Premiere der "Zauberflöte" in Berlin:
Das. War. Ein. Spaß.

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte, PREMIERE, Staatsoper Unter den Linden, 17. Februar 2019

Florian Teichtmeister (Papageno) und Julian Prégardien (Tamino)
Foto: © Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden, 17. Februar 2019
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte

von Friederike Walch

Das. War. Ein. Spaß. Hätte man jemanden beauftragt, die Publikumsreaktionen im Verlauf der gestrigen Zauberflöten-Premiere an der Staatsoper Unter den Linden zu filmen – das Ergebnis wäre mindestens genauso unterhaltsam wie die Oper selbst.

Die neue Zauberflöte ist…sagen wir…experimentell. Ob dieses Experiment gelungen ist, darüber schlagen sich die Zuschauer im Laufe des Abends die Köpfe ein. Aber alles der Reihe nach.

Solisten des Tölzer Knabenchors und Florian Teichtmeister (Papageno) © Monika Rittershaus

Der US-amerikanische Regisseur Yuval Sharon wurde von der New York Times bereits als „opera’s disrupter in residence“ betitelt. Für dieses jüngste „Ärgernis“greift er das Collagenhafte der Zauberflöte auf und überträgt es auf seine Inszenierung. Sie besteht aus einer Mischung aus Dadaismus, Pop Art, Manga und Computerspiel-Design. Tamino erinnert ein bisschen an die Figur Sonic des japanischen Games-Herstellers Sega plus ein wenig zusätzliche Holzoptik. Diese  rührt daher, dass alle Protagonisten gleichzeitig Marionetten darstellen. Sie hängen an neongelben Seilen und bewegen sich grobmotorisch über die Bühne. Dank einer extra aus England eingeflogenen Spezialmechanik schweben die Sänger wie echte Puppen durch die Luft.  Allgemein trägt diese Aufmachung nicht unbedingt zur besseren Verständlichkeit der inhomogenen Figuren und der Handlung dieser Oper bei. Die Zauberflöte kommt in ihrer Mischung aus Opera seria, Opera buffa, Tragédie lyrique und Singspiel ohnehin schon als musikalischer Wolpertinger daher – auch ohne dass Herr Sharon noch seinen Senf dazugibt. Unterhaltsam ist das trotzdem. Und fantasieanregend.

Musikalisch ist der Abend weitgehend befriedigend mit einigen außergewöhnlichen Glanzpunkten. Tamino, gesungen von Julian Prégardien, überzeugt mit einer klaren, sehr angenehmen Tenorstimme. Opernstudiomitglied Serena Sáenz Molinero, die spontan für die kurzfristig erkrankte Anna Prohaska eingesprungen war, steht ihrem Gesangspartner als Pamina in nichts nach. Lediglich die Bezeichnung lyrisch nehmen sowohl Prégardien als auch Molinero manchmal etwas zu ernst, was sich im ein oder anderen leicht geschmierten Intervall in der höheren Lage niederschlägt. Trotzdem sollte an dieser Stelle nicht außer Acht gelassen werden, welche außergewöhnliche Leistung es ist, anspruchsvolle Arien zu schmalzen, während man ohne festen Boden unter den Füßen fünf Meter über der Bühne in der Luft baumelt. Diese Herausforderung haben die beiden mit Bravour gemeistert.

Julian Prégardien (Tamino) und Tuuli Takala (Königin der Nacht) © Monika Rittershaus

Ähnliches gilt für die finnische Sängerin Tuuli Takala. Als Königin der Nacht gesteht man ihr für ihre höchst anspruchsvollen Arien wenigstens ein kleines Fluggestell zu, das einen Hauch von Stabilität suggeriert. Trotzdem kurvt sie damit zum Teil wirklich rasant durch die Lüfte, während sie brillanteste Koloraturen in den Zuschauerraum sendet.  Stimmliche Perfektion gepaart mit Showeinlage. Lediglich der körperliche Ausdruck beim Singen, der aufgrund der Marionetten-Szenerie allgemein auf der Strecke bleibt, wird bei der rachedurstigen Königin im Fluggestell besonders schmerzlich vermisst.

