Ästhetik, Erotik und Brutalität: Die große „Zauberflöte“ von Torsten Fischer im Theater an der Wien

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte,  Theater an der Wien

Foto: Kmettich (c)
Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte

Theater an der Wien, 28. September 2017

Von Charles E. Ritterband

Nie hat man Mozarts „Zauberflöte“ auf einer Bühne ästhetischer gesehen – und selten verwirrender. Von Anfang an ist es keine „listige Schlange“ (Originaltext), kein schreckliches Ungeheuer, sondern eine liebeshungrige Frauenmeute, die Tamino bedroht. Den zweiten Akt dominiert, wie der Regisseur Torsten Fischer es nennt, eine „Klagemauer“, auf der in großen Lettern in verschiedenen Weltsprachen und –schriften fragmentarisch ein Gedicht von Luigi Nono zu lesen ist. Und ebenfalls im zweiten Teil wird die Besatzung von Sarastros Tempel ziemlich brutal malträtiert. Warum? Weiß man eigentlich nicht. Für einen aktuellen Touch sorgen dann auch die zahlreichen Schwimmwesten, von denen die Bühne plötzlich übersät ist.

In dieser Inszenierung wurden Musikstücke gestrichen – so das Duett „Bewahret euch vor Weibertücken“ – dafür die Kantate „Die Ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt“ eingefügt, Textstellen weggelassen und neue hinzugefügt. Die Ouvertüre wird unterbrochen (sinnvolle Idee) mit der Schilderung der oft allzu nebensächlich behandelten Vorgeschichte der Handlung, die Regisseur Torsten Fischer im Gegensatz zu anderen ganz und gar nicht unlogisch und widersprüchlich findet – im Gegenteil. Auch will er die Oper von ihrem (ihr seines Erachtens zu Unrecht nachgesagten) machistischen, frauenfeindlichen Ruf befreien – der „hässliche schwarze“ Bösewicht Monostatos (prägnant: Michael Smallwood), der bei Tamina nicht ankommt und dafür von seinem Chef Sarastro für seine Annäherungsversuche brutal bestraft wird, ist eine Art volltätowierter Maori. Dass er sich, noch vor Papagenos halbherzigem Suizidversuch am Baum noch mit Benzin übergießt und sich in die im Bühnenhintergrund auflodernden Flammen stürzen will (aber daran gehindert wird),war ein kleines Extra, welches das Publikum gebührend schockierte.

Völkerverbindend und versöhnlich hingegen stimmte jene zusätzliche Kantate, die „des Weltalls Schöpfer“ verherrlicht; dazu betreten gravitätisch die Vertreter der Weltreligionen in ihren typischen Gewandungen die Bühne – katholische, jüdische, buddhistische, hinduistische – Sarastros Tempel als Ort der Ökumene, als Ort der Verständigung zwischen Religionen und Völkern. Gute Idee auch die Großbuchstaben, die sich wie in einem Scrabble-Spiel zu neuen Wörtern zusammenstellen lassen und freimaurerische Ideale der Oper und die Ideen des Regisseurs auf der Bühne symbolisieren: Aus „Tod“ wird dann „Vernunft“, „Natur“, „Weisheit“ und schließlich „Freiheit“.

Doch abgesehen von den vielen guten und oft in geradezu atemberaubender Ästhetik umgesetzten Ideen – bisweilen artet das Ganze doch in symbolische Überfrachtung aus.

Abgesehen von dieser Sinn-Überfrachtung bot diese Inszenierung atemberaubend schöne Momente (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) – vor allem im ersten Akt und insbesondere zum „bezaubernd schönen“ Bildnis, wo die drei Damen dieses Bild mit Füßen von einer Art Asche befreien und es dann in einem sich langsam aufrichtenden, gigantischen Spiegel reflektiert wird, in dem auch der Zuschauerraum dieses mit der Entstehung der „Zauberflöte“ historisch so eng verbundenen Schauspiels zu sehen ist – herrlich. Den Bühnenhintergrund dominiert die bleiche, kraterübersäte Vollmondscheibe, die am Ende von der grellen Sonne überlagert wird. Das ist einfache, verständliche Symbolik, die zum Stück passt. Bühne und Kostüme in Schwarz, vor dem blassen Mond – das ist sparsame, perfekte, überwältigende Ästhetik. Das zur göttlichen Musik Mozarts, interpretiert von Orchester, Sängern und Chor der Weltklasse – ein Erlebnis, wie es das Theater an der Wien auch mit anderen Aufführungen immer wieder zu bieten hat:

Wir sind unglaublich privilegiert, in zehn Minuten zu Fuß von unserer Wohnung in diesen Tempel gelangen zu können.

