Einmaliges Musik-Erleben

Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti, Karl-Heinz Schütz,  Konzerthaus Berlin

Foto: Marco Borrelli (c)
Riccardo Muti leitet die Wiener Philharmoniker mit Bruckners Siebter

Konzerthaus Berlin, 18. Dezember 2018
Hommage an die
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Riccardo Muti
Solist: Karl-Heinz Schütz

von Kirsten Liese

„Klang ist noch keine Musik, er kann aber zu diesem Mysterium werden, wenn er erlebt wird.“ Es war dies die Erkenntnis des weisen, genialen Sergiu Celibidache, in dessen Konzerten dieses Erleben stets möglich wurde. Er sagte noch so manche andere Wahrheiten, die einem mitunter abhanden kommen, weil sich immer seltener solche Erlebnisse einstellen: Musik ist wahr und in einer Probe gibt es Tausende von Neins und nur ein einziges Ja!

Würden demzufolge nur die Dirigenten Bruckners Musik erleben, die sie so empfinden können wie Celibidache? Ist das nicht Übertreibung, pure Eitelkeit?

Viele waren das jedenfalls in den vergangenen 20 Jahren nicht, mit Christian Thielemann eigentlich nur ein einziger, wobei sogar selbst er den klanglichen Reichtum in den Scherzos nicht immer ganz ausschöpft, weil er sie oft eine Spur zu schnell angeht.

Aber nun, 22 Jahre nach Celibidaches Tod, komme ich zum Ergebnis, dass es womöglich doch nur ein Ja gibt.  Das bewirkt Riccardo Muti mit den Wiener Philharmoniker im Berliner Konzerthaus mit seiner Wiedergabe von Bruckners Siebter, die sich nicht anders bezeichnen lässt als  eine einzige Offenbarung. Schier unglaublich  durchlebten Muti und die Wiener diese Sinfonie  in jedem Satz fast aufs Tempo genau wie der 1996 verstorbene Rumäne, als sei er wieder auferstanden.

Dazu passt es, dass Muti, mit 77 Jahren in einem ähnlichen Alter wie Celibidache im Zenit seiner großen Münchner Zeit, im Programmheft mit einem Satz zitiert wird, den Celi aufs Wort so formulierte: Wenn man eine Bruckner-Sinfonie dirigiert, dann begibt man sich auf eine spirituelle Reise.“

Eben ein solch einmaliges, wunderbares Erlebnis, für das Worte gar nicht ausreichen, stellte sich ein.

Was für Gänsehautmomente, wenn die Violinen oder Celli zu ihren mal melancholischen, mal trostreichen Kantilenen anheben. Und was für ein erhabener, magischer Moment, wenn die Streicher im Adagio breit, satt, majestätisch und siegreich ihr zweites Thema anheben.

Besonders gespannt war ich auf das Scherzo, das selbst mitunter der grandiose Christian Thielemann etwas zu schnell angeht. Muti trifft es exakt richtig, orientiert am Einsatz der Solotrompete, die ihr Thema bestens ausspielen kann. Bei zu schnellen Tempi kann das Ohr den klanglichen Reichtum inmitten riesiger  Klangmassen und –ballungen nicht mehr erfassen oder zumindest nur reduziert. Dagegen kann man bei Celi und Muti auch größte Klangballungen im Fortissimo in herrlicher Pracht erleben.

Apropos: Zum Ende des Kopfsatzes lässt es Muti so stark orgeln, dass man wirklich die Luft anhält, und das ungemein kompakt. Wahnsinn!

Wie macht er das? Keineswegs mit ausladenden Bewegung oder wehender Mähne wie mancher vielleicht eingedenk des jungen Riccardo Muti, von dem man solche Bilder im Kopf hat, annehmen mag. Und da sind wir schon wieder beim Celi, der als junger Mann nahezu wie ein Derwisch im Berliner Titania-Platz Beethoven dirigierte, temperamentvoll und mit leidenschaftlichen Gesten, und dann als alter Mann am Pult der Münchner, erleuchtet dazu noch vom Buddhismus, seine Zeichen deutlich reduzierte. Abgeklärt wie ein Fels in der Brandung saß er da und durchlebte die Sinfonien mit verzückter Miene.

Bei Muti kann man zwar das Erleben der musikalischen Reise nicht ganz so deutlich sehen, aber doch spüren, und wie Celi hat er seine Bewegungen minimiert und musiziert mit dem Orchester ohne Anflug von Eitelkeit. Mehr braucht es auch nicht, zumal wenn man einen so exquisiten Klangkörper wie die Wiener dirigiert, deren Hörner nebenbei gesagt so makellos ohne jedweden Kiekser intonieren wie die Berliner!

Kurzum, Muti tut auf seine Weise das, was Celibidache so beschrieb: „Man tut nichts, man lässt geschehen.“

Zu Beginn dieses großen Abends gab es noch Mozarts Flötenkonzert. Es war gewiss nicht die Schuld des Wiener Soloflötisten Karl-Heinz Schütz, dass es bei mir einen weniger nachhaltigen Eindruck hinterließ, denn der musizierte seinen Part filigran, perfekt und mit schönem Ton. Auch die Wiener Philharmoniker unter Muti musizierten bestens, vermutlich lag es doch an dem Werk selbst, ein Klavierkonzert oder Mozarts Klarinettenkonzert hätten so manchen im Auditorium mehr erbaut. Vielleicht merkt man diesem Stück auch einfach an, dass Mozart selbst  die Flöte nicht so sehr mochte. Robert Schumann bekanntlich ja auch nicht, wird der doch viel zitiert mit der Bemerkung: „Was ist langweiliger als eine Flöte? Zwei Flöten.“

Aber das tat nichts zur Sache. Gekommen war man schließlich des Bruckners wegen und der war eine Wucht!

„Der Anfang liegt bei Bruckner im Ende“, sagte Celibidache. Ich konnte im Ende den Anfang erleben.

Kirsten Liese, 20. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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