Ein Sommerabend in Wien mit Geschichten aus Tausendundeiner Nacht

Wiener Symphoniker/Sol Gabetta, Cello, Lorenzo Viotti, Dirigent  Wiener Konzerthaus, 12. Juni 2025

WSY Gabetta_Viotti © Antonia Wechner

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 12. Juni 2025

Anton Webern
Im Sommerwind. Idylle für großes Orchester (1904)

Camille Saint-Saëns
Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 a-moll op. 33 (1872–1873)

***

Nikolai Rimski-Korsakow
Scheherazade. Suite symphonique op. 35 (1888)

Wiener Symphoniker

Sol Gabetta, Violoncello
Lorenzo Viotti, Dirigent

von Kathrin Schuhmann

Ein lauer Frühsommerabend in Wien, das Konzerthaus festlich beleuchtet, der Große Saal nahezu bis auf den letzten Platz gefüllt: Die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Lorenzo Viotti präsentierten ein Programm, das sich wie ein Bogen von lichtdurchfluteter Spätromantik über das französische Konzertrepertoire bis hin zu orientalisch gefärbter Orchesterfantasie spannte.

Ein früher Webern – überraschend romantisch

Zu Beginn erklang mit Im Sommerwind ein selten aufgeführtes Jugendwerk von Anton Webern, geschrieben im Jahr 1904, also noch bevor der Komponist sich unter dem Einfluss Schönbergs dem radikalen musikalischen Umbruch der Zweiten Wiener Schule zuwandte. Statt atonaler Miniaturen also eine spätromantische, beinahe wagnerisch schwelgende Idylle, die den Naturzauber eines Sommertags in Tönen malt.

Viotti und die Wiener Symphoniker verliehen dem Stück eine bemerkenswerte Transparenz, die es ermöglichte, durch die üppige Instrumentierung hindurch die Linien zu verfolgen – besonders die Holzbläser glänzten durch feine Dialoge, während die Streicher in seidig schimmernden Klangflächen schwelgten. Viotti gelang es dabei, die langen Bögen mit Ruhe zu entfalten und die Spannung über das gesamte Werk hinweg subtil zu steigern. Das Publikum nahm diese Entdeckung hörbar dankbar auf – selten erlebt man Webern so warm, so lyrisch.

Französische Eleganz mit kantiger Energie: Sol Gabetta in Saint-Saëns

Im Zentrum des ersten Konzertteils stand das Cellokonzert Nr. 1 in a-Moll op. 33 von Camille Saint-Saëns – ein Werk, das wegen seiner durchkomponierten Form und der intensiven, teils dramatischen Solostimme als eines der bedeutendsten Cellokonzerte des 19. Jahrhunderts gilt. Bereits die Eröffnung – der Soloeinsatz ohne orchestrale Einleitung – gibt die Richtung vor: Hier will sich jemand behaupten, nicht bloß brillieren.

WSY Sol Gabetta, Lorenzo Viotti © Antonia Wechner

Sol Gabetta, international gefeierte Cellistin, verband in ihrer Interpretation französische Noblesse mit einem Hauch ungestümer Leidenschaft. Ihr Ton war schlank, von eleganter Schärfe, aber stets voller Ausdruckskraft. Besonders im mittleren, lyrischen Teil – einem fast kammermusikalisch anmutenden Intermezzo – zeigte sie ein nuancenreiches Spiel, das zwischen Zartheit und innerer Spannung oszillierte. Ihre Kadenz wirkte nie bloß virtuos, sondern erzählerisch durchdrungen.

Viotti begleitete aufmerksam, ließ Gabetta viel Raum und formte gemeinsam mit ihr einen musikalischen Dialog, der geprägt war von gegenseitigem Respekt und feinem Gespür für Farben und Kontraste. Der Schluss wurde mit fulminanter Energie gestaltet, woraufhin das Publikum Gabetta mit lang anhaltendem Applaus feierte.

Der Zauber des Orients – Rimski-Korsakows „Scheherazade“

Der zweite Teil gehörte Nikolai Rimski-Korsakows „Scheherazade“, jener sinfonischen Suite, die 1888 entstand und bis heute zu den beeindruckendsten Beispielen russischer Programmmusik zählt. Inspiriert von den Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“, lässt das Werk in vier Sätzen unterschiedlichste Szenen aus dem orientalischen Märchenuniversum entstehen – vom Meeresabenteuer Sinbads bis zu den Festen in Bagdad.

WSY Sol Gabetta, Lorenzo Viotti © Antonia Wechner

Viotti erwies sich hier als ein Meister der klanglichen Dramaturgie. Mit klaren Gesten führte er die Wiener Symphoniker durch ein Meer von Farben und Rhythmen, dabei stets die Balance wahrend zwischen märchenhafter Opulenz und orchestraler Präzision.

Der Konzertmeister, dessen Solovioline die Figur der Scheherazade verkörperte, musizierte mit einer fast schwebenden Eleganz: zart, aber nie kraftlos; sinnlich, aber nie sentimental. Jeder seiner Einsätze wirkte wie ein neuer Faden im großen Erzählgewebe des Abends.

Das Orchester zeigte sich in Bestform – besonders hervorzuheben das tiefgründige Spiel der Solo-Harfe, die vibrierende Energie der Blechbläser im zweiten Satz („Der Kalenderprinz“) und die majestätische Steigerung zum dramatischen Höhepunkt im Finalsatz. Viotti gelang es, selbst in den mächtigsten Tutti-Passagen eine Transparenz zu wahren, die nicht zuletzt der klug ausbalancierten Dynamik zu verdanken war.

Ein Abend voller Geschichten

Was Lorenzo Viotti und die Wiener Symphoniker an diesem Abend boten, war mehr als ein stimmig konzipiertes Programm. Es war ein atmosphärischer Bogen, der von der kontemplativen Naturverklärung eines jungen Webern über die elegante Dramatik des französischen Cellokonzerts bis zu den farbenprächtigen Klanggemälden Rimski-Korsakows reichte.

WSY Sol Gabetta, Lorenzo Viotti © Antonia Wechner

Viotti, der sich mehr und mehr als charismatischer Gestalter mit klarem künstlerischem Profil etabliert, bewies in jedem Werk ein feines Gespür für Struktur, Emotion und klangliche Raffinesse. Das Publikum dankte es ihm und den Musikern mit begeistertem Applaus – ein Abend, der in seiner Vielfalt und Tiefe noch lange nachklingen wird.

Kathrin Schuhmann, 13. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

LSO/Batiashvili/Pappano Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 27. Mai 2025 

Sächsische Staatskapelle Dresden / Gabetta / Sokhiev Wiener Konzerthaus, 23. Mai 2025 

Guiseppe Verdi, Quattro pezzi sacri, Wiener Symphoniker, Wiener Singverein, Lorenzo Viotti Musikverein Wien, 9./10. November 2019

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