufführungen unter Muti, geprägt von edlem Klang und idealen, gemäßigten Tempi. Und auch einen solchen Bruckner hört man nicht alle Tage, schon gar nicht die f moll Messe.
Franz Schubert: Symphonie Nr.4 D 417 „Tragische“
Anton Bruckner: Messe f-moll WAB für Soli, vierstimmig gemischten Chor und Orchester
Ying Fang, Sopran
Wiebke Lehmkuhl, Alt
Pavol Breslik, Tenor
William Thomas, Bass
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Wiener Philharmoniker
Leitung: Riccardo Muti
Großes Festspielhaus, Salzburg, 17. August 2025
von Kirsten Liese
Die Konzerte mit den Wiener Philharmonikern unter Riccardo Muti in Salzburg sind heiß begehrt. Sowohl bei den Musikern, die sich darum reißen, bei den traditionell Mitte August anberaumten Terminen dabei zu sein, als auch beim Publikum, das die Qualitäten des Altmeisters zu schätzen weiß, der dem Festival seit seinem Debüt 1971 treu geblieben ist, alljährlich Höhepunkte beschert und mittlerweile an die 300 Auftritte in der Mozartstadt verbuchen kann.
Und vermutlich würde er auf ebenso viele Aufführungen wie Rekordhalter Herbert von Karajan kommen, wenn, ja wenn ihm nicht die Vielzahl an allzu hässlichen Inszenierungen ihm die Freude vertrieben hätte, Opern zu dirigieren wie in früheren Jahrzehnten, an die sich nur noch wehmütig erinnern kann, wer das Glück hatte, sie zu erleben.

© SF/Marco Borrelli
Edle Klangkultur
Zwei Werke von Schubert und Bruckner, Komponisten, die ihm besonders nahestehen, zurrte der Maestro diesmal zusammen.
Schuberts Vierte mit dem Beinamen „Tragische“ habe ich oft gehört, aber keine dieser Wiedergaben war so einzigartig wie diese Salzburger Aufführungen unter Muti, geprägt von edlem Klang und idealen, gemäßigten Tempi, dank denen sich gut erleben lässt, wie die unterschiedlichen Instrumentengruppen miteinander dialogisieren, Muti die Motive im Figürlichen plastisch ausstellt.
Hinzu kommt, dass der Maestro eine ideale Balance zwischen Schwere und Leichtigkeit findet: Da wo die Musik im Anklang auf den Titel Schwere bestimmt wie vor allem im Kopfsatz, tönt sie ernst und gewichtig, wird sie kontrapunktisch, kommt eine klangliche Elastizität der Durchhörbarkeit der Stimmen zugute.
Hohe Kunst des Lyrischen
Zu einer schieren Offenbarung wird das Andante mit einer selten gehörten Schönheit in der liedhaften Melodie. Ungemein zärtlich stimmen die Violinen sie an und kehrt sie wieder, tönt sie, insbesondere in der Solo-Oboe, noch überirdischer und himmlischer auf hauchfeinem Streichergrund.
Bruckners Messe ein sehr lautes Stück
Mit Bruckners f-moll Messe hat sich Muti einem Koloss gewidmet, der leider nur selten aufgeführt wird. Koloss deshalb, weil es sich bei der Messe – über weite Strecken unter Einsatz des vollen Chores im Fortissimo – um ein tendenziell sehr lautes Stück handelt, wobei die dynamischen Spitzen keinen Endpunkt langer Steigerungswellen markieren wie in Bruckners Sinfonien, sondern jeweils schon mit voller Wucht den ersten Einsatz, jedenfalls im Gloria ebenso wie im Credo und innerhalb dieses Teils besonders im „Et resurrexit tertia die“.
Eine solche Dynamik, die dann vielfach über viele Takte anhält, erfordert freilich einen Klang von großer Kompaktheit, auf keinen Fall darf er klobig oder klotzig tönen, und dafür ist Muti ein Garant, der das Gotteslob ebenso prächtig und majestätisch zelebriert wie einst Sergiu Celibidache in seiner legendären Aufführung mit den Münchner Philharmonikern in der Stiftskirche Sankt Florian, unter der Bruckner begraben ist.
Die ungeheure Energie dieser Klangfolgen und die Leuchtkraft, die Muti mit dem grandiosen Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) entfachte, schien sich sogar regelrecht auf die Natur auszuwirken, war doch der Regen, in dem man zum dritten und letzten Konzert eingetroffen war, am Ende strahlendem Sonnenschein gewichen. Jedenfalls war dies ein Vormittag zum Krafttanken, auch wenn damit natürlich nur eine Facette dieses gewaltigen Werks benannt ist.
Das Benedictus als Herzstück
Denn als das eigentliche Herzstück dieser Musik mag man wohl das lyrische Benedictus mit seiner seelenvollen Melodie einstufen, die mit all ihrer Schönheit aus der Messe herausragt, eine der schönsten, die Bruckner überhaupt geschrieben hat. Erstmals in den Celli kommt diese Kantilene zum Erklingen, zärtlich, trostreich, sanft, und von den Wienern nicht nur dolce gespielt wie in der Partitur angegeben, sondern im besten Legato, was sich daran zeigt, wie sie die exponierte None vom Es aufs F, mit der wir gewissermaßen von der Erde in den Himmel abheben, auf einer Linie spielen.

