Foto: Jakub Hrůša © Dieter Nagl
Wenn die Wiener Philharmoniker eine Stadt besuchen und dann auch noch von einem Weltklasse-Dirigenten wie dem 1981 in Brünn geborenen Jakub Hrůša geleitet werden, dann ist das Spektakel eigentlich vorprogrammiert. Seit Wochen wurde in Köln für diesen Abend geworben. Entsprechend voll – wenn auch nicht komplett ausverkauft – ist der Saal an diesem Abend. Das sogar trotz stattlicher Eintrittspreise von bis zu 200 € pro Karte. Dass die Menschen diesen Betrag zahlen, kann nur an dem erstklassigen Ruf dieser Künstler in Kombination mit einem Programm liegen, das mit gleich 2 Klassikern der Konzertgeschichte auftrumpft. Prokofjew und Schostakowitsch sind auch heute noch Garanten dafür, die Konzertsäle zu füllen!
Kölner Philharmonie, 11. Mai 2023
Wiener Philharmoniker
Jakub Hrůša, Dirigent
Leoš Janáček – Žárlivost (Eifersucht) JW VI/10 für Orchester
Sergej Prokofjew – Romeo und Julia – Auszüge aus den sinfonischen Suiten op. 64a und op. 64b (1936) zusammengestellt von Jakub Hrůša
Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47
Zugabe:
Antonín Dvořák – Slawische Tänze für Orchester – Nr. 10 in e-Moll op. 72
von Daniel Janz
Den Beginn macht aber eine Neuentdeckung für den Rezensenten. Die Ouvertüre Žárlivost (Eifersucht) hatte Leoš Janáček ursprünglich zur Oper „Jenůfa“ komponiert. Kurz vor der Uraufführung 1904 strich der tschechische Komponist sie aber aus der Partitur und präsentierte diese Komposition 1906 stattdessen als eigenständiges Werk. Und die österreichischen Gäste in Köln demonstrieren heute unter ihrem tschechischen Dirigenten, dass diese Ouvertüre auch als solches bestehen kann. In einer Abfolge bewegter Szenen kleiden sie dieses Werk in eine faszinierende Abfolge verschiedener Klangfarben. Hier wechseln sich flirrende Streicherpassagen mit strahlenden Blechbläserpassagen ab. Eine gelungene Eröffnung für den Abend.
Als zweites Werk des Abends steht einer jener Klassiker im Programm, die jährlich gefühlt ein dutzend Mal pro Konzerthalle hörbar sind. Prokofjews Romeo und Julia – inklusive dem mittlerweise echt ausgelutschten „Tanz der Ritter“ – ist wohl das am meisten gespielte Werk dieses russischen Komponisten. Erst im März hatte der Rezensent in einer soliden aber etwas spröden Aufführung von Auszügen dieser Suite bereits mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Mirga Gražinytė-Tyla das Vergnügen. Und heute zeigt sich bereits zum Einstieg, dass Hrůša und das Wiener Orchester ihre Hausaufgaben gemacht haben. Spätestens beim berüchtigten Tanz der Ritter, der heute erst an zweiter Stelle kommt, fliegen richtig die Fetzen. Im Vergleich ist das jedenfalls eine Steigerung zu der Aufführung von vor 2 Monaten.
Der Konzeption des Abends ist es wohl geschuldet, dass die Gäste es heute bei den bekanntesten Teilen der Suite belassen. Aber die sind nicht minder schön. Sei es die von den Holzbläsern wunderbar lyrisch vorgetragene Vorstellung von Julia, die markig gespielte Masken-Szene oder die in höchster Romantik vorgetragene Balkon-Szene – hier beeindrucken alle Akteure unter einem Dirigenten, der in jeder Sekunde mit einer starken Führung selbst schnell zu überhörende Details herausstreicht.
Grandios gelingt auch Tybalts Tod, der als sechste Szene dargeboten wird. Hier spielt das Orchester richtig straff, fast mit Hang zum Schroffen – genau so, wie es sich für diese Szene gehört. Wunderbar klar und in ihrem mächtigen Klang herausragend fallen hier besonders die Wiener Hörner auf. Kein Wunder, dass es nach dieser Szene einen begeisterten Zwischenapplaus gibt. Und das, obwohl der Höhepunkt erst noch in der nachfolgenden Szene kommt. Zu Julias Tod breiten sie volle Dramatik bis zur Todestrauer aus und lassen es auch noch einfach aussehen. Das ist wirklich klangliches Gold und auch kein Wunder, dass sich anschließend zahlreiche Gäste zum Applaus erheben. Eigentlich verwunderlich, dass nicht der ganze Saal steht!
