Über die Herausforderung, Wagner zu singen

Worttonmelodie – Die Herausforderung, Wagner zu singen  Buchbesprechung

Buchrezension:

Isolde Schmid-Reiter (Hg.): „Worttonmelodie – Die Herausforderung, Wagner zu singen“ (ConBrio 2020)

von Kirsten Liese

Facettenreich, praxisnah und erkenntnisreich setzt sich die Publikation, die Aufsätze, Reden und protokollierte Podiumsdiskussionen vereint, mit den Anforderungen an Wagnersänger, Mangelerscheinungen und Besetzungsschwierigkeiten auseinander. Experten aus allen Disziplinen – Musikwissenschaftler, Stimmenexperten, Sänger, Dirigenten, Regisseure, Intendanten, Künstleragenten und Hochschulprofessoren – kommen zu Wort.

Da geht es zunächst um Richard Wagners persönliche Ansprüche an die Interpreten, die er aufforderte, auf „selbstgefällige, vokale Virtuosität und die Darbietung vokaler Kunststücke um des persönlichen Erfolgs willen“ zu verzichten und stattdessen die Stimme „dem Wort und der szenischen Aktion anzupassen“. Er fürchtete also, dass der Text seiner Libretti zu kurz kommen könnte, der Ausdruck sollte Vorrang vor balsamischem Schöngesang haben.

Weitere spannende Beiträge widmen sich unterschiedlichen Einstufungen von Stimmfächern und einem entsprechenden Wandel bei Rollenbesetzungen: Besonders weit gehen die Bewertungen bei der Brangäne im „Tristan“ auseinander. Wagner selbst stellte sich einen Sopran vor, in späteren Opernhandbüchern wird diese Partie einem Mezzosopran oder sogar einem Alt zugeschrieben. Große Divergenzen ergeben sich etwa auch bei Rollen wie Senta, Hans Sachs oder Lohengrin, wobei mit Klaus Florian Vogt ein positives Beispiel für einen neueren Sängertypus angeführt wird, der wegen seiner ausgeprägten lyrischen Qualitäten vor 20 Jahren vermutlich nicht für den Lohengrin engagiert worden wäre.

Gleich mehrere Beiträge beschäftigen sich kontrovers mit dem Phänomen, dass heute kaum noch hochdramatische Monumentalstimmen und Heldentenöre zur Verfügung stehen wie einst in den Nachkriegsjahren. Zwei Faktoren kommen dabei mehrfach zur Sprache: Viele potenzielle Talente werden erst gar nicht entdeckt, dies auch deshalb, weil die Liebe zur Oper in Deutschland und Italien im Aussterben begriffen ist, weshalb etwa auch auf Gesangswettbewerben überwiegend nur noch Kandidaten aus Asien und Osteuropa in Erscheinung treten.

Zudem fordert das Regietheater seinen Tribut, rauben doch die darstellerischen Ambitionen vieler Regisseure den Sängern ihre stimmlichen Reserven. Weitere Fehlentwicklung führen die Autoren plausibel auf eine fragwürdige Besetzungspolitik zurück: Eine Sängerin mit einer schlanken, hübschen Erscheinung wie Audrey Hepburn und einer Stimme wie Birgit Nilsson ist nicht zu finden. Folglich weichen Regisseure, denen das optische Erscheinungsbild wichtiger ist als die Musik, auf jugendlich-lyrischere Sängerinnen aus, die den hochdramatischen Partien nicht gewachsen sind und ihre Stimmen ruinieren.

Auf nicht alle angeschnittenen Probleme gibt es Antworten und einige Lösungsansätze regen zum Widerspruch, wenn zum Beispiel der Genfer Intendant Aviel Cahn danach fragt, ob angesichts fehlender Durchschlagskraft Mikrofone als Verstärker zum Einsatz kommen sollen, wovor unbedingt gewarnt werden sollte. Denn das käme einer Bankrotterklärung an die Oper und den Wagnergesang im Besonderen gleich.

Kirsten Liese, 11. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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