Von sprechender Musik: Die Wiener Symphoniker wagen Neues

Wiener Symphoniker, Yeree Suh, Barbara Rett, Andrés Orozco-Estrada  Wiener Konzerthaus, 20. Februar 2022

Wiener Konzerthaus, 20. Februar 2022

Wiener Symphoniker
Yeree Suh, Sopran
Barbara Rett, Präsentation
Andrés Orozco-Estrada, Dirigent

Foto: Bregenz am 26.7.2021, Bregenzer Festspiele, Orchesterkonzert mit Dirigent Andrés Orozco-Estrada

Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouverture »Die schöne Melusine« op. 32 (1833/1835)

Johannes Maria Staud
Jittering Directions (The Fury of Our Concepts). Six songs for soprano and orchestra after poems by William Carlos Williams (2021) (UA)
Kompositionsauftrag des Wiener Konzerthauses und der Wiener Symphoniker

Richard Strauss
Also sprach Zarathustra. Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche op. 30 (1896)

von Kathrin Schuhmann

Ganz im Zeichen des Wortes stand die Matinee, zu der die Wiener Symphoniker am vergangenen Sonntag in den Großen Saal des Wiener Konzerthauses geladen hatten. War es Franz Grillparzers ursprünglich für Ludwig van Beethoven entworfenes Libretto, das Felix Mendelssohn Bartholdy zur Komposition seiner Ouverture Die schöne Melusine inspiriert hatte, waren es sechs Gedichte von William Carols, die Johannes Maria Staud zu einer Vertonung in seinem Zyklus Jittering Directions (The Fury of Our Concepts) angeregt hatten wie auch Richard Strauss seine Inspirationsquelle für seine Tondichtung Also sprach Zarathustra aus dem gleichnamigen literarischen Werk Friedrich Nietzsches gezogen hatte. Handelt es sich bei dem ersten und letzten Programmpunkt des Konzertes also um rein instrumentale Musik, die sich anschickt, mithilfe tonfarblicher und satztechnischer Mittel ohne Zuhilfenahme des ausgesprochenen Wortes konkrete Inhalte, eine Geschichte beziehungsweise Geschehnisse darzustellen und wir es also mit Programmmusik zutun haben, gesellte sich für das Herzstück der Veranstaltung eine Sopranistin zum Orchester, der die Gedichte als textliche Grundlage ihres Gesanges dienten. Doch werfen wir zu Beginn einen genaueren Blick auf die Rahmenwerke.

Die Overture Mendelssohn Bartholdys ist ein herrliches, kurzweiliges Stück Orchestermusik. Die Leichtigkeit der Tonsprache ruft lebendige Bilder vor das geistige Auge. Gleich der Beginn entführt die Zuhörer mit den sanft wogenden Wellenbewegungen im Streicherapparat und den Holzbläsern in die wundersame Welt der Meerjungfrau. Und auch als die friedvolle musikalische Stimmung, wie es der programmatische Stoff verlangt, ins Kippen gerät, versteht Mendelssohn es, trotz aller Dramatik weiterhin wohlklingende Musik zu komponieren. Er lässt sich nicht hinreißen, aufgrund der unschönen dramatischen Ereignisse unschöne Musik zu schreiben – er verbleibt in den Schranken des gesetzmäßigen Schönen.

Wie anders verhält sich in diesem Punktum Strauss. Zweifelsohne, das Potential, mit der Neuartigkeit der zahlreichen Orchestereffekte zu schockieren, hat Strauss‘ Tonsprache in den mehr als einhundert Jahren, die seit der Entstehung des Werkes verstrichen sind, in weiten Teilen eingebüßt. Skandalös wirken die ständigen fortissimo-Ausbrüche mit ihrer fast schon körperlich berührenden Gewaltigkeit heutzutage, im Kontrast zur damaligen Zeit des späten 19. Jahrhunderts, nicht mehr. Ganz im Gegenteil möchte man sagen. Die vielen Raffinessen der Musik, die zahlreichen gewollt geistreichen Apercus der Musik, die überall sich in den Vordergrund drängenden Dissonanzen langweilen schon bald das Ohr all jener Zuhörer, die nicht nur durch pure Lautstärke, sondern profunde Musikalität unterhalten werden möchten. So wirkt die Tondichtung alles in allem hauptsächlich lang. Dementsprechend galt der Applaus des in großer Zahl erschienenen Publikums wohl vermutlich auch vorrangig des meisterhaften Vortrags des Orchesters samt seines Dirigenten Andrés Orzco-Estrada, die dieses Monstrum an Virtuosen-Orchesterstück mit höchster Bravour präsentiert hatten.

© Lukas Beck, Wiener Konzerthaus

Weitaus spärlicher war der Applaus zuvor für die Uraufführung der vom Orchester in Auftrag gegebenen sechs Lieder für Sopran und Orchester ausgefallen – und dies, obwohl der Komponist persönlich anwesend war und er sich auf der Bühne zeigte, um den Publikumsapplaus entgegenzunehmen. Es ist ein riesiges Aufgebot an Instrumentalisten, das er mit seinen Orchesterliedern beschäftigt. Die Bühne war nahezu bis auf den letzten Winkel mit Musikern gefüllt. Wie nicht unüblich für zeitgenössische Musik war insbesondere auch die Schlagwerkabteilung sehr zahlreich vertreten. Doch erwartete den Hörer kein sonderlich perkussives Stück. Die Musik zeigte sich als viel eher flächig angelegt. Es ist anzunehmen, dass die eher düstere, ja geradezu kalt wirkende Tonsprache der Musik, gepaart mit den wenig heiteren Gedichtversen beim Publikum kein rechtes Gefallen fand. Daran konnte auch die fantastische sängerische Leistung der Sopranistin Yeree Suh nichts ändern, welche die expressiven nicht-tonalen melodischen Phrasen mit Inbrunst und gleichzeitiger Innerlichkeit vortrug und mit ihrer auch schauspielerischen Präsenz die Blicke ihrer Zuhörerschaft auf sich zog.

Die Geschichte hat uns gezeigt, dass wir nicht vorschnell über zeitgenössische Kunst urteilen sollten. Wie oft wurden Werke nach ihrer erstmaligen Darbietung zerrissen, nur um wenige Jahrzehnte später Einzug in den Konzertkanon genommen zu haben. Es bleibt also abzuwarten, welchen Weg Stauds Komposition einschlagen wird. So oder so sei den Wiener Symphonikern ein Dank dafür ausgesprochen, dass sie sich österreichischer zeitgenössischer Musik annehmen und damit auch eine weniger euphorisch ausfallende Publikumsreaktion in Kauf nehmen, als sie es sonst gewohnt sind.

Kathrin Schuhmann, 24. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wiener KammerOrchester, Stefan Vladar, Klavier, Dirigent, Pärt, Mahler, Mozart, Haydn Wiener Konzerthaus, Mozartsaal, 13. Februar 2022

Jan Lisiecki, Klavier Wiener Konzerthaus, 5. November 2021

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert