Balsam auf der Seele: Bei Yannick Nézet-Séguin funktioniert Wagner (teilweise) auch ohne Regie

Wiener Philharmoniker, Yannick Nézet-Séguin  Salzburger Festspiele, 24. August 2025
Wiener Philharmoniker , Nézet-Séguin 2025 © Marco Borrelli © Salzburger Festspiele


„I glaub’, die haben an guten Tag heute“, ist die Untertreibung des Jahres. Parkett Rechts, Reihe 9, Großes Festspielhaus in Salzburg, eine Dame hinter mir. Unter dem Dirigat von Yannick Nézet-Séguin blühen die Wiener Philharmoniker regelrecht auf. Richard Wagners „Lohengrin“-Vorspiel, das „Siegfried-Idyll“ – feinfühlig und hinreißend die Phrasierungen; rund und weich der Ton wie selten zuvor. Perfekter Auftakt, um den Vormittag mit der „Walküre“ abzurunden: 1. Aufzug, konzertant, „without Regie“ also, betont der frankokanadische Dirigent, „only with music – and that’s the best“. Fast zumindest…

RICHARD WAGNER
Vorspiel zum ersten Akt der Oper Lohengrin WWV 75
Siegfried-Idyll E-Dur WWV 103
PAUSE
Erster Akt aus dem Bühnenfestspiel Die Walküre WWV 86 B

 

Wiener Philharmoniker
Yannick Nézet-Séguin,
Dirigent

Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 24. August 2025

von Jürgen Pathy

Ohne Regie funktioniert Richard Wagner also auch. Denkt man zumindest während des „Lohengrin“-Vorspiels und dem „Siegfried-Idyll“, das Yannick Nézet-Séguin mit den Wiener Philharmonikern aufs Programm der traditionellen Salzburger Sonntagsmatinee setzt.

Bereits der Einmarsch der Gladiatoren lässt Großes erahnen – Volkhard Steude, daneben Yamen Saadi, zwei Konzertmeister des Orchesters, die oftmals als Garant für Sternstunden wegweisend sind. Schon nach den ersten Takten in A-Dur wird klar: Der Eindruck täuscht nicht, das Orchester packt den für sie so berühmten feingliedrigen Klangzauber aus.

Nézet-Séguin: Meister des Schwebens und der Ruhe

Richard Wagners „Lohengrin“-Vorspiel, der heilige Gral unter vielen Wagnerianern, mag vieles sein. Als technisch leicht belächeln manche die ganze Partitur, als Wagners am einfachsten zu dirigierende Oper – was viele allerdings vergessen: Es zählt die Atmosphäre, das Schweben, das Übernatürliche. Das erfordert andere Gaben als reine Kapellmeisterei.

Wiener Philharmoniker · Nézet-Séguin 2025: Yannick Nézet-Séguin (Dirigent) © Marco Borrelli/SF

Nachdem ich Yannick Nézet-Séguin nun dreimal hören durfte, steht fest, dass er die hat: Der Frankokanadier lebt von einem außergewöhnlichen Gespür für Phrasierung, für Atmosphäre, für eine Klangschönheit, die nicht nur auf leeren Notenhülsen sitzt. Das hat er an der Met bewiesen, im Wiener Konzerthaus und nun im Großen Festspielhaus in Salzburg. Wenn diese große Begabung auf ein Orchester trifft, das aus einem unermüdlichen Fundus schöpfen kann, entsteht Großes. Das spürt man an diesem Sonntagvormittag an vielen Passagen. Vor allem beim „Lohengrin“-Vorspiel, das von überirdischer Ruhe getragen ist. Beim verträumten, ab und zu schärfer zupackenden „Siegfried-Idyll“, das Wagner seiner Frau Cosima zum Geburtstag geschenkt hat.

Aber auch bei den Einzelstimmen, wie der Klarinette, der Oboe oder gar der Flöte. Dass die Reihe der Solisten bei den Wiener Philharmonikern hervorragend besetzt ist, ist klar, aber dass man selbst an der Solo-Flöte derart weich intonieren kann, habe ich bislang nicht erlebt. Da dürfte viel Herzblut, viel Probenarbeit bereits mitschwingen – und besondere Motivation für einen Dirigenten, der 2026 auch das Neujahrskonzert leiten wird.

Wiener Philharmoniker · Nézet-Séguin 2025: Elza van den Heever (Sieglinde), Stanislas de Barbeyrac (Siegmund), John Relyea (Hunding), Wiener Philharmoniker © Marco Borrelli/SF

John Relyea ist als Hunding eine Macht

Über weite Strecken des ersten Aufzugs der „Walküre“ ebenfalls. Die Chromatik wolle er besonders in den Mittelpunkt stellen, hatte Yannick Nézet-Séguin im Vorfeld betont. Die durch diese Halbtonschritte entstehende Spannung, mit der man die verbotene Geschwisterliebe spüren soll. Das gelingt bis tief in den ersten Aufzug hinein, solange die Musik noch an einzelnen orchestralen Wehmutspassagen hängt, wie zum Beispiel an den Celli. Irgendwann kippt aber alles.

Daran ist nicht Heldentenor Stanislas de Barbeyrac schuld, dessen Stimme baritonal gefärbt ist. Auch nicht, wenn bisweilen die Tiefen kehlig klingen und die Höhen nicht immer glänzen.
Ebenso wenig an Elza van den Heever, die manch einer mit ihrer bestechende Diktion schon in Bayreuth sehen will. Mit Sicherheit schon gar nicht an John Relyea, der als Hunding einen wirklich mächtigen Eindruck hinterlässt. Die satte Tiefe seiner Bassstimme lässt die Erinnerung an Giganten der Vergangenheit aufleben. Den würde man gerne in Wien erleben.

Wiener Philharmoniker · Nézet-Séguin 2025: Elza van den Heever (Sieglinde), Stanislas de Barbeyrac (Siegmund), John Relyea (Hunding), Wiener Philharmoniker © Marco Borrelli/SF

Wenn die „Walküre“ zu kippen droht

Bleiben also zwei mögliche Ursachen: Entweder die fehlende Inszenierung, auch wenn man meint, Wagner funktioniere ohne. Denn mal Hand aufs Herz: Bei all dem orchestralen Füllstoff sind Längen vorprogrammiert, selbst mit Inszenierung – aber ohne noch viel ausgedehnter. Oder es ist eine Mischung daraus, gepaart mit schwindender Übersicht von Nézet-Séguin, der das Sängerensemble womöglich aus den Augen verliert und die dynamische Kraft von Wagners Partitur unterschätzt. Nur eins steht fest: An den Wiener Philharmonikern liegt es sicher nicht, die an solchen Tagen jeden einzelnen Kilometer der Reise wert sind.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 25. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Salzburger Festspiele Archiv Archiv der Salzburger Festspiele, Salzburg, 8. August 2025

Festakt zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2025 Felsenreitschule, 26. Juli 2025

Alexandre Kantorow, Klavier /Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Wiener Konzerthaus, 25. Juni 2025 

Wiener Philharmoniker, Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Wiener Konzerthaus, 19. März 2025 

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