Bombastische Superstimme des Abends ist Kwangchul Youn als Sarastro. Sein Bass bringt die Wände zum Wackeln, dass man sich Sorgen um das schöne neue Opernhaus machen muss. Stimmlich sind alle Darsteller auf der Bühne (bis auf Papageno – dazu später mehr) übrigens nur gesanglich vertreten. Alle Sprechtexte der Protagonisten werden von eingespielten Kinderstimmen aus dem Off übernommen – zum Teil nicht ganz so eng am ursprünglichen Libretto. Dies verleiht der Inszenierung einen zusätzlichen Touch à la Zeichentrickserie und wird im späteren Verlauf des Abends zu einer ganz maßgeblichen Wendung der Oper führen.

Am Pult steht die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra. Sie legt einen unvergleichlichen Ausdruck in ihr Dirigat, die langen Arme fliegen gemeinsam mit ihren Haaren durch die Luft wie die Sänger über die Bühne. Ergebnis ist ein traumhafter, sehr präziser Orchesterklang. Auch der Staatsopernchor glänzt mit großer Homogenität, was daran liegen könnte, dass die Inszenierung den Chor geschlossen in den Graben verbannt.

Adriane Queiroz (Erste Dame), Cristina Damian (Zweite Dame), Anja Schlosser (Dritte Dame), Florian Hoffmann (Monostatos) und Tuuli Takala (Königin der Nacht) © Monika Rittershaus

Macht nichts, auf der Bühne gibt es genug zu gucken. Von den drei Damen, die gemeinsam als ein riesiges Schwabbelwesen mit drei Brüsten von der Decke schweben bis hin zu den drei Knaben, die erst wie Heringe in bunten Dosen stecken und dann als kleine Eskimos über die Bühne wackeln. Die Liste ließe sich unendlich weiterführen, man muss es einfach mit eigenen Augen gesehen haben.

Der Vorhang fällt zur Pause, von lauten Buhrufen begleitet. Was exakt an der Inszenierung so unglaublich aneckt, lässt Raum für Spekulationen offen. Vielleicht sah der ein oder andere Mozarts ehrwürdiges Erbe durch die dreibusige Damenentität befleckt. (Wie wir alle wissen, ist Mozart ja auch besonders durch seine Seriosität und Ernsthaftigkeit in die Komponisten-Geschichte eingegangen. Keine Spur von Humor und Albernheit. Hust.) Um ganz genau zu sein, dürften sich die Traditionalisten eigentlich nicht beschweren. Die Zauberflöte ließ sich bei ihrer Entstehung 1791 in die Linie der sogenannten Maschinenkomödien einordnen. Was bei der Uraufführung durch neueste Bühnenmechanik mit beweglichen Elementen, Windmaschine und Co. vertreten war, entspricht heute Videoanimationen, Surround-Sound und komplexer Flugmechanik auf der Bühne. Wenn sich Mozart damals für den neuesten Stand der Technik nicht zu schade war, warum sollte er es heute sein?

Tänzer und Florian Teichtmeister (Papageno) © Monika Rittershaus

Und noch in einem weiteren Punkt hält sich diese neue Produktion an das Szenario der Uraufführung: Papageno kann nicht singen. Zumindest nicht wie ein ausgebildeter Sänger. Das ist auch kein Wunder, denn die Rolle wird von Florian Teichtmeister bekleidet, einem aus Film und Theater bekannten österreichischen Schauspieler. Bei der ersten Aufführung der Mozartoper im Wiener Vorstadttheater im Freihaus auf der Wieden übernahm der Schauspieler und Librettist der Zauberflöte Emanuel Schikaneder höchstpersönlich die Partie des Papageno. Sharon hält sich an die Tradition und spaltet mit dieser ungewöhnlichen Entscheidung ganz offensichtlich die Gemüter. Im Publikum bilden sich zwei Lager, nennen wir sie Team Hanslick („Vom Musikalisch-Schönen“) und Team Hausegger („Die Musik als Ausdruck“).

