Ein wunderbarer Mozart: Figaro fliegt aus dem Repertoire

Wolfgang Amadeus Mozart Le Nozze di Figaro  Hamburgische Staatsoper, 27. Juni 2025

Katharina Konradi (Susanna, Kammerzofe der Gräfin), Olga Peretyatko (Gräfin Almaviva), Kartal Karagedik (Graf Almaviva) und Julia Lezhneva (Cherubino, Page des Grafen) (Foto: RW)

Julia Lezhaneva spielt mit den ihrem Sopran zur Verfügung stehenden, farbreich schimmernden, perlenglänzenden Tönen wie auf einem Trapez und füllt den Raum mit großer Strahlkraft.

Le Nozze di Figaro
Musikalische Komödie in vier Akten von Lorenzo da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Nicholas Carter musikalische Leitung

Inszenierung: Stefan Herheim

Bühnenbild: Christof Hetzer
Kostüme: Gesine Völlm
Video: fettFim (Momme Hinrichs, Torge Møller)

42. Vorstellung seit der Premiere am 15. November 2015

Hamburgische Staatsoper, 27. Juni 2025

von Dr. Ralf Wegner

Mozarts Nozze di Figaro unter Louis Lohraseb (2024) sowie die jetzige Aufführung unter der musikalischen Leitung des designierten Stuttgarter Generalmusikdirektors Nicholas Carter gehören zum Besten, was die Hamburgische Staatsoper zu bieten hat.

Leider zuletzt am 03. Juli 2025, denn die neue Intendanz nimmt die brillante Herheim-Inszenierung in dem Bühnenbild von Christof Hetzer nicht wieder auf. Darüber hinaus wird Mozart in der kommenden Saison 2025/26 an weniger als 12 Tagen gegeben (die quietschige Cosi fan tutte und die unsäglichen Zauberflöte).

Also, wer Mozart in Hamburg in einer musikalisch, inszenatorisch und darstellerisch vollkommen überzeugenden Vorstellung sehen will, sollte eine der beiden noch stattfindenden Aufführungen am 29. Juni sowie am 03. Juli 2025 nicht versäumen.

 Julia Lezhneva holt als Cherubino die Sterne vom Himmel

Nicht nur Julia Lezhneva machte den Abend mit ihrer Cherubino-Interpretation zu einem Ereignis, aber doch vor allem sie. Wie diese kleine quirlige Sopranistin der Rolle schauspielerisches Profil gibt und mit ihren beiden Arien die Sterne vom Himmel holt, ist beispielhaft. Sie spielt mit den ihrem Sopran zur Verfügung stehenden, farbreich schimmernden und perlenglänzenden Tönen wie auf einem Trapez und füllt den Raum mit großer Strahlkraft. Wenn die Gräfin sich im zweiten Akt während Cherubinos Canzone Voi, che sapete in diesen mit den Worten che bella voce fast verliebt, ist das nachvollziehbar. Dabei geht Lezhneva alles divenhafte ab, sie ordnet sich völlig dem grandios aufspielendem Ensemble unter.

Olga Peretyatko singt und spielt eine überzeugende Contessa d‘Almaviva

Olga Peretyatko hat hier zuletzt Leonora und Norma gesungen. Mit diesen dramatischen Partien schien sie mir ihre stimmlichen Grenzen erreicht bzw. überschritten zu haben. Sie ist aber nach wie vor eine wunderbare Contessa, wenngleich ihr stimmlich die voluminöse Breite und mütterliche Weichheit, welche berühmte Vorgängerinnen auszeichnete, nicht zur Verfügung steht. Peretyatko führt ihren klangschönen, strahlkräftigen und zu wunderbaren Piani fähigen Sopran eher schlank. Das stimmt mit ihrer jugendlichen Figur und ihrem Willen überein, sich vom Ehemann nicht schachmatt setzen zu lassen. Sie singt beim Dove sono zu Beginn des zweiten Aktes nicht die seelentief erschütterte Ehefrau, die wie Dolly in Tolstois Anna Karenina ihrer Vergangenheit nachtrauert. Peretyatko ist in dieser Inszenierung die überaus attraktive, an ihren Mann erotisch noch gefesselte, einem romantischen Abenteuer aber auch nicht abgeneigte junge, sich emanzipierende Frau. Die Eifersucht Almavivas ist demnach auch nicht unbegründet.

Peter Galliard (Don Curzio, Richter), Keith Klein (Antonio, Gärtner), Marie Maidowski (Barbarina, seine Nichte), Manuel Günter (Don Basilio, Musikmeister), Olga Peretyatko (Gräfin Almaviva) (Foto: RW)

Katharina Konradi hat Spielwitz und Stimmschönheit

Zuletzt hörten wir Katharina Konradi als großartige Gilda in Verdis Rigoletto. Die Susanna hatte sie aber auch schon hier häufiger gesungen. Ihr Sopran hat die Strahlkraft von Peretyatko und auch einen ähnlichen Klang, was dem Briefduett der beiden im 3. Akt etwas an klanglicher Breite nimmt. Das liegt aber weniger an Konradi als an der beschriebenen Stimmschlankheit der Partnerin. Die Rosenarie im 4. Akt singt Katharina Konradi mit umwerfender Stimmschönheit, die den Wunsch des Grafen sie zu besitzen, verständlich werden lässt. Vielleicht erkennt er seine Frau in ihr. Der Spielwitz von Konradi ist ausgeprägt und man folgt ihrer weiblichen List mit großem Vergnügen.

