Petr Popelka ist der neue Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Unter seiner präzisen und inspirierenden Leitung boten sie in seinem Antrittskonzert eine erstklassige Leistung, weitgehend ohne Schwachpunkte. Auf ihr kann der Dirigent aufbauen, und ich traue Popelka zu, das Orchester noch näher an die Weltspitze zu führen. Ich hoffe, hier den Beginn einer wunderbaren musikalischen Freundschaft miterlebt zu haben. Das Publikum war jedenfalls hellauf begeistert und dankte mit rauschendem Beifall.
Großer Saal des Wiener Konzerthauses, 18. September 2024
Peter Iljitsch Tschaikowsky
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 b-moll op. 23
Béla Bartók
Konzert für Orchester Sz 116
Wiener Symphoniker
Klavier: Anna Vinnitskaya
Dirigent: Petr Popelka
von Dr. Rudi Frühwirth
Petr Popelka hat zwar schon in der vergangenen Woche mit großem Erfolg Schönbergs Gurre-Lieder dirigiert, sein offizielles Antrittskonzert als Chefdirigent der Wiener Symphoniker fand jedoch am Mittwochabend im Wiener Konzerthaus statt. Das Programm vereinte Peter Iljitsch Tschaikowsky mit Béla Bartók, den Popelka als einen seiner Lieblingskomponisten bezeichnet.
Im ersten Teil des Konzerts hörten wir Tschaikowskys erstes Klavierkonzert in b-moll. War es nicht riskant von Popelka, dieses oft gespielte Werk, das böswillige Zungen auch als “abgedroschen” oder schlimmer bezeichnen, als allererstes Werk seiner beginnenden Amtsperiode ins Programm zu nehmen? Die Antwort ist nein, wenn Anna Vinnitskaya den Solopart am Klavier übernimmt. Ihre technische Virtuosität steht außer Zweifel, ihr kraftvolles Spiel meistert mühelos auch schwierigste Passagen. In den lyrischen Partien offenbart sich eine Sensibilität, die den feinsten Regungen der Musik nachspürt. Wenn sie sich wie etwa in der Kadenz des ersten Satzes Freiheiten im Tempo erlaubt, sind diese nicht willkürliche Effekte, sondern immer dem Ausdruck geschuldet.
Petr Popelka war mit seinem Orchester ein aufmerksamer Begleiter; geringe Unstimmigkeiten in der Synchronisation mit der Solistin minderten den aufregenden Gesamteindruck nicht. Den kleinen Lapsus der Hörner ganz zu Beginn schreibe ich einer nur zu verständlichen Nervosität zu. Im zweiten Satz gefielen mir neben dem poetischen Spiel der Pianistin Soloflöte und Oboe ganz besonders. Das einschmeichelnde Seitenthema des dritten Satzes kosteten Dirigent und Orchester genüsslich aus – hochromantisch, ohne in Sentimentalität zu verfallen. Die Schlussapotheose des Satzes und damit des Werks riss das Publikum zu stürmischer Begeisterung hin. Anna Vinnitskaya bedankte sich mit einem entzückenden kleinen Walzer von Dmitri Schostakowitsch aus seinen “Tänzen der Puppen”.
Das Konzert für Orchester von Béla Bartók wählte Popelka vermutlich, um zu zeigen, welcher Leistungen das Orchester fähig ist, mit dem er in den kommenden Jahren arbeiten wird. Tatsächlich treten alle Bläsergruppen konzertant, in Wettstreit mit Streichern und Schlagwerk auf. Der erste Satz beginnt mit einem Motiv in Celli und Kontrabässen, das zuerst zwei, dann drei und schließlich fünf Quarten umspannt. Es erinnert unweigerlich an das berühmte Quartenthema in Schönbergs erster Kammersymphonie. Hier wie dort lassen die Quarten kein eindeutiges tonales Zentrum erkennen. Das Konzert ist folgerichtig ohne Angabe einer Tonart, nur mit einer Fülle von Versetzungszeichen notiert. Trotzdem sind auch Akkorde, die gemäß unserer Hörgewohnheit nicht dissonant klingen, durchaus aufzufinden. Die Quartenmotive des Beginns werden von gespenstischen Tremoli der hohen Streicher überlagert, es gesellen sich Flöten und gestopfte Trompeten dazu. Der Orchestersatz verdichtet sich immer mehr, wird wieder reduziert, lässt auch Flöten, Oboen und Klarinetten konzertieren, und beendet den Satz dann im Fortissimo.
Im zweiten Satz, dem “Spiel der Paare”, sind wieder alle Bläsergruppen gefordert. Es konzertieren in rascher Folge jeweils zwei Fagotte, dann Oboen, Klarinetten, Flöten, Trompeten und die Posaunen einschließlich der Tuba. Der dritte Satz ist eine Elegie, in der die Piccoloflöte auffallend in Erscheinung tritt. Der vierte Satz, genannt “Intermezzo interrotto”, fasziniert durch zahlreiche wechselnde Metren, die den Zuhörer sowohl irritieren als auch amüsieren. Der letzte Satz beginnt mit einem markanten Motiv in den Hörnern und steigert sich im Verlauf zu einem rhythmisch stampfenden, rasenden Furioso, das von allen Orchestergruppen enormes technisches Können verlangt.
Unter Popelkas präziser und inspirierender Leitung bot das Orchester eine erstklassige Leistung, weitgehend ohne Schwachpunkte. Auf ihr kann der Dirigent aufbauen, und ich traue Popelka zu, die Symphoniker noch näher an die Weltspitze zu führen. Ich hoffe, hier den Beginn einer wunderbaren musikalischen Freundschaft miterlebt zu haben. Das Publikum war jedenfalls hellauf begeistert und dankte mit rauschendem Beifall.
Dr. Rudi Frühwirth, 19. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Arnold Schönberg, “Gurre-Lieder” für Soli, Chor und Orchester, Wr. Symphoniker, Petr Popelka
Interessant, wie gnädig diese Kritik im Vergleich ausfällt. Dass die Meinungen nicht so einhellig sind, zeigt der Standard, der dieses Konzert ja als „wenig souverän“ abgewatscht hat und deshalb ein sehr viel düsteres Zukunftsszenario zeichnet:
https://www.derstandard.at/story/3000000237207/patzer-und-merkwuerdigkeiten-bei-petr-popelkas-antritt-mit-den-symphonikern
Daniel Janz