Clever und poetisch, diese Inszenierung (Jan Philipp Gloger), welche die bekannte Handlung als „Theater im Theater“ darstellt – als doppelte Illusion gewissermaßen: Denn die beiden jungen Männer geben sich ja der von Don Alfonso gnadenlos entlarvten Illusion hin, dass ihnen ihre Liebsten bedingungslos treu seien. Wir blicken durch den Bühnenrahmen der Royal Opera hindurch auf eine andere Bühne, doch diesmal von hinten. Die Kulissen versuchen nicht, Realität darzustellen oder zu imitieren – ihre Kulissenhaftigkeit wird deutlich gezeigt, sie werden beliebig beiseite geschoben oder emporgehoben. Der Schauplatz dieser musikalischen Farce, Parodie der „Opera Seria“ und doch in ihrer Aussage von erschütterndem Ernst („es gibt keine Treue“) ist also genauso rasch und beliebig veränderbar wie die Beziehungen, die sie darstellt: Eine Welt der Versatzstücke. Und musikalisch, wie ja alles in der Royal Opera, hervorragend – temperamentvoll und doch subtil das Orchester unter der souveränen Stabführung der Engländerin Julia Jones und erstklassig bis überragend sämtliche Stimmen.
Royal Opera Covent Garden, 28. Juni 2022 (Wiederaufnahme)
Wolfgang Amadeus Mozart (Libretto Lorenzo da Ponte),
Così fan tutte ossia La scuola degli amanti
Chor und Orchester der Royal Opera Covent Garden
Julia Jones, Dirigat
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
In dieser Inszenierung gibt es nicht, wie sonst üblich, Soldaten in Uniformen und ein Kriegsschiff, das vor den Gestaden von Neapel verankert ist, um die scheinbar in den Krieg ziehenden Ferrando und Guglielmo aufzunehmen. Der Chor singt den Militärmarsch „in Zivil“ und die beiden rücken in Zivilkleidung ein. Bemerkenswert und klug ist, dass sie dann nicht wie sonst üblich in abenteuerlich-exotischer Verkleidung zurückkehren und die Freundin des Freundes anbaggern, sondern sie treten eigentlich in identischer Kleidung wieder auf – nur, dass sie jetzt die von Despina so genüsslich zelebrierten Schnurrbärte aufgeklebt haben.
Was hat das zu bedeuten? Die beiden Schwestern werden in dieser Version nicht durch eine aufwändige Verkleidung getäuscht, sondern sie können, ja müssen, erkennen, dass es sich bei den angeblichen Fremdlingen um die Boyfriends der Schwester handelt. Und dennoch spielen sie dieses Spiel der anfänglichen Standhaftigkeit, Treue und Prüderie – sie wissen demnach allzu genau und von vorneherein auf was und wen sie sich da einlassen werden. Ziemlich dialektisch das Ganze: Inmitten dieses Spektakels der Illusionen sind also die beiden Frauen völlig illusionslos und können sich nicht darauf berufen, auf eine bunte Verkleidung hereingefallen zu sein.
Die kluge Komik dieser Inszenierung beginnt bereits bei der Ouvertüre. Da treten sechs Gestalten in barocken Kostümen vor den Vorhang, lächeln und verbeugen sich unablässig – obwohl sie ja bisher noch gar nichts geleistet haben. Am Ende der Ouvertüre springen zwei Herren in heutigen Abendanzügen aus der linken Parterreloge auf die Bühne – es sind die eigentlichen Protagonisten des Abends, bald gefolgt von den beiden Schwestern. Von den Barockfiguren ist nichts mehr zu sehen. Lediglich Don Alfonso trägt ein schwarzes Kostüm, das möglicherweise im Barock zu verorten ist – es soll, wie zu vermuten wäre, das Gewand eines Zauberers darstellen, zumal dieser Don immer wieder den bei manchen Magiern gebräuchlichen Silberstaub auf die Akteure rieseln lässt.
Die Aussage hinter dieser Aktion ist wohl: Was da auf der Bühne gezeigt wird, ist nicht das phantasievolle Konstrukt eines Theaterstücks sondern alltägliche Realität im Hier und Jetzt. Das Spiel mit Untreue und Verführung vollzieht sich täglich und bei weitem nicht nur auf der Opernbühne. Daher erklimmen die beiden vermeintlichen Theaterbesucher, aus dem Zuschauerraum, also aus unserer Welt kommend, diese Bühne, auf der sie agieren werden – ein Stück alltägliche Realität.
Star des Abends, wie könnte es anders sein, ist die grandiose irische Sopranistin, welche die anfänglich zögerliche Fiordiligi verkörpert: Jennifer Davis. Mit weit tragender, glasklarer Stimme meistert sie diesen höchst anspruchsvollen Part mit jener langen Arie, welche besonderes Durchhaltevermögen erfordert. Als ihre mehr draufgängerische Schwester Dorabella glänzte die Franco-Kanadierin Julie Boulianne mit einem warmen, wohlklingenden Mezzo.
Der russische Tenor Bogdan Volkov begeisterte mit geschmeidiger tenoraler Sanftheit während der kanadische Bassbariton Gordon Bintner mit maskulin-sonorer Stimme hervorragend den Guglielmo verkörperte. Auf den Zyniker Don Alfonso, der ja das Ganze mit einer Mischung aus Lebensweisheit und Nihilismus ins Szene setzt, wartet man in der Così immer mit besonderer Spannung und Vorfreude: Auch hier wurde der Zuschauer nicht enttäuscht. Der Italiener Lucio Gallo brachte diesen Don Alfonso mit überraschender stimmlicher Tiefe und einem Mix aus Humor und Autorität, die keinen Widerspruch duldete.
Zweifellos der andere Star dieses bemerkenswerten Opernabends auf einer der führenden Bühnen weltweit war die aufmüpfig-aufgeklärte Despina der italienischen Sopranistin Serena Gamberoni, welche ihre entzückenden Koloraturen mit geradezu schwebender Leichtigkeit und einer herrlichen Stimme produzierte. In dieser besonderen Inszenierung war sie jedoch nicht das Dienstmädchen, das die traditionelle Schokolade – das Luxusgetränk der Aristokraten – zu kredenzen hatte, sondern eine Bartenderin, die ihren zickigen Arbeitgeberinnen Drinks mixen musste (die sie dann schnöde ignorierten…).
Wenn diese Despina sich dann in der letzten Szene als seniler Advokat ausgeben musste, der mit zittriger Stimme den falschen Ehevertrag zwischen den falschen Paaren aufsetzt, musste diese fantastische Sopranistin ihre wunderschöne Stimme gehörig verstellen, um den erwünschten komischen Effekt zu erzielen…
Dr. Charles E. Ritterband, 28. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Regie: Jan Philipp Gloger
Regie der Wiederaufnahme: Katharina Kastening
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Karin Jud
Don Alfonso: Lucio Gallo
Despina: Serena Gamberoni
Dorabella: Julie Boulianne
Fiordiligi: Jennifer Davis
Ferrando: Bogdan Volkov
Guglielmo: Gordon Bintner
Richard Wagner, Lohengrin, Wiederaufnahme 2018, Royal Opera Covent Garden, 24. April 2022
Giuseppe Verdi, „Rigoletto“, Royal Opera Covent Garden, London, klassik-begeistert.de
Wolfgang Amadeus Mozart, Così Fan Tutte, The Royal Opera Covent Garden, 4. März 2019
Die überaus reizvolle – in jeder Hinsicht – Serena Gamberoni ist übrigens die Frau des sehr guten Tenors Francesco Meli.
Robert Forst