Ausdruck, den besitzt Herr Teichtmeister in der Tat. Als einziger Protagonist auf der Bühne trägt er seine Sprechtexte selbst vor – ein lustiger authentischer Papageno. Singen tut er auch, irgendwie. Schön ist das nicht, lustig und authentisch bleibt es aber. Besonders in Papagenos „Markenarien“ Der Vogelfänger bin ich ja und Ein Mädchen oder Weibchen überwiegt Teichtmeisters schauspielerisches Talent. Dabei wird bewusst, dass Mozart die Rolle tatsächlich für einen Gesangslaien komponiert hat. Die Charakterzüge von Papageno trifft Teichtmeister auf jeden Fall perfekt, die Töne manchmal auch. Schwieriger wird es, sobald er auf die Profis trifft. Besonders beim „Liebesduett“ von Pamina und Papageno, Bei Männern, welche Liebe fühlen, wird klar, dass ein stimmlich ausgewogener Klang in dieser Besetzung ohne jahrelanges Training schlichtweg nicht möglich ist. Sharon sagt dazu: ist halt Collage.

Achtung, jetzt folgt ein Spoiler. Die chaotische Vielgesichtigkeit der Inszenierung und das laute Lachen, Buhen und Diskutieren im Publikum provozieren geradezu eine Auflösung, und Sharon liefert sie. Die letzte Szene neigt sich ihrem Ende zu, und auf der Bühne erscheint ein echtes Puppentheater, die Fäden geführt von vielen Kindern, die animiert mit den bunten Marionetten spielen. Sarastros finale Töne werden untermalt vom aufgeregten Durcheinanderplappern und Kichern im Saal.

Der Vorhang fällt. Die Zuschauer brüllen (sich einander mit) „Buh“ und „Bravo“ (an). Während die eine Hälfte, die der Ansicht ist, dass Herr Sharon die Kirche im Dorf und die Puppenkiste in Augsburg lassen sollte, schnaubend den Saal verlässt, bleibt der Rest für zahlreiche Vorhänge und stehende Ovationen. Es bleibt die Frage: ist diese Aufführung ernst zu nehmen? Natürlich nein. Ist das ein Problem? Ganz und gar nicht. Was sich aus dem Abend mitnehmen lässt? Wer Streit mit dem Partner/ der Partnerin/ einer wildfremden Person in der Oper sucht oder einfach mal wieder Dampf ablassen will, dem kann ich die Inszenierung nur ans Herz legen. Auch wer Lust auf einen wirklich außergewöhnlichen  Opernabend hat, sollte sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Und: Wenn Kinder eine Oper inszenieren würden, dann wäre sie Dada.

Von Friederike Walch, 18. Februar 2019,
für klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Alondra de la Parra
Inszenierung, Yuval Sharon
Bühnenbild, Mimi Lien
Kostüme, Walter Van Beirendonck
Licht, Reinhard Traub
Videodesign, Hannah Wasileski
Sounddesign, Markus Böhm
Einstudierung Chor, Anna Milukova
Dramaturgie, Krystian Lada, Benjamin Wäntig

Sarastro, Kwangchul Youn
Tamino, Julian Prégardien
Pamina, Serena Sáenz Molinero
Papageno, Florian Teichtmeister
Papagena, Sarah Aristidou
Königin der Nacht, Tuuli Takala
Sprecher, Lauri Vasar
Monostatos, Florian Hoffmann
Erste Dame, Adriane Queiroz
Zweite Dame, Cristina Damian
Dritte Dame, Anja Schlosser
Erster Geharnischter, Stephan Rügamer
Zweiter Geharnischter, Erik Rosenius
Erster Priester, Linard Vrielink
Zweiter Priester, Lauri Vasar
Drei Knaben, Solisten des Tölzer Knabenchors

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