Foto: © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper, 26. September 2021
Otello, Giuseppe Verdi
von Jürgen Pathy
Manchmal ist Ausdruck alles, hohe Töne belanglos. Das hat Gregory Kunde Sonntagabend an der Wiener Staatsoper bewiesen. Was der Amerikaner, der seit Jahrzehnten zur Elite zählt, in der Titelpartie von Verdis „Otello“ für Farben ins Theateroval hat strömen lassen, war wie Balsam auf der Seele. Dabei hatte Kunde, der bereits knapp an der 70 schrammt, gleich zu Beginn schwer zu kämpfen. Kein Wunder, gilt doch der Otello, nicht nur wegen des berüchtigten Esultate als der „Mount Everest“ der Tenorpartien. Am Ruf des Feldherren, der gerade heimgekehrt ist, sind allerdings auch schon weit jüngere Kollegen gescheitert.
Kunde weiß andere Stärken in die Schlacht zu werfen. Von Bronze über Dunkelrot bis hin zu Silber reicht die Palette an Farben, derer sich der großgewachsene Tenor zu bedienen weiß. Ein Traum für alle Connaisseurs, die nicht nur nach perfekter Tonhöhe suchen, sondern in der Intensität ihr Wohlbehagen finden. Wenn Kunde in den beiden Schlussakten mit seiner Eifersucht zu kämpfen hat, schimmert es in prachtvollen Farben. Da blitzen ein Domingo und ein Pavarotti durch. Was für ein Glück.
Denn Verdis Meisterwerk ist musikalisch kein einfaches. Im Gegensatz zu anderen beliebten Werken, wie „Rigoletto“ oder „La Traviata“, fehlt es in „Otello“ nicht nur an Gassenhauern und eingängigen Melodien, der Aufbau wirkt insgesamt recht komplex. Statt sich blind in orchestrale Wogen stürzen zu können, trägt hier vor allem das Parlando und der dramaturgische Aufbau das ganze Geschehen.
Bei „Otello“ fehlt es auch am großen orchestralen Feuerwerk, das es in wagnerscher Manier in Verdis „Don Carlo“ oder „Simon Boccanegra“ zu finden gibt. All das führt dazu, dass einem doch recht schnell langweilig werden kann – vor allem in den ersten beiden Akten. Wären da eben nicht die Stimmen, die zentral wirken und ein subtiles Dirigat, das es an den richtigen Stellen krachen lässt und das Drama in seinem Verlauf zu formen weiß. Bertrand de Billy hat das an diesem Abend annähernd perfekt gelöst. Während der französische Dirigent, der seit der Ära Roščić wieder vermehrt mit Aufgaben betreut wurde, im letzten Jahr noch eher durch Tristesse aufgefallen ist, zog das an diesem Abend schon ziemlich gewaltig.
Woran diese immense Steigerung gelegen hat, ist schwer zu beurteilen. Ob an der Verständigung mit dem Orchester oder einfach nur an der Tagesform, wer weiß das schon. Vermutlich nur de Billy selbst, der mit dem Staatsopernorchester allerdings gut vertraut sein sollte. Obwohl er von 2014 bis 2021 nicht an der Wiener Staatsoper tätig war, sollte der Franzose wissen, welche Eigenarten diesem für viele weltbesten Opernorchester innewohnen. Immerhin hatte de Billy bis 2014 an die 200 Vorstellungen im Haus geleitet.
Auf ganz so viele kann Rachel Willis-Sørensen bei weitem nicht zurückblicken. Dennoch hat die gebürtige Amerikanerin, die an vielen bedeutenden Häusern der Welt anzutreffen ist, einen mehr als ordentlichen Eindruck hinterlassen. Bis auf die fehlende Wärme in Desdemonas Gebet, für viele sicherlich ein Höhepunkt des Werks, ließ sie ihren Sopran meist durchdringend und dramatisch strahlen. Das ein oder andere Mal zwar mit zu viel Vibrato, aber immer auf den Ausdruck und die runde Linie bedacht.
Ludovic Tézier wirkte als Jago eher unglaubwürdig. Mit seiner edel fließenden Stimme kauft man dem Bariton, der in dieser Saison ebenfalls im Dauereinsatz steht an der Wiener Staatsoper, den Intriganten nicht wirklich ab.
In Summe eine Repertoire-Vorstellung, die sicherlich in den oberen Etagen einzureihen ist!
Jürgen Pathy, 28. September 2021, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ludovic Tézier liegt meines Erachtens überhaupt Verdi weniger als zum Beispiel die französischen Opern.
Lothar Schweitzer