Celibidache ließ diese traumhafte Melodie noch eine Spur langsamer und leiser anstimmen, was der magischen Atmosphäre zugutekam, aber von dieser kleinen Nuance abgesehen erneuert sich mein Eindruck, der sich schon in den vergangenen Jahren nach Mutis Interpretationen der siebten und achten Sinfonie Bruckners einstellte: Dass der Italiener, nunmehr im Alter von 84 Jahren, unter allen mir bekannten Dirigenten seitens der langsamen Tempi, die den klanglichen Reichtum der Musik am besten erleben lässt, am dichtesten an Celibidache herangerückt ist.
Große Herausforderungen an Chor und Solisten
Die f-moll Messe stellt allerhöchste Ansprüche an Chor und Solisten. Nicht nur mit den monumentalen, den Chor stark strapazierenden Teilen, sondern auch in dem so lyrischen Benedictus. In dessen Mittelteil scheint auf einmal eine luzide Melodie auf – nach meinem Empfinden die lichteste Stelle in der gesamten Messe – schlicht wie eine einfache Tonleiter, aber ungemein berührend in ihrer Unschuld und Reinheit. Engelsgleich erhebt sie sich über die hohen Streicher in mehreren Wiederholungen, wobei Bruckner die Solistin stark herausfordert, indem er jede ihrer Phrasen etwas höher ansetzt, so dass ihr Sopran bis zum zweigestrichenen b hinauf muss, dies aber anhaltend im Piano (!). Würde der Ton forciert, wäre die Linie schon kaputt. Und auch die hauchfeinen Flötensoli in diesem Teil von Karl-Heinz Schütz verdienen ein Sonderlob!

Treffliche Sopranistin
Mit der unvergessenen Margaret Price, die weiland Celi für seine Messe hatte, bin ich sehr verwöhnt. Umso mehr bin ich beeindruckt von der Chinesin Ying Fang, in der Muti eine treffliche Solistin gefunden hat, die diese Linien im wohlfeilen Legato mit ihrem glasklaren hellen Sopran so schwerelos meistert wie es sein soll. Von einem wahren Zauber ist diese Musik, schillert fortwährend in anderen Farben je nach Instrumentation, besonders lieblich freilich noch einmal, wenn sie Paul Blüml auf der Oboe spielt.

Eine zweite so lyrische herausragende Stelle kommt im Credo beim „Est incarnatus es“ auf, auch sie besticht mit einem inniglichen Gesang, diesmal im Tenor, feinfühlig vorgetragen von Pavol Breslik. Bassist Willam Thomas lässt – um über ihn auch noch ein paar Worte zu verlieren – eine profunden Bass hören, der nur in der Höhe etwas eng tönt.
Zauberhaftes Violinsolo
In diesem Abschnitt lässt zudem ein zauberhaftes, virtuos angehauchtes Violinsolo aufhorchen, ein zartes Gespinst wie eine Tuschezeichnung, kammermusikalisch intim musiziert von Rainer Honeck am Pult des Konzertmeisters. Dieses Solo ist zugleich eine weitere Stelle, die es in sich hat, weil die Holzbläser in Synkopen dagegenhalten, aber das musizieren die Wiener unter Mutis mal sparsamen, mal sehr plastischen, vielsagenden Zeichen so souverän, dass wohl niemand auf die Idee käme, der nicht einen Blick in die Partitur geworfen hat.
Für eine solche grandiose Wiedergabe hat sich die weite Reise gelohnt. Ich muss gestehen, dass ich ganz allein für dieses Konzert mit Muti nach Salzburg gekommen bin. Es gibt wenige andere Künstler, für die ich einen solchen Aufwand auf mich nehmen würde. Einen solchen Bruckner hört man nicht alle Tage, schon gar nicht die f moll Messe, die meines Wissens auch Christian Thielemann noch nicht dirigiert hat.
Wie jedes Muti-Konzert endete es mit stehenden Ovationen. Zu schade, dass die Zeiten, in denen der Maestro an diesem Ort Opern dirigierte, endgültig vorbei zu sein scheinen. Dass dem Maestro die heutige Regie-Ästhetik fernsteht, ist allzu verständlich. Aber immerhin ein konzertanter Figaro oder eine konzertante Così fan tutte unter seiner Leitung hätte diesem Festspielsommer, in dem eine semiszenische Zaide als einzige Mozartoper auf dem Programm stand, eine Krone aufsetzen können.
Kirsten Liese, 18. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti Salzburg, Großes Festspielhaus, 15. August 2023
Wiener Philharmoniker Riccardo Muti, Dirigent Salzburg, Großes Festspielhaus, 15. August 2022