Abgesehen von jenen Szenen der Brutalität, zu der es jede Menge schrecklichen Theaterdonner gibt, findet auf der Bühne sehr viel Zärtlichkeit und Erotik statt. Jeder begehrt und streichelt jeden: Die Königin der Nacht den Tamino, Sarastro die Pamina und am Ende sogar die Königin. Und natürlich die Schar der Frauen, die nicht nur die böse Schlange, sondern auch die wilden Tiere vor Sarastros Tempel ersetzen. Krud sexuell wird die Sache dann, wenn am Ende Papageno und Papagena ans Werk gehen und zusammen in einem (diesmal roten) Wurfzelt verschwinden.

Magische Momente, subtile Interaktionen erleben wir viele –beispielsweise zwischen Pamina und Sarastro. Trotz aller Ästhetik, Zärtlichkeit und Erotik – eine entzauberte Zauberflöte. Werktreue würde man in dieser Aufführung vergeblich suchen. Und trotz dominierender Erotik ist diese „Zauberflöte“ eher mehr sexuell aufgeladen als sinnlich.

Als Gegenpol zu Pamino tritt keck Papageno auf, hier lässig-frecher Frauenverführer, ungehemmter Naturbursche im Tiroler Lederhosen-Look, mit einem Büschel Federn am Hut, fröhlich Bungee springend, zeitgemäß modisch aufgemotzt mit neongrünen Wanderstutzen (farblich abgestimmt auf sein neongrünes Wurfzelt, dessen er sich für seinen Auftritt entledigt), kernig, grantig und leicht provokativ. Wenn er von den drei Damen für seine prahlerische Flunkerei bestraft wird, verwandelt sich der Vogelhändler (der eigentlich als Frauenfänger arbeitet) selbst in einen Vogel, der zu Vogelpfeifentrillern über die Bühne hüpft – sehr gelungen und komisch.

Extrem humorvoll, wie es sein muss, Papagena im zweiten Akt, mit Gummimaske und Wollzeug als Greisin getarnt, dann natürlich bildhübsch und jung. Dieses Paar überzeugt auch gesanglich – Papageno (Daniel Schmutzhard) als kernig-präziser Bariton und seine Papagena (Katharina Ruckgaber) mit frischem, fröhlich-melodischem Sopran.

Musikalisch wird diese alles in allem denkwürdige Aufführung von René Jacobs souverän und präzis, akribisch und zugleich sensibel beherrscht – Jacobs, der Mozart gleichsam neu erfunden hat und uns in allen seinen CD-Aufnahmen ein völlig neues Mozart-Hörgefühl geschenkt hat. Die Akademie für Alte Musik Berlin beschert uns einen vollen, lebhaften Sound, sie folgt Jacobs ausgesprochen lebhaften Tempi (besonders bei der Sarastro-Arie) makellos, und der im Theater an der Wien als großes Geschenk ans Publikum in jeder Inszenierung auftretende (und auch perfekt agierende) Arnold Schönberg Chor machte seinem Ruf als bester Opernchor der Welt einmal mehr alle Ehre.

Vom Publikum zum Star des Abends erkoren wurde eindeutig Nina Minasyan als Königin der Nacht mit ihren Bravourarien, die sie mit  kraftvollem, zugleich warmem (aber nicht in allen Feinheiten präzisem) Koloratursopran glanzvoll hinlegte. Sebastian Kohlhepp hingegen blieb als Tamino blass und wenig strahlkräftig, seine geliebte Tamina, die im schwarzen Overall aufzutreten hatte, sang schön aber insgesamt wenig bemerkenswert.

Dominierend hingegen Dimitri Ivashechenkos Sarastro als mächtiger, kerniger und vornehmer Bass. Ausgezeichnet die drei Damen (Brigitte Christensen, Kai Rüütel, Katharina Magiera); die drei Knaben diesmal nicht aus den Wiener Sängerknaben rekrutiert, sondern Solisten der St.Florianer Sängerknaben. Alles in Allem ein großartiges Erlebnis: vorbehaltlos vor der Pause, mit Längen und inhaltlichen Vorbehalten im zweiten Teil.

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

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