Kartal Karagedik beeindruckt als Conte d‘Almaviva

Die eigentlich tragende Figur des Stück ist noch vor Susanna der Graf Almaviva. Wie Mozart es versteht, den von sexueller Begierde und ausgeprägter, aber nicht grundloser Eifersucht getriebenen, mit wachem Verstand gesegneten und daher seine Grenzen durchaus erkennenden Grafen musikalisch ein Denkmal setzt, überzeugt zur Gänze. Mozart mag sich mit ihm wohl am ehesten identifiziert haben. Und wenn Almaviva am Ende erkennt, am Nasenring durch die Menge gezogen worden zu sein, gibt es wohl für die Gräfin keinen überzeugenderen Liebesbeweis, als das öffentliche Reue- und Schamgeständnis ihres Ehemannes. Kartal Karagedik ist schon vom Typ her der liebeshungrige Chef des gräflichen Haushalts. Nur bei Susanna landet er nicht, die aus unerfindlichen Gründen den zwar gewitzten, ihr aber doch unterlegenen Figaro vorzieht.

Chao Deng ist ein guter Figaro

Von Chao Deng hätte ich mir etwas mehr Stimmstärke erhofft, zumindest anfangs bei seiner Kavatine „Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen“. Aber Deng zeigte später auch genügend Strahlkraft verbunden mit einem silbrigen Timbre. Er agierte spielerisch mit der notwendigen Bauernschläue genauso herausragend wie die anderen Beteiligten.

Auch die anderen Ensemblemitglieder liefern ihr Bestes

Han Kim sang Don Bartolo, Claire Gascoin eine ausgezeichnete Marzellina. Marie Maidowski schloss mit ihrer kurzen Nadelarie an die Leistung ihrer Partnerinnen an. Manuel Günter sang mit stimmschönem Tenor den Part des Musikmeisters Don Basilio, Peter Galliard war der Richter Don Curzio und der hochgewachsene Keith Kline überzeugte als Gärtner Antonio.

Das Figaro-Ensemble nimmt den Beifall des Publikums entgegen: Peter Galliard, Keith Klein, Marie Maidowski, Manuel Günter, Katharina Konradi, Chao Deng, Nicholas Carter, Olga Peretyatko, Kartal Karagedik, Julia Lezhneva, Claire Gascoin, Han Kim (Foto: RW)

Ein eher seltenes Ereignis: Eine Inszenierung begeistert das Publikum

Videoprojektionen werden auf der Bühne zunehmend eingesetzt. Nur selten trägt das zur Erhellung bei. Anders als bei dieser Figaro-Inszenierung. Die während der Ouvertüre und am Ende der Oper auf den Vorhang gespielte fettFilm-Projektion von Momme Hinrichs und dem 2022 leider verstorbenen Torge Møller ergänzt Mozarts Figaro schlicht genial. Sie projizieren Mozarts Partitur auf den Vorhang. Man kann mitlesen, bis sich die Noten zu Strichmännchen und vor ihnen flüchtenden, sich schließlich ergebenden Damen entwickeln.

Der sich öffnende Vorhang gibt einen sich nach hinten verjüngenden, ganz mit Notenblättern ausgekleideten Raum wieder. Hier lässt Figaro das handlungsbestimmende, die Auf- und Abgänge integrierende Bett aufbauen. Marzellina und Don Bartolo, Figaros bisher unerkannte Eltern, tauchen aus diesem Bett auf, Cherubino springt hinein, um sich vor dem Grafen zu verstecken oder um in den Schlossgarten zu springen. Zum sich dynamisch steigernden Finale des zweiten Aktes, Marzelline sieht sich in ihr Recht zu Lasten Susannas und zur Freude des Grafen gesetzt, lösen sich die wandbespannenden Notenblätter, einem weißen Hintergrundlicht Platz gebend, und begraben die sich streitenden Akteure. Der Beifall des Publikums bei diesem bühnentechnisch fulminanten Aktschluss war da gewiss.

Nach der Pause verblieben die Akteure auf der Bühne und kommentierten mimisch oder spielerisch den Fortgang der Handlung, sofern sie nicht selbst gesanglich involviert waren. Das Publikum spendete nach der inklusive einer Pause gut dreieinhalbstündigen, immer kurzweiligen, nie wie sonst häufig durchhängenden Aufführung langanhaltenden begeisterten Beifall, der die ebenfalls bravouröse Leistung des Orchesters unter Nicholas Carter einschloss.

Dr. Ralf Wegner, 27. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro Garsington Opera, 28. Juni 2024

Wolfgang Amadeus Mozart: Le nozze di Figaro Staatsoper Hamburg, 17. Mai 2024

Auf den Punkt 9: W. A. Mozart, Le nozze di Figaro klassik-begeistert.de, 17. Mai 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert