„Don Giovanni“ am Stresa Festival: Nicht nur klein und fein

Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni  Stresa Festival, 2. und 3. September 2025

Don Giovanni Stresa Festival © Gianpaolo Parodi

Musikalische Feinkost am Lago Maggiore
64. Stresa Festival vom 17. Juli bis zum 6. September 2025

Es bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Die Trauer darüber, dass die ungünstige Wetterprognose dem Plan einer überaus stimmungsvollen Freilicht-Aufführung auf der kleinen Insel gegenüber Stresa einen Strich durch die Rechnung gemacht hat – und die Diskrepanz zwischen einer eher enttäuschenden Aufführung am ersten und einer in vieler Hinsicht fulminanten Präsentation am zweiten Abend.

Wolfgang Amadeus Mozart
Don Giovanni
Libretto: Lorenzo Da Ponte

Regie/Dramaturgie   Gianmaria Aliverta (VoceAllOpera)
Bühne   Francesco Donati
Kostüme   Sara Marcucci

Massimo Raccanelli   (Musikalische Leitung und Cello)

Stresa Festival Hall,
Piazzale Europa – Stresa (VB), 2. und 3. September 2025
, halbszenische Aufführung in italienischer Sprache

von Dr. Charles E. Ritterband

Lag es an der Enttäuschung, dass dieser „Don Giovanni“  nicht wie geplant (aus Witterungsgründen) auf der romantischen Isola dei Pescatori gegenüber von Stresa, sondern im modernen aber nichtssagenden Saal des Kongresshauses abgehalten werden musste?
Oder war es die spezifische Akustik eben dieses Saales, welche die Stimmen vor allem einzelner Sängerinnen überlaut, fast bis zur Schmerzgrenze erscheinen ließen? Diese Inszenierung, halbszenisch und von einem ausgezeichneten Streichquartett plus Hammerklavier begleitet, war als Bijou auf der romantischen Isola geplant – im großen Saal büßte sie viel von ihrem Charme ein und ließ die fragwürdigen Regietheater-Exzesse umso deutlicher hervortreten.

Die Protagonisten und Protagonistinnen treten jeweils in bunten Masken mit Hasenohren auf – das „Playboy“-Zitat ist unübersehbar.

Don Giovanni als Playboy. Unnötig dick aufgetragen wirken die kleinen Sadomaso-Klischees wie Peitschenhiebe, Latex-Zubehör und ein Mann, der von einer Sadistin an einer Hundeleine herumgeführt wird.

Don Giovanni Stresa Festival © Gianpaolo Parodi

Derartiges verhöhnt geradezu die Subtilität der Handlung, die wunderbare Musik und die geistreichen, meisterhaften Texte Da Pontes. Über Don Giovannis internationale erotische Aktivitäten und Ambitionen informiert uns ja die berühmte Leporello-Liste mit ihren Statistiken und der unzweideutigen Conclusio: „Was er (mit diesen Frauen) anstellt, wisst Ihr ja“. Da braucht es keine szenischen Erläuterungen des Regisseurs.

Das Publikum ist konsterniert, nimmt aber – wohl an Kummer längst gewohnt – alle diese unnötigen, ja geschmacklosen Details widerspruchslos zur Kenntnis. Dass Don Giovanni in eine zwar ordensbehangene aber schäbige Armeeuniform gesteckt wurde, fiel da schon gar nicht mehr auf.

Dass aber Masetto, zum lächerlichen Schwächling degradiert, mit einem rosa Brautschleier um den Kopf aufzutreten hat, wundert einen da schon gar nicht mehr. Der Commendatore trat hier – ein weiterer origineller Regieeinfall – nicht wie üblich als (zur Dinner-Einladung Don Giovannis „O statua gentilissima“) nickende Statue auf, sondern lag in einem von Nebelschwaden umwobenen Sarg, mit Leichentuch verpackt und richtete sich dann zu seiner Antwort mit Grabesstimme auf: Graf Dracula lässt grüßen.

Dieser Kritiker war am ersten Abend mehr als skeptisch und schaute sich die Vorstellung am folgenden Abend nochmals an. Da hatte in der Tat gleichsam über Nacht eine merkliche Verbesserung stattgefunden: Immer noch überstrahlten die Sänger – namentlich Don Giovanni auch in der Zweitbesetzung und vor allem der Star beider Abende, Leporello (Vittorio Del Monte) – ihre weiblichen Kolleginnen. Da war eine unüberhörbare Diskrepanz.

Don Giovanni Stresa Festival © Gianpaolo Parodi

Am zweiten Abend kamen Spielfreude und Temperament des durchwegs jungen Ensembles voll zum Tragen, während sich die Aufführung am ersten eher zäh dahinschleppte. Auch das winzige Streichorchester legte sich bewundernswürdig ins Zeug und lieferte einen – angesichts der üblichen Orchesterbegleitung – feinen, überzeugenden Sound.

Der italienische Bassbariton Vittorio Del Monte als pfiffiger, selbstbewusster Leporello mit sonorer, maskuliner Stimme. Er verlieh dieser zentralen Figur den Humor, den diese verdient und erfordert. Beide Don Giovanni-Darsteller der aufeinanderfolgenden Vorstellungen vermochten stimmlich und schauspielerisch vollständig zu überzeugen.

William Hernández begleitete das entzückende Ständchen „Deh vieni alla finestra, o mio tesoro“) an die (unsichtbar bleibende) Kammerzofe auf seiner Laute selbst und höchst musikalisch. Seine Stimme, warm und tragend, war jener seines Kollegen am zweiten Abend, Gianmarco Durante, durchaus ebenbürtig. Der als Graf Almaviva in Figaro Hochzeit bereits bekannte Bariton Durante begeisterte das Publikum mit seinem witzig-temperamentvollen Spiel und seiner männlich-sonoren Stimme.

Don Giovanni Stresa Festival © Gianpaolo Parodi

Kaum sehr zu überzeugen vermochte der Tenor Riccardo Benlodi in der stimmlich und inhaltlich heiklen Rolle des Don Ottavio. Der Commendatore (Emil Abdullaiev) war stimmlich sehr akzeptabel, aber keineswegs überragend.

Problematisch die Sängerinnen: Ausgezeichnete Koloraturen, stimmliche und darstellerische Feinheiten die italienische Sopranistin Martina Tragni als reizende, berührende Zerlina, welche die von beiden Don Giovannis einfühlsam vorgetragene Verführungsarie „Là ci darem la mano“ wunderbar mitträgt.

Don Giovanni Stresa Festival © Gianpaolo Parodi

Allzu laut und unsubtil (und dennoch mit Applaus bedacht) die Donna Elvira der Alessia Panza, weit überlegen am 2. Abend Johanna Padula in eben dieser Rolle. Eher schrill die Donna Anna der Alessandra Rizzini.

Es bleibt ein zwiespältiger Eindruck: Die Trauer darüber, dass die ungünstige Wetterprognose dem Plan einer überaus stimmungsvollen Freilicht-Aufführung auf der kleinen Insel gegenüber Stresa einen Strich durch die Rechnung gemacht hat – und die Diskrepanz zwischen einer eher enttäuschenden Aufführung am ersten und einer in vieler Hinsicht fulminanten Präsentation am zweiten Abend.

Dr. Charles E.  Ritterband, 4. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Don Giovanni: William Hernández (2. Sept)
Gianmarco Durante (3. Sept)          

Leporello: Vittorio Del Monte
Don Ottavio: Riccardo Benlodi
Donna Anna: Alessandra Rizzini
Donna Elvira: Alessia Panza (2. Sept)
Johanna Padula (3. Sept)

Il Commendatore: Emil Abdullaiev
Masetto: Qiming Xie
Zerlina: Martina Tragni
VenEthos Ensemble
Giacomo Catana
Mauro Spinazzè

Francesco Lovato
Giulio Amerigo Galibariggi

Stresa Festival 2025: Scarlatti, Stabat Mater Chiesa di Sant’Ambrogio, Stresa, 23. August 2025

„Billi Brass Quintet“ Stresa Festival, Lago Maggiore, August 2023

„150 Jahre Münchner Opernfestspiele“ Don Giovanni Nationaltheater München, 27. Juni 2025

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