Riccardo Muti feierte seine 50-jährige Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern in Salzburg mit seiner ersten „Missa solemnis“.
Foto: © SF / Marco Borrelli
Salzburg, 16. August 2021, Großes Festspielhaus
Wiener Philharmoniker
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Rosa Feola (Sopran)
Alisa Kolosova (Mezzosopran)
Dmitry Korchak (Tenor)
Ildar Abdrazakov (Bass)
Riccardo Muti
Beethoven: Missa solemnis
von Kirsten Liese
Ich habe es noch einmal getan, bin noch ein zweites Mal in diesem Sommer für ein einzelnes Konzert nach Salzburg gereist. Am Montag hin, am Dienstag wieder zurück nach Berlin. Für Riccardo Muti, der mir so teuer ist wie Christian Thielemann, ist mir nichts zuviel, sogar dann nicht, wenn ich zu dem Werk, das auf dem Programm steht, weniger Draht habe.
Für Muti gab es gerade viel zu feiern: Seinen 80. Geburtstag am 28. Juli und nun, im August, seine 50-jährige Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern und den Salzburger Festspielen, bei denen er 1971 auf Einladung Herbert von Karajans debütierte. Aus all diesen Anlässen waren ursprünglich drei Programme mit dem Maestro angedacht, eines mit den Wiener Philharmonikern und zwei mit dem Chicago Symphony, die mir seitens der ausgewählten Stücke mehr zusagten. Aber dann sagte das Chicago Symphony seine Konzerte wegen Corona ab und übrig blieb „nur“ Beethovens „Missa solemnis“ mit den Wienern.
Es war vielleicht eine schöne Fügung, dass mir bei der Lektüre von Christian Thielemanns Beethoven-Buch anhand seiner Analysen der Missa bewusst geworden war, dass es einer intensiveren Beschäftigung bedarf, um die Schönheiten dieses Werks zu erfassen, von dem ich nun einräumen muss: Es ist wirklich genial, aber es kommt einem nicht beim erstmaligen Hören entgegen.
Es war aber noch ein zweiter Umstand, der bewirkte, dass ich mein Urteil über die Messe, die ich als ein einziges Fortissimo-Monstrum in Erinnerung hatte, endlich revidieren konnte: Riccardo Muti hatte sie auch noch nie zuvor dirigiert, sie sich bis auf seine alten Tage aufbewahrt, wohl ahnend, wie er im Programmheft andeutet, dass es mehr als ein Menschenleben braucht, um sie in ihrer Komplexität zu erfassen. Auch er war also – was ihre Interpretation anbelangt – ein Neuling. Und dieser große Respekt vor der Aufgabe tat seiner, wie immer allen Einzelheiten akribisch auf den Grund gehenden Einstudierung sichtlich gut.
Die schönste Stelle – und das deckt sich mit Thielemanns Analysen – ist das Benedictus, eingeleitet von einem überirdisch schönen Geigensolo, das Konzertmeister Rainer Honeck betörend ätherisch spielte, als wäre diese Musik nicht von dieser Welt. Oder war das schon ein kleines Violinkonzert für sich? Jedenfalls war es lange nicht mehr zu erleben, dass ein einzelner Orchestermusiker am Ende derart emphatisch gefeiert wird, und das völlig zu Recht.
Hatte Muti zuvor schon im Gloria und im Credo, wo es dynamisch hoch hergeht, mehrfach den linken Arm mit gestrecktem Zeigefinger steil senkrecht nach oben erhoben, so war man nun restlos im siebten Himmel angekommen.
Da verbleibt man dann auch noch in dem ebenfalls eher lyrisch ausgerichteten Agnus Dei, bis schließlich kurz vor Schluss die Pauke Momente düsterer Spannung in den Satz hineinträgt, an dem von mir besuchten dritten Abend unverhofft ein ganz besonderer Gänsehaut-Moment.
War mir bei alledem früher der große Reiz des Kyrie entgangen, das die Messe so stolz und majestätisch eröffnet? Diesmal weckte diese Musik bei mir große Assoziationen an Franz Schubert, aber das hatte vielleicht auch mit Muti zu tun, dem Schubert neben Verdi und Mozart unter den Komponisten besonders nahe steht und der gerne auch in Verdi-Opern Momente entdeckt, die nach seinen eigenen Worten an Schubert erinnern.
Aber selbst im „Gloria“, in dem es auch bei Muti und den Wienern über weite Strecken sehr laut zugeht, ließen sich die komplizierten kontrapunktischen Strukturen gut heraushören. Viele Motive hat Beethoven imitatorisch angelegt, hat man sie im mächtigen Tutti einmal herausgehört, wirken sie eigentlich auch sehr eingängig. Eben das machte diese großartige Einstudierung aus: Dass die Durchhörbarkeit der Stimmen im polyphonen Dickicht nie verloren ging. Als Getöse würde ich die großen Steigerungen übrigens nicht mehr bezeichnen, vielmehr als ein eindringliches, erhebendes Gotteslob.
Meine Sitznachbarin im Publikum, die zeitweise unruhig an ihrem Programmheft herumnestelte und die ich gerade noch aufhalten konnte, mein Hörerlebnis des herrlichen Violinsolos mit allzu lautem Blättern zu stören, hat diesen weiten Weg, sich dieses Werk zu erschließen, wohl noch vor sich. Aber viele Andere wussten offenbar zu schätzen, was Muti leistete. Jedenfalls wollten auch am dritten Abend, vermutlich dem besten, wenn ich die etwas verhalteneren Rezensionen über den ersten überfliege, die Bravos für den Maestro, die Wiener Philharmoniker, den Wiener Staatsopernchor sowie die durchweg trefflichen Solisten (eine Traumbesetzung für den hoch anspruchsvollen schweren Sopranpart: Rosa Feola!) kein Ende nehmen.
Kirsten Liese, 17. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at