Es ist schon langsam müßig über Regietheater & Co. zu fabulieren; nur dieses Mal hat Milo Rau, der neue Wiener Festwochenintendant, mehr oder minder „den Vogel abgeschossen“. So verkommt Mozarts geniales letztes Bühnenwerk zu einer Tonspur in einer aktionistischen, teilweise unappetitlichen Performance, die eine fast absurde politische Botschaft enthält.
Wolfgang Amadeus Mozart:
La clemenza di Tito
Mit Jeremy Ovenden, Anna Goryachova, Anna Malesza-Kutny, Maria Warenberg, Sarah Yang u.a.
Arnold Schoenberg Chor
Camerata Salzburg
Dirigent: Thomas Hengelbrock
www.festwochen.at
Museumsquartier Halle E, 24. Mai 2024
von Herbert Hiess
Mozarts letztes Bühnenwerk, das umgangssprachlich immer bloß als „Titus“ bezeichnet wird, ist ein hochkomplexes und fast mit Todessehnsucht komponiertes Meisterwerk, das nur drei Monate vor seinem Tod uraufgeführt wurde. Hier hört man Feinheiten mit beinahe schon romantischem Touch, die man von dem Salzburger Genie gar nicht gewohnt ist.
Mozart hat gegen Ende seines Lebens ein Faible für die Klarinette entwickelt, das sich hier sowohl in der Arie des Sesto als auch in der Arie der Vitellia mit Bassetthorn (quasi eine „Tenorklarinette“ in F gestimmt; wie das Englischhorn) zeigt. Und eines seiner finalen Werke ist das unvergleichliche Klarinettenkonzert sowie natürlich das Requiem, wo auch die Klarinetten dominieren.
Regisseur Rau schaffte es, das grandiose Werk zu „crashen“, indem er es in eine nebulose Geschichte steckte und auf Wiener Verhältnisse hin transponierte. Das Transponieren bestand schlechthin in eine Versetzung in ein Wiener Ghetto, das es (Gottseidank!) so nicht gibt und wo 19 (angeblich) zu Wien passende Personen ihre persönliche Geschichte erzählen durften. Dass von diesen 19 Personen nur ein einziger „echter“ Wiener dabei war, überrascht so gar nicht.
So fristet der römische Kaiser Titus hier sein Dasein als mehr oder minder heruntergekommene und würdelose Figur, die am Schluss nur mit Hausschlapfen herumlief. Dazwischen wurden mehr oder minder (von der Regie) gekonnt die unterschiedlichen Personenebenen (wie Tito-Sesto, Sesto-Vitellia usw.) dargestellt und durch unzählige, fast schon unsinnige Einlagen maßlos zerdehnt. Vieles war unlogisch; so der Auftritt des „echten Wieners“, eines Intendanten eines Kellertheaters, der plötzlich von zwei Schamaninnen umgebracht wird und sein Herz entfernt.
Ach ja, und diese zwei Schamaninnen retteten mit diversen okkulten Tricks das Leben des totgeglaubten Tito – das alles wurde mit unappetitlicher Detailverliebtheit gezeigt.
Man könnte noch viel mehr Details hier breittreten; das würde jedoch diese eigenartige Regie übermäßig aufwerten.
Schade, denn Rau dürfte weit mehr können als so billige aktionistische Tricks. Sehr berührend im zweiten Akt die Szene zwischen Sesto und Tito, die mit einfachen, aber intensiven Lichtspielen von Taschenlampen mehr als beeindruckte; diese Szene hatte auch einen stark homoerotischen Anstrich. Großartig auch die Schlussszene mit den Figuren als „Stillleben“, das dank der grandiosen Camerata mit fast unhörbarem Ausklang ein Ereignis wurde. Diese Schlussszene war natürlich nicht der echte Schluss; wie in so vielen Krimis ließ Rau das Finale zu Beginn spielen; wo dann so quasi wie „drei Jahre zuvor“ die Oper begann.
Natürlich muss man sich die musikalische Seite zum Schluss aufheben; was Thomas Hengelbrock mit der Camerata Salzburg gezaubert hatte, wird man so schnell nicht wieder hören. Immer fein schattiert hörte man hier alle Instrumentengruppen fast schon detailverliebt. Unglaublich, wie stark hier Mozarts Musik wirkte.
Die Stimmen waren ebenfalls exzellent. Der Höhepunkt an diesem Abend war hier Anna Goryachovas Sesto, die sie für einen Weltklasse-Mezzo prädestinierte; Anna Malesza-Kutny war als Vitellia hervorragend – auch wenn sie nicht an der Leistung von Frau Goryachova herankam. Jeremy Ovendens Tito war hochinteressant und mit einer volleren und runderen Stimme hätte er vielleicht noch mehr beeindruckt. Gegen das Stimmvolumen der Damen kam er leider nicht heran.
Thomas Hengelbrock mit der Camerata Salzburg war das Atout des Abends; schade, dass die Regie oft massiv gegen die Musik arbeitete – am Schluss bei der Vitellia-Arie mit Bassetthorn ließ er die Musik beinahe zu einem Werbejingle verkommen. Wundern kann man sich nur, dass selbst so namhafte Musiker wie Hengelbrock da bedenkenlos mitmachen. Schade, mit einer intelligenten Regie hätte daraus eine Sternstunde werden können.
Nachdenklich machten auch zwei deutsche, sich juvenil gebende (aber nicht seiende!) Damen, die sich spätpubertär ein „Mega“ zuriefen. Andere Besucher gaben zu, das erste Mal in der Oper gewesen zu sein.
Wahrscheinlich waren diese Leute hier nur zwecks der Performance, denn als Opern-Newcomer werden sie sicher damit nicht gewonnen.
Herbert Hiess, 26. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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