Foto: ENO18/19 The Magic Flute: Rupert Charlesworth © Donald Cooper
English National Opera London ENO, 2. April 2019
Wolfgang Amadeus Mozart, The Magic Flute (Vorstellung in englischer Sprache)
Von Charles E. Ritterband
Ein Prinz – Tamino –, der zuerst in Unterhosen, dann im Trainings- oder im Tarnanzug seine Abenteuer besteht, beschützt und dann eifersüchtig begehrt von drei Damen ebenfalls im Tarnanzug, Papageno als Junkie, die Königin der Nacht im Rollstuhl und die drei Knaben als zombiehafte Skelette mit schütterem Haar: Das konnte ja nicht gut gehen. Die obligate Szene, die den kindlich-prahlerischen Papageno so trefflich charakterisiert – wenn er zuerst über die riesige Schlange erschrickt und dann behauptet, er habe sie heldenhaft besiegt: aus unerfindlichen Gründen gestrichen. Dabei ist es doch diese Prahlerei, die ihm Wasser, Stein und vor allem den Knebel für sein lockeres Mundwerk beschert, und Papageno die gesummte, unvergleichlich lustige Arie ohne Worte singen lässt – sinnlos in dieser Inszenierung.
Diese, minimalistisch, bestand vor allem aus zwei Elementen: Einer Plattform, die sich je nachdem senken, heben oder kippen ließ und zwei Regiepulten jeweils links und rechts der Bühne, die für optische und akustische Effekte sorgten: Links wurden auf einer Tafel Strichzeichnungen angefertigt, die gleichzeitig riesengroß auf einen halbtransparenten Gaze-Vorhang projiziert wurden, und rechts stand ein Reservoir an Flaschen bereit, die zum Klirren gebracht wurden, als der durstige Papageno sich im Zweiten Akt über die Weinflasche hermachte. Durchaus recht lustig und originell – aber bei weitem nicht hinreichend, um die allgemeine Düsterkeit des Bühnenbilds, die Tristezza der Atmosphäre und die bei den Sarastro-Jüngern vorherrschenden uniform schwarzen Anzüge aufzuheitern. Eine weitgehend entzauberte Zauberflöte – trotz einiger wirklich magischer Effekte, wie dem schwerelos durch die Lüfte schwebenden Liebespaar Tamina und Pamino und der entzückenden Idee flatternde Notenblätter zu flatternden Vögeln werden zu lassen.
Das populäre Prinzip der Englisch National Opera, sämtliche Opern statt im Original in englischer Übersetzung zur Aufführung zu bringen ist oft problematisch – funktioniert aber je nach Originalsprache bisweilen erstaunlich gut. Bei Opern in italienischer Sprache ist der englische Text eher eine Zumutung – bei deutschsprachigen Opern hingegen vermag die Transponierung ins verwandte Englisch zu überzeugen. Vorausgesetzt, die Übersetzung ist gut – und in diesem Fall ist sie es: das witzige Libretto von Emanuel Schikaneder wurde vom kürzlich verstorbenen britischen Dramatiker Stephen Jeffreys nicht weniger humorvoll und pointiert ins Englische übertragen.
Bei der Sitzung in Sarastros Tempel wird bekanntlich über die Zulassung Paminas als Kandidat abgestimmt – was an Premierministerin Theresa Mays „meaningful votes“ über ihren Brexit-Deal erinnerte: Als Sarastro verkündete, dies sei eine ganz entscheidende Zusammenkunft und Abstimmung, erhob sich denn auch im Publikum spontanes Gelächter. Der Grund dafür lag auf der Hand…
Die Inszenierung des englischen Schauspielers, Autors und Regisseurs Simon McBurneys, eine dreifache Koproduktion mit dem 1983 gegründeten Theater „Complicité“, der Dutch National Opera und dem Festival Lyrique Aix en Provence ist nun in der dritten Saison ans viktorianisch-üppige London Coliseum, permanent bespielt von der ENO, zurückgekehrt – offenbar ein Publikumserfolg, von den Medien hoch gelobt. Auch dem Publikum dieses Abends gefiel’s – es applaudierte und jubelte, bejubelte insbesondere die gesanglichen Leistungen der Protagonisten, die allerdings, kritisch betrachtet, ebenso zwiespältig waren wie die Inszenierung selbst.
Unbestrittener Star des Abends war die Sopranistin Lucy Crowe, die ihre Pamina mit markanter Intensität und einer wunderschönen, technisch makellosen Stimme ausstattete. Die in Staffordshire geborene Crowe verstand es, mit dynamischer Feinzeichnung und betörender Weichheit ihrer erwachenden Liebe zu Tamino Ausdruck zu verleihen. Sie zählt in England zu den führenden lyrischen Sopranistinnen.
Ihr Partner, der englische Tenor Rupert Charlesworth hatte da einen schweren Stand als Tamino. Die Musikalität des mehrfach preisgekrönten Sängers ist unbestritten, er meistert seine Partien technisch sauber und mit einigem tenoralen Schmelz – doch weder Stärke noch der unbestreitbare Wohlklang seiner Stimme können mit der großartigen Crowe so recht mithalten. Der Papageno des niederländischen Baritons Thomas Oliemans brachte viel holländischen Humor und eine ausgewogen geschliffene Stimme auf die Bühne; die aus Yorkshire stammende Rowan Pierce war ihm als Papagena mit ihrem munteren Spiel und einer aparten Sopranfrische eine kongeniale Partnerin.
Die in Berlin geborene Sopranistin Julia Bauer, die aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen im Rollstuhl auf die Bühne gekarrt wurde und dort mit einer Krücke weiterhumpeln musste – vermutlich sollte dies die durch Sarastro geraubte Allmacht symbolisieren – meisterte die berühmten Koloraturen der Königin der Nacht mit einiger Brillanz, klarer Linienführung und beträchtlicher Durchschlagskraft.
Ihr Widersacher Sarastro (der Brite Brindley Sherratt) überzeugte mit starker Bühnenpräsenz und einem sonoren, Autorität gebietenden Bass, der jedoch nie ins Dramatische oder Pathetische abzugleiten drohte. Hervorragend die drei Damen Susanna Hurrell, Samantha Price, Katie Stevenson, die um die Gunst des Prinzen Tamino wetteiferten und sich zum Ergötzen des Publikums zu allerlei frivolen Gesten verleiten ließen. Stimmlich brachten alle drei Frische und Heiterkeit auf die Bühne des London Coliseum.
Charles E. Ritterband, 3. April 2019, für
klassik- begeistert.de
Musikalische Leitung: Ben Gernon
Regie: Simon McBurney
Choreinstudierung: James Henshaw
Tamino: Rupert Charlesworth
Pamina: Lucy Crowe
Papageno: Thomas Oliemans
Papagena: Rowan Pierce
Königin der Nacht: Julia Bauer
Sarastro: Brindley Sherratt
Drei Damen: Susanna Hurrell, Samantha Price, Katie Stevenson
Monostatos: Daniel Norman