Den Rezensenten stellt diese Qualität jedenfalls restlos zufrieden. Einzig sein direkter Sitznachbar – offenbar Professor der Kunstgeschichte und großer Klassikliebhaber – moniert in der Pause eine fehlende Schärfe im Klang. Ohne ihm widersprechen zu wollen, ist dem Rezensenten dies jedoch nicht negativ aufgefallen. Vielmehr dürfte das heute wohl eine der überzeugendsten Aufführungen von Prokofjews Romeo und Julia gewesen sein, die er bisher gehört hat. Vielleicht ist aber auch einfach der Vergleich zur Aufführung der Britischen Gäste vom März noch zu frisch?
Einen Anhaltspunkt, dass der Sitznachbar des Rezensenten nicht Unrecht hat, findet man in der anschließenden Aufführung von Schostakowitschs fünfter Sinfonie. Denn dieses Werk ist mit einigen langen Streicherserenaden versehen, die es durch eine gewisse Härte im Klang auszufüllen gilt. Genau das offenbart sich hier als Problem. Denn die Wiener, deren Streicher besonders durch ihren samtenen Klang faszinieren, lassen es hier tatsächlich an grober Härte vermissen. Die bei diesem Komponisten nötige Abgebrühtheit und der gewisse „Dreck“ im Klang fehlen. Die Konsequenz ist der ganz eigenartige Umstand, dass nun ein Hinweis als Kritik folgen muss, der unter allen anderen Umständen absolut positiv wäre: Es klingt zu schön!
Durch dieses Schönspiel fehlt dem ersten Satz hier aber das unterschwellig Boshafte, das sonst für Spannung sorgt. Zwar kann Hrůša mit dem ersten Einsatz der Hörner und Trompeten dem Orchester wieder die notwendige Schärfe abgewinnen, die dann auch für Gänsehaut sorgt. Bis dahin sind aber gefühlt schon 5 Minuten Streicherspiel vergangen. Entsprechend wenig fühlt der Rezensent sich hier (und später auch durch den dritten Satz) berührt. In letzter Konsequenz langweilt er sich stellenweise.
Das soll aber bitte nicht als Kritik an diesen großen Musikern verstanden werden, denn dieser Umstand liegt vor allem im Werk selbst begründet! Dem persönlichen Eindruck des Rezensenten entgegen muss man auch anerkennen, dass das hier ein wahnsinnig fähiges Orchester mit Hang zu edlem Klang ist. Von den Streichern, über die Holzbläser, zum herrlich strahlenden Blech bis Harfe, Klavier und Celesta (das Schlagzeug ist solide aber von der Pauke abgesehen heute etwas matt): Alle Musiker sind auf den Punkt da, ihre Einsätze sind glasklar und jede noch so komplizierte musikalische Figur sitzt bis zur Vollendung. Das alles wird angeführt von einem Jakub Hrůša in Höchstform, der hier mit ganz großen Gefühlen zur Sache geht.
Herausstechen kann dann der markig vorgetragene zweite Satz, der das Gebrochene in Schostakowitschs Musik perfekt illustriert. Und auch das Finale begeistert. Zuerst startet es – heute ganz energisch vorgetragene – in die Vollen, nur um dann geradezu platt auf einem gefühlt minutenlangen Dreiklang auszutrotten. Hier merkt man die große Klasse dieses Orchesters, das unter diesem Dirigenten vor allem die plötzlichen Wechsel zwischen Laut und Leise sehr deutlich pointiert. Gerade auch den Schluss ziehen Hrůša und die Wiener meisterlich in seiner Plakativität in die Länge und krönen dadurch ein Schauspiel der Konzentration auf jede einzelne Note.
Dass sich abschließend der gesamte Saal zu einem furiosen Applaus erhebt ist da nur folgerichtig. Denn trotz dem minimalen Einwand des Rezensenten war das in Summe eine fabelhafte, fast schon perfekte Leistung. Als kleines Schmankerle lassen sich die Gäste daraufhin noch zu einer Zugabe hinreißen.
Der zehnte aus der zweiten Reihe von Dvořáks Slawischen Tänzen (vielen Dank an Dr. Brian Cooper für das korrekte Identifizieren) erstrahlt hier in blumiger Schönheit und lädt durch sein Schunkeln regelrecht zum Hochgenuss der Idylle ein. Bei dieser Musik merkt man auch, dass sie zu den besonderen Stärken der Wiener Philharmoniker und Jakub Hrůšas gehört. Damit setzen sie noch einmal das I-Tüpfelchen auf einen ohnehin schon großen Abend. Es war wirklich eine Freude, Ihnen zuzuhören! Gerne bald wieder.
Daniel Janz, 13. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
JENŮFA von Leoš Janáček Valencia/Palau de les Arts Reina Sofía, 27. Januar 2023
Wiener Philharmoniker, Jakub Hrůša, Wiener Musikverein, 13. Juni 2021